Heavy Metal in Jordanien "Die Leute glauben, dass wir Tierblut trinken"

Angeblich feiern sie Orgien und beten zu Satan. Dabei wollen sie nur spielen - nämlich Heavy Metal. In Jordanien ecken junge Metal-Fans mit ihrer Musik und Kleidung ständig an, Konzerte werden verboten, CDs beschlagnahmt. Dennoch vibriert die Szene.
Von Kathrin Streckenbach

Von außen ist nichts zu sehen. Nur eine weiße Wand und eine grüne Eisentür. Nasser, 22, kramt den Schlüssel aus der Tasche und sperrt auf: "Geht einfach die Treppe runter, links an der Toilette vorbei, dann seid ihr im Proberaum." Im Keller ist es düster. Auch als Nasser das Licht anschaltet, sieht man nicht viel mehr als die Treppenstufen.

"Underground-Musik", sagt er und muss lachen. Die Tür schließt er sorgfältig hinter sich ab: "Vor einiger Zeit war jemand vom Geheimdienst hier, seitdem sind wir vorsichtiger geworden." Das klingt ein wenig dramatisch, für einen kurzen Moment ist man sich nicht sicher, ob es als Witz gemeint ist.

Geheimdienst, wieso das denn? "Wir sind Heavy-Metal-Musiker", sagt Nasser. "Das kann in unserem Land einen Haufen Ärger bedeuten." Denn wer in Jordanien Metal hört, bekommt nicht nur Stress mit Nachbarn, die sich über den Lärm beschweren - "hier kann man dafür sogar im Gefängnis landen".

Nasser ist bereit, das Risiko einzugehen: Vor drei Jahren hat er gemeinsam mit seinem Freund Adnan, 22, die Black Metal-Gruppe "Infested Mind" gegründet. Mit Zeid, 23, Drummer einer befreundeten Band, sitzen sie im Proberaum. Alle drei studieren in Jordaniens Hauptstadt Amman an der School of Audio Engineering, die Toningenieure, Grafiker, Multimedia-Spezialisten sowie Film- und Musikproduzenten ausbildet. Sie tragen schwarze T-Shirts und Turnschuhe, haben die Zigarette in der einen Hand, die Bierdose in der anderen. Harmlos, denkt man. "Aber die Leute hier glauben, dass wir Tierblut trinken", sagt Adnan.

Bugs-Bunny-Shirt beschlagnahmt

In einer Gesellschaft, die ohnehin viele Jugendliche zum Spagat zwischen Tradition und Moderne zwingt, ecken die Metal-Fans mit ihrer scheinbar aggressiven Musik und den schwarzen Klamotten an. "Sie sagen, wir veranstalten Orgien auf unseren Konzerten, nehmen Drogen und beten den Teufel an", sagt Nasser. Ein Vorwurf, über den er nur lachen kann. "Wir sind gläubige Muslime. Wir beten zu Gott und nicht zu Satan."

Heavy Metal gibt es in arabischen Ländern noch nicht lange: Die ersten Konzerte fanden in den neunziger Jahren statt, begleitet von Ärger mit der Polizei. 1997 wurden bei einer Razzia in Ägypten rund 70 Jugendliche verhaftet. Die Polizei nahm alles mit, was ihnen in deren Zimmern verdächtig vorkam: Poster, CDs und Kassetten – sogar ein schwarzes T-Shirt mit Bugs-Bunny-Aufdruck.

Im März 2003 stürmten Polizisten ein Metal-Konzert in Marokko und nahmen 14 Jugendliche fest, die zu zwölf Monaten Haft verurteilt werden sollten. Begründung: Metal-Musik untergrabe den muslimischen Glauben und die Moral in der Gesellschaft. Daraufhin gingen 500 Jugendliche auf die Straße - und das Urteil wurde aufgehoben.

Nur Geheimkonzerte sind möglich

In Jordanien gab es in der letzten Zeit keine Festnahmen mehr. "Aber das liegt einfach daran, dass sie unsere Konzerte gleich verbieten. Wenn wir Plakate aufhängen oder Flyer verteilen, sind die Leute vom Geheimdienst die ersten, die anrufen", sagt Nasser.

Er nimmt die Gitarre in die Hand und nickt Adnan zu. "Was spielen wir?", fragt er. Adnan legt am Schlagzeug einfach los. Der Bassist fehlt, er ist im Ausland. Nasser und Adnan stört das nicht. Es wird laut im Proberaum, für die nächsten Minuten sind die beiden völlig in ihr Spiel vertieft.

"Das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und auf Tausende Metal-Fans zu schauen, die alle das gleiche fühlen wie du, das ist unglaublich." Wann er das letzte Mal richtig aufgetreten ist - er kann sich kaum erinnern: "Lange her. Konzerte sind im Moment nur im Geheimen möglich. Wir haben außerhalb von Amman ein Haus, Richtung Flughafen. Da können wir uns manchmal zu einem Gig treffen." Ein richtiges Konzert ersetze das aber nicht.

"Heavy Metal-Fans seien Sturköpfe. Wir schaffen es irgendwie weiterzumachen", sagt Muhannad Bursheh, 22. Er studiert ebenfalls an der School of Audio Engineering, spielt in gleich vier Death-Metal-Bands und hat erst vor kurzem im Keller seiner Eltern das Studio "Phexataan" eröffnet. Wer ihn besuchen will, muss durch Garage, Hintertür und Küche und dann die Treppe hinunter.

"Satanismus ist verboten"

Die Wände des Studios sind dunkelrot bemalt, überall stehen Bierdosen und Aschenbecher, die Luft ist stickig. "Im Moment arbeite ich an zwei Alben", sagt Muhannad, "ich hoffe, dass es noch mehr werden." Denn trotz aller Probleme mit Geheimdienst und Polizei gibt es derzeit etwa zehn Metal-Bands in Jordanien. "Und insgesamt sind wohl 700 Leute in der Szene aktiv." Bei sechs Millionen Jordaniern zwar eine geringe Anzahl, doch die Szene wachse auch durch die Repressionen, sagt Muhannad: "Das ist ein einfaches Prinzip. Was verboten ist, gewinnt an Reiz."

Mit der Metal-Szene wächst das staatliche Misstrauen. Wer sich als Außenstehender in Ministerium oder Behörden nach den Heavy-Metal-Fans erkundigt, bekommt nach unzähligen erfolglosen Telefonaten immer die gleiche Antwort: "Damit habe ich nichts zu tun, fragen Sie jemand anderen."

Die gleiche Reaktion auch bei der Polizei: Keiner möchte zuständig sein. "Wir haben zwar nichts gegen die Musik. Aber Satanismus ist verboten", sagt schließlich einer der Polizisten, der seinen Namen nicht nennen möchte. Der Frage, was beides miteinander zu tun hat, weicht er aus. "Jeder Musiker, der eine Lizenz hat, kann ein Konzert veranstalten." Warum aber bekommen Metal-Fans keine Lizenz? "Das entscheidet jemand anderes, dafür bin ich nicht zuständig."

Ein Lockenkopf fällt auf

Adnan hat vor einiger Zeit versucht, die Polizei zu einem Konzert einzuladen. "Ich dachte, wenn die Regierung mehr über uns weiß, dann hätte sie auch keine Probleme mehr mit uns." Aber auf seinen Brief bekam er keine Antwort.

"Es gibt keine andere Musikszene, die so von Vorurteilen belastet ist wie die der Heavy-Metal-Fans", sagt der jordanische Musikjournalist Iwad Hamam. "Und zwar nicht nur von der Seite der Behörden, sondern auch von der Gesellschaft." Missbrauch von Alkohol und Drogen werde auch anderen Musikern vorgeworfen. "Aber die Metal-Fans haben schon deshalb mit mehr Vorurteilen zu kämpfen, weil sie mit ihrem Äußeren überall anecken."

Die Musiker heben sich deutlich von anderen arabischen Jugendlichen ab. Muhannad trägt eine Schirmmütze, auf seinem T-Shirt prangt das Cover einer Metal- Band. Sein Freund Hani sitzt neben ihm auf dem Sofa, die langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, er trägt eine beige Army-Hose. Nasser wird bei Familienfesten sogar von Verwandten angestarrt – wegen seines Lockenkopfes.

Trotz der zahlreichen Probleme kommt es für keinen von ihnen in Frage, die Musik aufzugeben. "Heavy Metal ist magisch", sagt Adnan. "Heavy Metal ist alles", sagt Nasser. Und Hani würde dafür sein Leben geben - oder zumindest die Heimat: "Wenn sich die Situation in Jordanien nicht bessert, wäre die Musik für mich definitiv ein Grund, Jordanien zu verlassen."

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