Reste in der Mensa Ich esse das, was du nicht isst

Lebensmittel gehören nicht in den Müll, sagen Freiburger Studenten - und essen deshalb in der Mensa das, was ihre Kommilitonen übrig lassen. Nur das Besteck bringen sie lieber selbst mit.
Von Sebastian Bargon
"Bänderer" Sheila, Jan, Georg und Martin in der Freiburger Mensa

"Bänderer" Sheila, Jan, Georg und Martin in der Freiburger Mensa

Foto: Sebastian Bargon

Sie könnten sich für ein paar Euro eine frische, warme Mahlzeit kaufen. Aber sie verspeisen lieber das, was ihre Kommilitonen übrig lassen. In der Mensa der Freiburger Uni warten Studenten darauf, dass andere die Reste ihres Mittagessens aufs Geschirrband stellen - um sie dann abzugreifen, bevor sie im Müll landen. Sie haben sogar eine eigenen Bezeichnung für sich erfunden: "Bänderer".

Eklig? Nein, sagen Sheila, Jan, Georg und Martin. Die vier Biologiestudenten Anfang 20 gehören zu den inzwischen mehr als drei Dutzend Leuten, die in der Freiburger Mensa "bändern". Seit Kurzem steht vor den Förderbändern eine Trennwand, die es für sie schwieriger machen soll, an die Tabletts zu kommen. Doch von "der Mauer", wie sie die Wand nennen, lassen sich die Studenten nicht abhalten.

UniSPIEGEL-Autor Sebastian Bargon hat sich zu ihnen gesetzt und sie nach ihrer Motivation gefragt. Daraus ist folgendes Gespräch entstanden:

Sheila: Man sieht ja, ob die Sachen in Ordnung sind. Vielleicht hat jemand eine Grippe, aber davon wird man nicht sterben. Es werden so viele Lebensmittel weggeschmissen, vor allem in Europa. Das Essen hier ist nicht teuer, ich könnte es mir theoretisch leisten, darum geht es nicht. Es ist eine Art zu leben, die aufregender ist, als wenn man sich immer alles nur für Geld kauft.

Georg: Das ist ein doppelter Bumerangeffekt: Dass man einerseits Geld spart und andererseits die Welt damit ein Stückchen besser macht. Besonders ist auch die Gemeinschaft unter den Bänderern. Man sitzt beim Essen nicht isoliert da, es ist wie eine große Familie. Wenn es was Gutes gibt wie Pommes und man sieht, dass ein anderer es sich auch holen wollte, gibt man ihm etwas ab. Ich habe hier ganz viele neue Freunde kennengelernt.

Sheila: Wie die Dame, die da drüben saß. Wir haben mit ihr geteilt, was wir bekommen haben. Man schenkt sich ein Lächeln und freut sich, dass man gemeinsam ein schönes Erlebnis hat.

Martin: Rein rechtlich gesehen ist es, glaube ich, Diebstahl, was wir betreiben. Aber die Mensa hat es früher toleriert, und zur Mauer kam es nur, weil es Probleme gab mit der Entsorgung der Tabletts.

Resteessen in Freiburg

Resteessen in Freiburg

Foto: Sebastian Bargon

Georg: Wenn man die Teller nicht richtig stapelt, bleibt das Band stehen. Die Mitarbeiter in der Küche müssen dann hier hoch und alles aufräumen. Wir sehen oft genug, dass andere Studenten, die nicht bändern, mit gestapelten Sachen kommen. Aber es wurde sofort angenommen, dass wir daran schuld sind. Deswegen die Mauer. Und das Argument von einer Mitarbeiterin war: Wir sind ja sowieso eine Wegwerfgesellschaft.

Martin: Viele Leute kaufen sich Essen, nehmen eine Gabel davon, stellen es weg und sehen es als ihr Eigentum an, über das sie jetzt verfügen. Sie verstehen gar nicht, dass sie so Lebensmittel verschwenden.

Sheila: Ich finde es einfach dreist, wenn Leute sagen, dass Abfall nicht gegessen werden darf von anderen. Mir bleibt der Sinn dahinter komplett verborgen.

Georg: Schockierend ist, wenn man hinter dem Band sitzt und jemand mit Essen kommt und es vor deinen Augen in den Mülleimer schmeißt. Aber das Gegenbeispiel gibt es viel öfter, dass Leute mit dem Tablett kommen und sagen: Hey, ich kann nicht mehr, willst du das noch?

Martin: In einer Familie essen auch alle aus demselben Topf. Es ist nicht wirklich eklig, wenn da jemand anderes dran war. Und man sieht den Leuten auch an, ob sie gerade sehr krank sind.

Georg: Zu mir hat mal jemand gesagt: Das kannst du ruhig essen, aber ich bin gerade krank. Ich habe gelächelt, gedankt und es wieder abgestellt.

Sheila: Das Risiko einer Tröpfcheninfektion besteht auf jeden Fall. Deshalb bringt man sich sein eigenes Besteck mit.

Georg: Wir nehmen immer eigene Gabeln.

Jan: Man muss ja nicht unnötig viele Keime aufnehmen. Wer weiß, wie viel Speichel da dranhängt und was die Person hatte.

Georg: Ich bändere schon länger und hatte noch nie etwas, das ich direkt aufs Bändern zurückführen könnte. Und noch eine Theorie: Vielleicht hat unsere Darmflora eine größere Diversität an Keimen, so dass wir besser gerüstet sind.

Jan: Bändern stärkt das Immunsystem.

Sheila: Das ist auf jeden Fall eine schöne Theorie.

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