Harvard-Schnappschuss "Wir sind gegen Sie, Mr. President!“

Über 1200 Studenten und Dozenten schwänzten am Donnerstag in Harvard die Vorlesungen und demonstrierten gegen den Irak-Krieg. Manche Professoren wittern schon eine Protestkultur wie zu Vietnamzeiten - doch noch kocht der Campus nicht wirklich. Zum Start der neuen Serie "Harvard-Schnappschuss" berichtet Gregor Schmitz über das liberale Dilemma an der US-Vorzeigehochschule.

Das ist hier immerhin Harvard, deshalb darf selbst in gebrüllten Protestreden Thomas Jefferson nicht fehlen und schon gar nicht James Baldwin. Der hat geschrieben, eben weil er Amerika so liebe, kritisiere er es ständig - und eigentlich wäre Baldwin Thema in Englisch 176a, "American Protest Literature“, in Raum 201 in Harvard Hall.

Aber Tim Mc Carthy, einer der Dozenten des Kurses, steht statt im Hörsaal auf dem Harvard Yard vor der bronzenen Statue des Unigründers John Harvard, und er macht nach Baldwins Satz über Vaterlandsliebe mit eigener Protestprosa weiter: “Saddam ist ein Diktator, aber George W. Bush wird gerade auch einer“, schreit Mc Carthy ins Mikro und legt nach: “Wenn Bush fragt, ob wir für ihn oder gegen ihn sind, ist die Antwort leicht: Wir sind gegen Sie, Mr. President.“

Mc Carthy’s Studenten klatschen dazu begeistert, und die rund 1200 anderen Harvard-Studenten auch, die sich auf dem Yard eingefunden haben, bewaffnet mit Schildern wie "Werft Bush raus, nicht Bomben“. Die "Harvard Initiative for Peace and Justice“ hat aufgerufen, am Tag des Kriegsbeginns aus den Klassen zur Demo zu marschieren - und wie um den verpassten Unterricht gutzumachen, hört sich der Protest der Studenten und einiger Dozenten manchmal wie ein schlaues Seminar an.

Eine Studienanfängerin legt fast wie in einer Logikübung dar, warum man nicht die Schwäche des irakischen Militärs als Grundlage für die Kriegsstrategie nutzen und zugleich Saddam als eine Riesengefahr darstellen könne. Aber selbst so komplizierte Gedankengebäude werden stürmisch bejubelt, und zwei Organisatoren der Demo stoßen sich an: “Hätte nie gedacht, dass das hier so groß wird.“

Hätte kaum jemand in Harvard. Noch am Mittwoch, als ein paar tapfere Friedensaktivisten Kommilitonen mit einem Stand vor den Hörsaalgebäuden zum Protest mobilisieren wollten, war der Tisch eines Busservices gegenüber (Donuts für lau!) weit populärer. Eine Woche vorher gingen die Ankündigungen der ersten großen Demo fast unter vor lauter Postern für die März-Party des Hawaiiclubs und den Miss-Harvard-Wettbewerb - es kamen nur 250 Leute.

Dabei fehlte es schon da nicht an Skepsis über diesen Krieg: Cambridge, die Heimatstadt Harvards, gilt zu Recht als einer der liberalsten Orte Amerikas. Werden Bushs Ansprachen live in Harvards Wohnheime oder Hörsäle übertragen, ernten seine Passagen über "bad people“ draußen in der Welt und Amerikas Bündnis mit Gott eher spöttisches Gelächter als patriotische Gänsehaut. Und wenn wie vor ein paar Tagen rechte Studenten eine Demo gegen kriegsunlustige Franzosen organisieren und "Kauft Bier statt Champagner“ schreien, sind im Nu genug Gegendemonstranten zur Stelle, die sich Baskenmützen aufsetzen und filterlose Zigaretten als Protest rauchen.

Aber es blieb bis Donnerstag halt weitgehend bei studentischem Grummeln oder akademisch höflicher Kritik von Professoren, die Vorlesungszeit für Diskussionen über "bad leadership“ abknapsten - wobei einige Lehrer auch echte Rollenwechsel hinlegten. Michael Ignatieff, ein Menschenrechtsexperte an der Kennedy School of Government und plötzlich ein Kriegsbefürworter, animierte gar die "New York Times“ zu einem Artikel über das "liberale Dilemma“, in dem wohl auch mancher Harvard-Student steckt: In Bosnien und Kosovo, sagt Ignatieff, sei Gewalt schließlich eine gute Idee gewesen. "Und Saddam Hussein ist einfach schrecklich.“

An Saddam erinnert auch der einsame kriegerische Kommilitone, der es geschafft hat, sich mit seinem Schild "Befreit Irak!“ während der Demo gleich neben John Harvards Statue zu schmuggeln - und prompt von den Fernsehsendern interviewt wird. Weiter abseits sind vier konservative Studenten in Militärkleidung noch radikaler: “Ich liebe Bush und Rumsfeld“, steht auf ihrem Plakat unter einem großen roten Herz. "Unterstützt unsere Truppen“, rufen sie zu den anderen Demonstranten - und die schreien zurück, sie sollten sich doch freiwillig zum Krieg melden und ihr Leben geben...

Militärdienst ist nicht populär in Harvard: Im 1. Weltkrieg kämpften 11.000 Studenten und Lehrer, in Zeiten der Freiwilligenarmee wurden 2002 nur drei von rund 1600 Absolventen zu Offizieren. Chris Shim hat in seiner Harvard-Abschlussarbeit gerade herausgefunden, dass rund jeder dritte Student am College die militärische Ideologie ablehnt - und so ist prompt Höhepunkt der Friedensdemo die Rede des Studenten Mike Getlin, der unter Jubel erklärt, er habe sich wegen der Irak-Politik entschieden, seine Bewerbung für die Offiziersschule der Marine zurückzuziehen.

Ist das schon eine Reminiszenz an Vietnamzeiten, als Studenten ihre Einberufungsbescheide verbrannten? Stanley Hoffmann, der Altmeister für Internationale Beziehungen in Harvard und Gegner einer Irak-Intervention, sieht mehr Proteststimmung als zum Beginn des damaligen Konflikts. Doch 1200 Demonstranten ist bei allein 18.000 Studenten nicht so furchtbar viel, auch wenn einige später in Boston gar Brücken blockieren.

In der Studentenzeitung war der Leitartikel zur Reform der Kursauswahl weit länger als der zum Krieg. Und Lexy Vanier, eine der Rednerinnen bei der Demo, feuert zwar ihre Kommilitonen mit Verve an, die Nachwelt werde sie danach beurteilen, welchen Widerstand sie in diesen Tagen geleistet hätten. Doch während Vanier noch redet, umarmen sich vor den nahen Wohnheimen schon Studenten, die auf dem Weg in die Frühlingsferien sind - nach Florida oder Mexiko.

Nächste Woche mag Krieg toben und der Mantel der Geschichte wehen, aber in Harvard ist auch Spring break.

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