Finanzchaos im Asta Ein Rektor greift ein

Dem Asta der Universität Duisburg-Essen ist der Haushalt um die Ohren geflogen, und das gleich mehrmals. Eine halbe Million Euro Schulden haben die Studentenvertreter inzwischen aufgetürmt. Jetzt setzt der Rektor auf Zwangssanierung: Ein Lehramt- und ein Chemiestudent sollen es richten - Mission impossible?

Beinahe über Nacht hatte Gerrit Kremer, 24, einen neuen Job. 920 Euro im Monat verdient er damit, für einen Studenten keine so schlechte Bezahlung. Richtig glücklich ist er über sein neues Arbeitsfeld trotzdem nicht und wehrt Glückwünsche ab: "Das wird ein Höllenritt, ganz sicher kein Vergnügen."

Auch Arturo Holigue de la Vega, 27, kam flugs zu einem neuen Job, und auch er ahnt, "dass wir uns damit kaum neue Freunde machen werden". Auf die beiden Essener Studenten wartet eine ausgesprochen undankbare Aufgabe: Sie sollen den gigantischen Schuldenberg abtragen, den mehrere Asten in den letzten Jahren an der Universität Essen aufgetürmt haben. Irgendwie. Wenn es ihnen überhaupt gelingt, das Finanzchaos komplett zu erfassen, das die Studentenvertreter seit den späten Neunzigern hinterlassen haben.

Zwischen 400.000 und 500.000 Euro - bis dato weiß das niemand präzise - dürfte die Essener Studentenvertretung in den letzten Jahren verbrannt haben. Mit chaotischer Buchführung, mit wirrem Wirtschaften, mit einem so teuren wie ineffizienten Kulturcafé. Die Asten ließen die Mitgliedsbeiträge, die alle Studenten abführen müssen, offenbar durch die Finger rinnen, bis die Vorsitzenden und Finanzreferenten vollends den Überblick verloren.

Brandbrief vom Rektor

Das geht schon seit Jahren so, und nun ist die Hochschulleitung "im Wege der Rechtsaufsicht" eingeschritten. In einem Brandbrief teilte Rektor Lothar Zechlin der Studierendenschaft der Universität Duisburg-Essen am Dienstag im schönsten Juristendeutsch einige ungewöhnliche "Beschüsse"  (gemeint sind Beschlüsse) mit. Von Amts wegen setzte er die Befugnisse gewählter ASta-Vertreter außer Kraft, zum Beispiel die Wirtschaftsbetriebe, das Personalwesen und die Buchhaltung zu führen. Und setzte für die nächsten zwölf Monate zwei eigene Beauftragte ein - Gerrit Kremer und Arturo de la Vega. Beide sind bei den Juso-Hochschulgruppen aktiv. Kremer ist seit Januar gewählter Asta-Vorsitzender, de la Vega war früher Referent für Öffentlichkeitsarbeit. Das studentische Sanierer-Duo hat nun auch die "alleinige Verfügungsgewalt" über die Räume der Studentenvertretung.

Die Eilentscheidung begründete Zechlin in scharfem Ton: mit dem "desolaten Zustand des gesamten Buchhaltungs-, Haushalts-, Personal- und Finanzwesens des Asta", mit dem "Ausmaß des fortdauernden Rechtsverstoßes" und der Notwendigkeit einer "störungsfreien Arbeit" bei der Sanierung der Finanzen. Er wirft den Studentenvertretern vor, Forderungen des Landesrechnungshofes und der Universität nach korrekter Buchführung beharrlich ignoriert zu haben. Beanstandet werden zudem falsche Steuererklärungen und Angaben an die Sozialversicherungsträger.

Lothar Zechlin leitet die Hochschule erst seit einigen Monaten. Im Oktober letzten Jahres übernahm er das Amt des Gründungsrektors der Universität Duisburg-Essen, die vom nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium aus zwei zuvor eigenständigen Hochschulen trotz erheblicher Gegenwehr zwangsvereinigt wurde. Während Uni-Mitarbeiter und Studenten den Fusionsfrust noch längst nicht überwunden haben, kracht es nun im Gebälk der ebenfalls zwangsverheirateten Studierendenschaft.

Millionenumsätze, riesige Schlamperei

Die Nachbarn im Westen treffe dabei keine Schuld, im Gegenteil: "Der Duisburger Asta hat stets solide gewirtschaftet und sogar beträchtliche Überschüsse eingefahren", sagt Arturo de la Vega nach erster Aktensichtung. Das liege aber auch an den überschaubaren Duisburger Aktivitäten - "wer wenig macht, gibt auch wenig aus". Den Duisburger Studenten hilft die solidere Arbeit ihrer Vertreter wenig. Sie müssen in den nächsten Jahren für die Essener Fehler mitzahlen.

Dort haben sich die Studentenvertreter schwer übernommen. Mit einem Umsatz von rund sechs Millionen jährlich, kein Pappenstiel, zählt der Asta zu den Finanzriesen unter den deutschen Studentenvertretungen, die in den meisten Bundesländern von den Pflichtbeiträgen der Studenten leben. Und damit nicht immer sorgsam umgehen, wie andere Fälle dubioser Ausgaben in den Asten zeigen.

Der Löwenanteil der Essener Umsätze entfällt zwar auf das Semesterticket; die Einnahmen muss der Asta zum regionalen Verkehrsverbund durchwinken. Aber bei 26.000 Studenten und Semesterbeiträgen von zwölf Euro pro Kopf verwalten die Studentenvertreter der Uni Duisburg-Essen immer noch einen Jahresetat von über 600.000 Euro. Das gigantische Defizit hat sich über Jahre aufgebaut. Die unangenehmsten Löcher riss dabei das Kunst- und Kulturcafé des Asta, wie ein Bericht des Landesrechnungshofes und eine interne Revision zeigen (beide Dokumente liegen SPIEGEL ONLINE vor).

Mehr Personal als Gäste

Das KKC ist bei Studenten in der etwas öden Ruhrgebietsstadt ungemein beliebt. Tagsüber ist es ein Café, abends laufen Konzerte und andere Kulturveranstaltungen, und preisgünstiges Bier fließt in Strömen. Bei der Preis- und Kostenkalkulation indes hapert es offenbar schon lange. Sie habe "nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße und wirtschaftliche Betriebsführung" entsprochen, monierte der Landesrechnungshof bereits im Januar 2003 trocken. Und wurde sogleich konkreter: Das KKC erreiche den "Umfang eines mittelständischen Gewerbebetriebes", die Frage der Kostendeckung bei kulturellen Veranstaltungen habe jedoch "wenn überhaupt nur eine untergeordnete Rolle" gespielt. Das KKC sei auch als "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für Studenten genutzt worden, mitunter habe es mehr Bedienungen als zahlende Gäste gegeben - lauter vermeidbare Kosten, so der Rechnungshof, der auch eine "lose Blattsammlung" als Asta-Kassenbuch entdeckte.

Im internen Revisionsbericht, den er Mitte März vorlegte, zeichnet Arturo de la Vega ein ähnlich trübes Bild. Und lässt zugleich Hoffnung keimen: Bei zügiger Sanierung lasse sich das Haushaltsloch "bis zum Ende des Haushaltsjahres 05/06" beseitigen, obwohl der Asta mittlerweile ein neues Problem hat - seit Nordrhein-Westfalen Langzeitgebühren kassiert, brechen die Studentenzahlen und damit auch Asta-Einnahmen weg. Immerhin sieht de la Vega eine positive Tendenz. Zuletzt habe es keine Verluste mehr gegeben, das Defizit sei aber über Jahre mitgeschleppt worden.

Ob einzelne Studenten möglicherweise zuvor "schwarze Kassen" geführt oder Einnahmen in die eigenen Taschen abgezweigt haben, will er nicht kommentieren: "Das kann ich nicht beurteilen, erst einmal müssen wir die Bücher durchforsten." Offen bleibt vorerst ebenso, ob Asta-Mitarbeiter der letzten Jahre ein juristisches Nachbeben fürchten müssen.

Der Asta betreibt auch eine Druckerei und einen Lehrmittelverkauf, den Schuldenturbo zündete aber das Kulturcafé. Eine Schließung hält de la Vega für "keine gute Idee, immerhin war das KKC in den neunziger Jahren sogar ein Gewinnbringer". Der Chemie- und BWL-Student plädiert dafür, die Öffnungszeiten zu kürzen, das Personal besser einzusetzen und Angebot wie Preise neu zu justieren. Als Beispiel für Misswirtschaft nennt er ein HipHop-Konzert: "Das hat 20.000 Mark Gage gekostet, in das Café passen aber nur 600 Leute. Um auf unsere Kosten zu kommen, hätte glatt jeder Besucher 20 Liter Bier trinken müssen."

Nun wartet reichlich Arbeit auf Arturo de la Vega und Gerrit Kremer. Im Auftrag des Rektors sollen sie den Laden wieder flott machen, müssen einmal wöchentlich einen Zwischenbericht einreichen, einmal monatlich zum Rapport - das dürfte für ein Jahr ein Fulltime-Job werden.

Ob die Studierendenschaft gegen den Ukas des Rektors vor Gericht zieht, ist noch offen. Aber im Studentenparlament ist die Sanierung von oben höchst umstritten. Schon schimpfen Studentenvertreter über die "Rektordiktatur" und sehen im Finanzloch keinen Grund, um gewählte Gremien zu entmachten. Sie halten die beiden Studenten, die der Rektor taktisch clever zu Sanierern machte, für reine Erfüllungsgehilfen. Und sie bangen, dass die Verfasste Studierendenschaft im ganzen Land ausgehebelt werden könnte - in Bayern und Baden-Württemberg zum Beispiel gibt es seit den siebziger Jahren keine Pflichtmitgliedschaft mehr.

Sind junge Erst- oder Fünftsemester schlicht damit überfordert, von heute auf morgen Millionenbeträge zu bewegen? Verjuxen sie das Geld ihrer Kommilitonen allzu sorglos, sollten die Zwangsbeiträge abgeschafft und die Studierendenschaften auf eine kleinere Finanzbasis gestellt werden? Arturo de la Vega sieht das nicht so. Natürlich sei kein Student von Haus aus Experte für Haushaltsordnung, Personal- und Dienstrecht. "Jede Studierendenschaft muss seriös wirtschaften, mehr Transparenz muss her", meint der 27-Jährige, "aber das Essener Chaos ist eine bitterböse Ausnahme. Anderswo beweisen Asten jeden Tag, dass auch Studenten durchaus mit Geld umgehen können."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren