Föderalismusfolgen NRW startet Initiative gegen Bildungschaos

Jedem Land sein Schulsystem - und die Bundesregierung muss draußen bleiben. Das Bildungssystem in Deutschland folgt dem Prinzip der Kleinstaaterei. Jetzt regt sich Widerstand: Die neue NRW-Regierung stellt sich nach SPIEGEL-Informationen an die Spitze einer Initiative, die das Chaos eindämmen will.
Schülerin (in Frankfurt/M., Januar 2006): "Dafür gibt es momentan keine Mehrheit."

Schülerin (in Frankfurt/M., Januar 2006): "Dafür gibt es momentan keine Mehrheit."

Foto: MICHAEL PROBST/ AP

Düsseldorf - Steht das deutsche Bildungssystem vor einer Reform der Reform?Bildungspolitik in in der Bundesrepublik ist naturgemäß ein unübersichtlicher Flickenteppich aus zahllosen Landesregelungen, die selbst für Experten nur schwer zu überblicken sind. Nun aber gibt es einen Vorstoß zur Harmonisierung. Die neue rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will dazu eine Bundesratsinitiative auf den Weg bringen.

Es geht um die Aufhebung des sogenannten Kooperationsverbotes. Anders als bisher soll die Bundesregierung damit spezielle Förderprogramme, wie einst zum Ausbau der Ganztagsschulen, finanzieren dürfen. Sylvia Löhrmann, seit rund zwei Wochen NRW-Schulministerin, stellt sich nach SPIEGEL-Informationen an die Spitze einer Bewegung, die die deutsche Bildungspolitik justieren und für mehr Engagement des Bundes eintreten will.

Es geht ein Stück weit um eine Rolle rückwärts: Vor vier Jahren hatte der Bund seine Kompetenzen im Bildungswesen entscheidend beschnitten - um den Bundesländern die Zustimmung zur Föderalismusreform abzuringen. Diese Grundgesetzänderung, meint Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer, sei nicht nur kommunikativ "ein Desaster". Inzwischen muss der Bund sich verrenken, um auch nur kleine Akzente in der Bildungspolitik setzen zu können - so geschehen jüngst bei der Rettung der Medizinfakultät der Universität Lübeck.

Die Maßnahme ist nämlich nur über einen Buchungstrick legal zu bewerkstelligen: Das Schavan-Ministerium plant, das Land Schleswig-Holstein um jährlich zwölf Millionen Euro zu entlasten. Im Gegenzug muss die Landesregierung allerdings versprechen, das Lübecker Medizinstudium zu erhalten.

Bürger fordern einheitliches System

Beim Wähler kommt die bildungspolitische Kleinstaaterei nicht gut an: Umfragen haben ergeben, dass sich die große Mehrzahl der Deutschen ein einheitlicheres Schulsystem wünscht. Der CSU-Politiker Edmund Stoiber, der als einer der Väter der Föderalismusreform den schulpolitischen Kuddelmuddel im Jahr 2006 verfestigt hatte, mahnt inzwischen, dass der "Wettbewerb in der Bildung" nicht "mit einem Wettbewerb in Kleinstaaterei und Ideologie verwechselt werden" dürfe. Und Klaus Kinkel (FDP), ehemaliger Außenminister und Vorsitzender einer Stiftung, die unter anderem die Bildung fördert, verlangt ein Ende der "Flickschusterei".

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle macht sich inzwischen für mehr Kooperation im Bildungssystem stark. "Wir brauchen eine bessere Vergleichbarkeit und mehr Absprachen", sagte Westerwelle dem "Kölner-Stadt-Anzeiger". Er sei ein "begeisterter Anhänger des Wettbewerbsföderalismus", so Westerwelle. Aber die Gesellschaft sei in den vergangenen Jahrzehnten immer mobiler geworden.

Viele Bürger wechselten im Laufe ihres Lebens mehrfach Arbeitsstelle und Wohnort. Das darf "nicht dazu führen, dass ihre Kinder zu Leidtragenden unseres föderalen Bildungswesens werden". "Wir brauchen eine echte Bildungspartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden", sagte Westerwelle.

"In klar definierte Bildungsaufgaben gemeinsam investieren"

FDP-Generalsekretär Christian Lindner mahnt eine stärkere finanzielle Beteiligung des Bundes in der Bildungspolitik an. "Entweder muss die Finanzkraft im Staat neu verteilt werden. Dann gibt es aber keine Gewähr, dass die Länder wirklich die Bildung stärken. Oder es muss neu ermöglicht werden, dass Bund und Länder in klar definierte Bildungsaufgaben gemeinsam investieren", verlangte Lindner im "Tagesspiegel" - und unterstützt damit zumindest indirekt den Löhrmann-Vorstoß, der genau das vorsieht.

Das föderale Bildungssystem wird im Zuge der aktuellen Reformdiskussion freilich nicht angetastet werden, wohl aber könnten Auswüchsen eingedämmt werden. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) kritisiert, dass "Eltern und Kinder irre werden, wenn jede Landesregierung ihren Veränderungswillen vor allem in den Schulen auslebt" - und spielt damit auf das Ergebnis eine Volksentscheids in der Hansestadt an, bei dem Mitte Juli eine Schulreform gekippt worden war, die das gemeinsame Lernen bis zur sechsten Klasse vorsah.

Doch Zweifel bleiben, ob dieser Bildungsvorstoß letztlich Zustimmung finden wird. "So manches, was in letzter Zeit aus Berlin kommt, ist nicht sortiert", beschwerte sich bereits Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus über seine Parteikollegin Schavan. Die war übrigens in ihrer Zeit als baden-württembergische Kultusministerin selbst vehement gegen zu viel Einfluss der Bundesregierung in der Bildungspolitik zu Felde gezogen.

Dass sich die Politiker - wie von Nordrhein-Westfalen gefordert - auf ein "schlankes Bundesgesetz" einigen können, glaubt man selbst in Düsseldorf nicht. "Dafür gibt es momentan keine Mehrheit", gesteht Vize-Ministerpräsidentin Löhrmann ein.

chs/ddp
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