Frankreichs Studentenführer Julliard Schwiegermutters Liebling als Chef-Rebell
Paris - Bruno Julliard könnte der Traum jeder Schwiegermutter sein: ruhig, höflich, bescheiden, die braunen Haare kurz geschnitten und immer korrekt gekleidet. Das Gegenbild eines Revoluzzers. Doch der Regierung in Paris bereitet der Vorsitzende von Frankreichs größter Studentenorganisation Unef seit Wochen schlaflose Nächte. Denn der 25-Jährige ist treibende Kraft an der Spitze der Bewegung gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes, die inzwischen Hunderttausende auf die Straße und Premierminister Dominique de Villepin in Bedrängnis bringt.
Julliards Handy hört in diesen Tagen nicht mehr auf zu klingeln. "Eine Diskussionsrunde um 18.30 Uhr? Hab ich schon dreimal gemacht, aber o.k.", sagt er, während er an der Universität von Créteil bei Paris seinen ersten Kaffee trinkt. Kurz darauf noch ein Fernsehsender: "Einverstanden." Als Nächstes ein Fotograf, der einen Termin für Bilder abmachen will.
Um 10 Uhr verteilt Julliard Flugblätter für eine Vollversammlung. "Das ist wichtig, kommt", drängt er. Ein Kommilitone spricht ihn an: Sein Kurs sei noch nicht richtig mobilisiert, klagt er dem Unef-Chef. "Aber die mögen dich doch", erwidert der. "Steig auf den Tisch und sag ihnen, dass sie alle morgen zur Demo kommen sollen."
Kühler Kopf hinter den Kulissen
Privatleben habe er keines mehr, sagt Julliard und fügt gleich an: "Alle, die sich engagieren, arbeiten Tag und Nacht." Dem Jurastudenten, dessen Markenzeichen Rollkragenpullover in gedeckten Farben sind, ist seine landesweite Berühmtheit durch die Proteste nicht zu Kopf gestiegen. Er sieht sich als Moderator und nimmt die eigene Person zurück. "Man muss der Bewegung dienen, die sich im Laufe der Wochen verändert", sagt Julliard, der mit seiner Wahl zum Unef-Vorsitzenden im Juli demonstrativ aus der Sozialistischen Partei (PS) ausgetreten ist. "Ich versuche, das darzustellen, was die Mehrheit denkt."
Dabei ist Julliards Wortwahl in den vergangenen Wochen härter geworden. Häufig ist inzwischen von "Enttäuschung" und "Wut" die Rede. Vor allem Bildungsminister Gilles de Robien muss einstecken: "Lügner", "Betrüger" oder "Pyromane" wurde er von Julliard schon genannt.
Doch wirklich gefährlich für die Regierung ist der Unef-Chef, wenn er hinter den Kulissen kühl und zielstrebig daran arbeitet, die Bewegung am Laufen zu halten. Am Montag drängte er die teilweise zögernden Gewerkschaften, für den nächsten Protesttag auch Streiks auszurufen, um "zu einer höheren Stufe der Mobilisierung überzugehen". Der erhoffte Aufruf zum Generalstreik wurde es dann nicht, aber breit gefächerte Arbeitsniederlegungen wird es am 28. März geben.
"Es ist die Straße, die regiert"
Während Premierminister Dominique de Villepin Bereitschaft zu kleinen Zugeständnissen signalisiert und demonstrativ den "Dialog mit der Jugend" sucht, hält Julliard nicht viel von solchen Gesprächen. "Die Regierung hat uns diese Reform aufgezwungen, ohne irgendjemanden zu fragen", sagte er. "Zu Verhandlungen sind die nur bereit, wenn eine Million Menschen auf den Straßen demonstrieren. Darum lehnen wir Gespräche ab, bis sie ihre Pläne zurückziehen."
Am Dienstag kam es zwar zu einem Gespräch zwischen Regierungs- und Studentenvertretern - aber einen großen Durchbruch gab es nicht. In Paris, Nantes, Toulouse und Clermont-Ferrand demonstrierten erneut Tausende Menschen gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform. "Es ist die Straße, die regiert", riefen die Studenten. Die meisten Universitäten werden weiter bestreikt. Die Proteste griffen auch auf Schulen über; nach Angaben des Schülerverbands FIDL war jede vierte der 4370 Oberschulen blockiert.
Trotz der immer weiter anschwellenden Protestwelle sieht Julliard keine wirklichen Parallelen zur Studentenbewegung vom Mai 1968. "Die Bedingungen und Ursprünge sind heute ganz andere." Lediglich im Ergebnis gebe es Ähnlichkeiten: "den Willen einer großen Zahl von Jugendlichen, die Gesellschaft abzulehnen, die zur Zeit errichtet wird". Julliard will weitermachen, bis die Regierung den umstrittenen Contrat première embauche (CPE) zurücknimmt, der Unternehmen bei Berufseinsteigern zwei Jahre lang Kündigungen ohne Grund ermöglicht. "Das kostet mich im Studium ein paar Monate, aber das ist es wert."
Von Martin Trauth, AFP