Hochschulpakt Feilschen um die Milliarden-Formel
Nie waren sie so begehrt wie heute: Studienplätze. Die Nachfrage wird in den nächsten Jahren geradezu explodieren. Bis 2013 drängeln sich 2,7 Millionen Studenten in den notorisch klammen Hochschulen - 700.000 mehr als bisher. So prophezeien es die Wissenschaftsminister der Bundesländer. Um den Ansturm zu bewältigen, wollen sie einen Hochschulpakt schmieden. Doch herausgekommen ist außer viel Gezänk bislang nur eine ulkige mathematische Formel.
Wenn sich die 16 deutschen Wissenschaftsminister am Freitag in Dresden treffen, sollten sie die Taschenrechner nicht vergessen. Sonst werden sie nie begreifen, wie viel sie von den Bundesmillionen für den Ausbau der Studienplätze erhalten. Dafür ist nach Informationen von Teilnehmern folgende Formel im Gespräch:
Ermittle den Zuwachs der Studienanfänger von Jahr zu Jahr. Multipliziere sodann mit dem Quotienten von Studienanfängern und Abiturienten des Landes. Das ergibt den Zuschlagsfaktor. Berechne nun den prozentualen Anteil deiner Landesstudienanfänger an allen deutschen Erstsemestlern - und multipliziere diese mit dem Zuschussbetrag des Bundes und mit dem Zuschlagsfaktor. Kommst du aus den neuen Ländern, addiere 25 Prozent. Kommst du aus Berlin, lege einen Zuschlag von acht Prozent obendrauf.
Werden deutsche Studenten die Formel lustig finden? Seit Jahren müssen sich je 1,8 Studiosi einen Studienplatz teilen. Und auch die frischen Abiturienten lernen schnell, wie Universität 2000plus aussieht: Vier Bewerber rangeln in Medizin um einen Platz. Der Numerus clausus in Tiermedizin liegt bei einem Abi-Schnitt von 1,0. Wie eine Pestepidemie infiziert der NC längst auch die Bachelor-Studiengänge: In Berlin sind 92 Prozent zulassungsbeschränkt, in Hamburg 86, in Baden-Württemberg 81 Prozent.
Wissensgesellschaft sieht anders aus.
Im Dauergezänk zwischen Bund und Ländern haben die Hochschulen schon viele erbarmungswürdige Politikspektakel erdulden müssen, zuletzt bei der Exzellenzinitiative. Beim Hochschulpakt allerdings drängt die Zeit: Die Länder müssen flink zugreifen - noch vor der nächsten Verhandlungsrunde zur Föderalismusreform.
Verlierer sieht der Föderalismus nicht vor
Von den 1,13 Milliarden Euro extra für neue Studienplätze will der Bund die Hälfte geben, die Länder geloben, sich an der Finanzierung irgendwie zu beteiligen - meist nur vage. Allein Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben schon konkrete Ausbaupläne vorgestellt.
Nach langer Kulissenschieberei könnten sich die Wissenschaftsminister nun in Dresden tatsächlich einigen. Dann müssen nur noch die Ministerpräsidenten zustimmen; der erwartete Studenten-Zustrom wäre leidlich gegenfinanziert. "Wir sind uns alle einig, dass wir für den erfreulichen Anstieg der Studentenzahlen etwas unternehmen müssen", zeigte sich Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE optimistisch. Und drohte zugleich: "Eine zweite Untertunnelung des Studentenbergs mache ich nicht mit. Wir brauchen bis 2010 in Deutschland 90.000 echte neue Studienanfängerplätze."
Doch der Optimismus ist gespielt. Alle Beteiligten sind, wie SPIEGEL ONLINE aus Teilnehmerkreisen erfuhr, "hochgradig genervt" über die zähen Gespräche. "Einige Länder ergehen sich darin, immer neue komplizierte Verteilungsmodelle zu entwickeln", sagt einer. Die Spitze richtet sich gegen die beiden Koordinatoren von SPD- und CDU-Ländern, Jürgen Zöllner (SPD, Rheinland-Pfalz) und Jan-Hendrik Olbertz (Sachsen-Anhalt). Sie haben die verzwickte Formel entworfen. Ein anderer Teilnehmer sagt, die Hilfsprogramm-Verhandlungen hätten etwas Verlogenes: "Bei der Föderalismusreform wollten viele Bundesländer den Bund unbedingt raus haben - und jetzt halten sie alle die Hand auf, um was vom Bundesgeld abzubekommen."
Trend zur Schrumpf-Uni im Osten
Genau darum geht es im Kern: bloß nicht leer ausgehen, wenn es schon mal was zu verteilen gibt. Wo der heilige Föderalismus regiert, müssen ja stets alle Länder zustimmen. Und alle Länder nennen auch gute Gründe. Im Westen drängen die letzten geburtenstarken Jahrgänge ins Studium, obendrein 2012 und 2013 die doppelten Abi-Jahrgänge. Daher stehen die Westländer in der Ausbau-Pflicht.
Der Osten argumentiert just umgekehrt. Dort sinken die Studentenzahlen stark. Folglich knausern die Finanzminister - und wollen die Kapazitäten schrumpfen lassen. "Wenn wir unterstützt werden, können wir die Studienplätze gern halten", sagt Sachsens Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD). Und gleich folgt die Drohung: "Ansonsten wird es hier einen deutlichen Abbau geben."
Zwischen West und Ost schlingert das völlig bankrotte Berlin. Dort naht eher die Schließung von Universitäten als ein Ausbau. Die Hauptstadt-Position: Berlins Hochschulen seien ein Magnet für Abiturienten aller Bundesländer. Man bilde weit über den eigenen Bedarf hinaus aus und habe daher ein ordentliches Stück vom Milliardenkuchen verdient.
All dies macht die Formel von Zöllner und Olbertz kompliziert, hinter der eine allseits akzeptierte Idee steht: Endlich sollen die Länder einen Anreiz bekommen, zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Jeder in der Hochschulszene, von den Rektoren und dem Gütersloher Centrum für Hochschulentwicklung über die Arbeitgeber bis zur gelb-grün-roten Opposition, huldigt dem Prinzip "Geld folgt Studenten". Wird es aber konkret, verkeilen sich die Wissenschaftsminister.
Überall galoppiert der Numerus clausus
Am Freitag - her mit dem Taschenrechner - könnte der Durchbruch gelingen. Die Opposition im Bundestag weiß derweil nicht, ob sie lachen oder weinen sollen über das Gezerre. "Die Studierenden stehen vor verschlossenen Hörsaaltüren, der Numerus clausus wird zum Regelfall", zürnt Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen, "es wird Zeit, dass Frau Schavan endlich aufwacht und die Länder zur Vernunft bringt."
Ein frommer Wunsch. Denn Annette Schavan (CDU) sieht sich als Bundesforschungsministerin, nicht als Bildungsministerin. Mit Inbrunst vertritt sie das Credo der Kulturhoheit der Länder. Und hält eisern daran fest, den dicksten Batzen für die Forschung zu spendieren - obwohl der Pakt doch der schwächelnden Lehre, nicht den Laboren helfen soll. 700 Millionen Euro sollen über die Deutsche Forschungsgemeinschaft in die Länderwissenschaft fließen. Und das wenige Wochen, nachdem via Exzellenzinitiative bereits ein milliardenschwerer Zuschuss für Forschung bewilligt wurde.
Schavans Argument für den Missbrauch eines Teils des Hochschulpakts für die Forschung: Nur so könne sie die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten einhalten. Was Schavan nicht sagt: Wegen des großen Studieninteresses war im Frühsommer bei den Föderalismusverhandlungen eigens die Möglichkeit eines direkten Bundeszuschusses in die Lehre ermöglicht worden. Also könnte der Bund sogar Professoren bezahlen, wenn es im gesamtstaatlichen Interesse ist und die Landesfürsten nicht widersprechen. Das aber gibt Schavan allenfalls auf Nachfrage zu.