Forscher-Bilder Wirre Weißkittel und irre Weltbeherrscher
Es war einmal ein Mediziner an der Universität Ingolstadt, der aus Leichenteilen den idealen Menschen konstruieren wollte. Doch er baute seiner Kreatur versehentlich das Gehirn eines Verbrechers ein. Als der Doktor den Zombie zum Leben erweckte, lief dieser Amok, weil er unfähig war, menschliche Verhaltensregeln zu begreifen.
Was wie der Plot eines modernen Horrorfilms über Transplantationsethik klingt, ist Mary Shelleys fast zweihundert Jahre alte Geschichte von Dr. Frankenstein. 1931 verfilmte James Whale die düstere Story zum ersten Mal mit Boris Karloff in der Rolle des Monsters, und Whale sollte mit seinem Bild vom besessenen Wissenschaftler nicht allein bleiben - Doktor Victor Frankenstein wurde zum Prototyp des verrückten Wissenschaftlers in der Unterhaltungsindustrie.
Im Kino nämlich haben Wissenschaftler meist nur zwei Dinge im Kopf: künstliches Leben zu erschaffen oder die Weltherrschaft an sich zu reißen. Und in beiden Fällen arbeiten die Forscher so fanatisch an ihrer Mission, dass oft nicht mehr alle Tassen im Schrank bleiben.

Forscher im Film: Wirre Weißkittel und irre Weltbeherrscher
In Filmen werde das gesellschaftliche Vorurteil umgesetzt, das offenbar in vielen Köpfen herrsche, so der Soziologe. Machtgeile Größenwahnsinnige, wahnsinnige Soziopathen, mordende Weltverbesserer oder Depressive auf Rachefeldzug: "Das sind gängige Vorstellungen vom Wissenschaftler", sagt Torsten Junge von der Universität Hamburg. Nach seinen Beobachtungen changiert das Bild des Wissenschaftlers in der populären Kultur zwischen zwei extremen Polen: Auf der einen Seite die eher positiv besetzte Figur des zerstreuten Professors - ein schrulliger, aber liebenswerter Eigenbrötler, Typ Robin Williams. Auf der anderen Seite aber taucht in Filmen weit häufiger der selbstsüchtige, gewissenlose und machtbesessene Forscher auf.
Prädikat: Skrupellos und gemeingefährlich
Junge schrieb an der Universität Hamburg seine Magisterarbeit zum Ekelfaktor der Chirurgie. Der sperrige Titel: "Die Okkupation des Fleisches. Konstitutionen des Selbst im Zeitalter der Transplantations-Medizin". Als er der Frage nachging, wie Organspenden in der Öffentlichkeit ankommen, entstand die Idee, sich mit Wissenschaftlern im Film zu beschäftigen. "Zwangsläufig stößt man auf die Figur des verrückten Genies", sagt Junge.
Inzwischen promoviert der 34-jährige Doktorand über die Ethisierung wissenschaftlichen Wissens. Und in seinem Buch "Wahnsinnig genial. Der Mad Scientist Reader" untersucht er die Tradition des verrückten Forschers an der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
"Schon im 18. Jahrhundert galten bestimmte Berufsträger als besonders manisch", erzählt Junge. Das Klischee habe sich bis heute gehalten, nur die wahnsinnigen Berufszweige hätten sich geändert: "Früher schrieb man Philosophen einen Spleen zu, heute traut man Naturwissenschaftlern nicht über den Weg", so Junge.
In Literatur und Film bastelt der Wissenschaftler meist mit wirrer Frisur und in weißem Kittel an seinem Projekt - "optisch ganz der Typ Albert Einstein", so beschreibt Junge den klassischen "Mad Scientist". "Soziale Trends interessieren ihn genauso wenig wie seine Mitmenschen, und im Eifer seiner Forschung handelt er völlig unpolitisch." Für seine wissenschaftliche Neugier riskiert der Klischee-Forscher gewaltigen Schaden für die Menschheit.
Stand der Technik bestimmt das Klischee
Absurde Film-Phantasie oder realistisch? Torsten Junge hat nur die mediale Darstellung ausdauernd untersucht, nicht aber ihren Wirklichkeitskeitgehalt. Er glaubt, dass es mitunter eine Entsprechung des verrückten Wissenschaftlers im wirklichen Leben gibt - und vor allem eine diffuse Angst davor, was in den Biologie- und Chemielabors geschieht. Zudem tauchten Wissenschaftler abseits von Nobelpreisverleihungen recht selten als Persönlichkeiten im öffentlichen Leben auf: "Das lässt sie mysteriös wirken", sagt Junge. Allenfalls akademische Exoten und Sonderlinge wie Gunther von Hagens sorgen für Furore, wenn sie per Anatomie-Ausstellung mit plastinierten Leichen Ethikdebatten auslösen.
Welche Fachrichtung in der Filmindustrie als besonders durchgeknallt galt, bestimme der Stand der Technik, so Junge. Im Zeitalter der Industrialisierung erschienen Physiker und Elektriker geheimnisvoll, wie etwa der besessene Erfinder Rotwang im Film "Metropolis" (1927), der mit Elektrizität ein künstliches Geschöpf zum Leben erweckt.
Im Atomzeitalter der fünfziger und sechziger Jahre erregten Kernforscher die Gemüter: In Stanley Kubricks satirischem Film "Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben" von 1964 plant ein verrückter Wissenschaftler die Neuordnung der Welt durch gezielten Abwurf von Atomraketen. Auch in einigen James-Bond-Filmen sind es irre Forscher, die nach der internationalen Herrschaft trachten - zugleich tauchen seit 1979 auch Wissenschaftlerinnen auf, aber mehr als kurvige Bond-Gespielinnen.
Mit dem Aufkommen von Computern in den achtziger Jahren lockten Roboter die Menschen in die Kinos: In "Robocop" (1987) ersetzt ein skrupelloser Multikonzern Polizisten durch kämpfende Cyborgs. In "Blade Runner" (1982) züchtet Forscher Tyrell täuschend echte Robotermenschen - ein Plot, der in etlichen anderen Filmen weitere Varianten erfuhr.
Gruselfaktor Chirurgie
Der Wandel von Wissenschaft und Technik weckt inzwischen auf anderen Feldern Furcht, etwa vor Eingriffen in die Entwicklung des Lebens: Genforscher klonen Erbsubstanz, Affenköpfe werden verpflanzt. "Heute sind es eher Biologen und Mediziner, die als besonders gruselig gelten ", meint Junge.
Zu ähnlichen Ergebnissen wie Torsten Junge kamen auch Forscher und Studenten der Universität Bielefeld in einem Projekt, in dem sie ebenfalls "Typen, Stereotypen und Mythen der Film-Wissenschaftler" untersuchten. Die Soziologen nahmen über 220 Spielfilme der letzten hundert Jahre unter die Lupe. Und stießen immer wieder auf den "mad scientist", mal besessen von der Gier nach Macht, Ruhm oder Geld, mal auch mit hehren Zielen und Opfer von Selbstversuchen.
"Die künstliche Erschaffung menschlichen Lebens ist der stärkste Mythos von allen", so die Bielefelder Wissenschaftler. Und: "In Filmen des gesamten westlichen Kulturkreises ist das vorherrschende Bild des Naturwissenschaftlers das eines bösen, gefährlichen und wahnsinnigen Mannes." Furcht vor der Wissenschaft sei zugleich die Furcht vor Macht, Veränderung und Kontrolle, die normale Menschen entmachte und und überwache.
Das deckt sich mit den Erkenntnissen von Torsten Junge. Warum Wissenschaftler dieses schlechte Image haben? "Es handelt sich meist um eine Warnung vor entfesselter Technik", sagt Junge. Filme nähmen vorweg, was mögliche Folgen von neuen Technologien sein könnten, so Junge. Die Naturwissenschaften seien dafür besonders geeignet, weil die Menschen zusätzlich Angst vor dem Unbekannten entwickelten. Ein unberechenbarer und gemeingefährlicher Wissenschaftler ist damit das Patentrezept für einen guten Horrorstreifen.