Jung, erfolgreich, kreuzunglücklich Die Krise der Mittzwanziger
Daisy hat Angst. Unsicher und verwirrt fühlt sie sich - und fragt sich täglich: Was soll nur aus mir werden? Dabei klingt ihr Lebenslauf nach Erfolg: Mit 23 Jahren hat Daisy ihr Soziologie-Studium beinahe in der Tasche. Ein Schein fehlt ihr noch, dann könnte sie voll ins Berufsleben durchstarten. Doch bislang kassierte sie auf Bewerbungsschreiben nur Absagen. Nun befürchtet sie, nie den richtigen Job zu finden.
"Ich kann mich einfach nicht für einen Beruf entscheiden", klagt Daisy im Cyberspace. Im Forum der Website quarterlifecrisis.com chattet sie mit Grumpy, ValentineGirl und M4A1. Alle sind Mittzwanziger, die Daisys Probleme kennen und ihr tröstende E-Mails schicken: Du bist nicht allein, uns geht es genauso - das sind Symptome der Quarterlife Crisis (QLC).
Zwischen Leichtsinn und Schwermut
Bislang kannte man nur die Midlife Crisis: alternde Männer mit grau meliertem Haar, die den trüben Alltag satt haben und es noch einmal richtig krachen lassen wollen. Mit einer blutjungen langbeinigen Gespielin im Arm mimen sie den wilden Mann - düsen im Porsche durch Berlin-Mitte oder München-Schwabing, schlürfen Martini und feiern in Szene-Clubs bis in die frühen Morgenstunden.
Doch die Midlife Crisis ist Schnee von gestern. Abby Wilner und Alexandra Robbins haben ein neues Phänomen entdeckt - die Sinnkrise nach dem ersten Lebensviertel. Und weil jede Trendkrankheit auch einen poppigen Namen braucht, tauften sie die Depression der Mittzwanziger flugs Quarterlife Crisis. Bis es aber so weit kommen konnte, mussten die beiden jungen Frauen einiges erdulden. Schließlich zählten sie zu den ersten Opfern der Quarterlife Crisis.
Irgendwann hatten Robbins, 26, Journalistin, und Wilner, 27, Web-Designerin, ihre Jobs satt. Beide waren beruflich erfolgreich, doch der Büroalltag nervte sie. Auf Partys fragten sie Freunde und Bekannte: Fühlst du dich auch leer und orientierungslos? Und stellten fest: Die Post-Dotcom-Generation steckt mitten in der Identitätskrise.
Frank, der 23-jährige Workaholic
Mutierte der Mittvierziger noch zum Lebemann, weil er das traute Heim mit liebevoller Ehefrau plötzlich staubig und speckig fand, sehen die Seelenqualen der Mittzwanziger ganz anders aus: Zu wenig Sicherheit und Stabilität im Leben und eine ungewisse Zukunft lösten starke Selbstzweifel aus, sagte Robbins gegenüber der "New York Times".
Rund 200 Twentysomethings interviewten die beiden Frauen, werteten ihre Ergebnisse aus und verfassten ein Buch mit dem Titel "Quarterlife Crisis". Das avancierte in den USA im vergangenen Jahr zum Bestseller und schaffte es sogar in die TV-Show von Talk-Queen Oprah Winfrey. Tausende junger Leute sprachen offen über den Druck, immer alles richtig zu machen - Job und Karriere, Familie, Freunde und Beziehung unter einen Hut zu bringen. Denn bei der Quarterlife Crisis schmerzt nicht der Körper, sondern die Seele. Betroffene leiden, weil sie zu früh zu erfolgreich waren und nun in materiellem Überfluss leben.
Im Buch beschreiben die Autorinnen zum Beispiel Frank, der sich im Alter von 23 Jahren zwei Ziele gesetzt hatte: Nach dem Studium an der US-Eliteuniversität Berkeley wollte er der jüngste Finanzmanager in der kalifornischen Automobilbranche werden und jährlich 100.000 US-Dollar verdienen. Gut drei Jahre später hatte er seine Pläne verwirklicht - und sah keine Perspektiven mehr. Er hängte den Job an den Nagel, kramte sein Hab und Gut zusammen und reiste zwölf Monate durch die Welt.
Das Leben ist schön. Und voller Probleme
Sind die krisengeschüttelten Youngster nur weinerlich und gönnen sich ein Luxusproblem, weil sie keine echten haben? Christiane Papastefanou sieht das anders. Nicht nur die Amerikaner drehen in den Zwanzigern durch, hat die Mannheimer Psychologin beobachtet. Auch in Deutschland sei die Krise nach dem ersten Lebensviertel als psychologisches Phänomen seit etwa zehn Jahren bekannt, sagte sie gegenüber UniSPIEGEL ONLINE. Junge Menschen, deren Leben eigentlich auf beruflichen Erfolg programmiert ist, sind besonders anfällige QLC-Kandidaten - frisch gebackene Hochschulabsolventen und Berufseinsteiger.
Eine 24-Jährige schreibt im deutschen Quarterlife-Crisis-Forum, dass ihr Leben eigentlich schön sei: Vor kurzem sei sie mit ihrem Freund zusammengezogen, die Beziehung laufe gut, auch mit den Eltern verstehe sie sich prima und schaffe das Studium nahezu problemlos. Trotzdem fühle sie sich innerlich zerrissen. Ständig müsse sie Entscheidungen treffen: Soll ich ein Semester länger studieren, um meine Noten zu verbessern? Wäre es nicht besser, vom Freund räumlich getrennt zu leben? Sollte sie nicht doch wieder zu ihren Eltern ziehen? Sie sei doch erwachsen, 24 Jahre alt. Richtig glauben könne sie das aber nicht.
Solche Fälle kennt Psychologin Papastefanou nur zu gut. Immer wieder kommen junge Leute in ihre Praxis und sagen: Ich habe Angst vor der Zukunft, sehe keine Perspektiven. Die Krise sei kein individuelles Problem der Betroffenen, sondern hänge mit der gesellschaftlichen Entwicklung zusammen. Die Wertvorstellungen hätten sich im Laufe der Zeit gewandelt, zugleich seien junge Menschen orientierungslos geworden.
Jahrelang sei ihnen vorgegaukelt worden: Du kannst alles machen, was Du willst. Doch keiner fragte: Was willst Du eigentlich wirklich? Architektur studieren oder BWL - Häuser entwerfen, Bilanzen studieren oder Kredite vergeben? Die Mittzwanziger hätten zu viele Optionen und könnten sich nicht mehr entscheiden, so Papastefanou. Oftmals werde das Studienfach mehrfach gewechselt: von Jura auf Germanistik, von Medizin auf Volkswirtschaft.
Der Blues nach dem Studium
Gehe die Ausbildung zu Ende, löse das bei vielen jungen Leuten einen Realitätsschock aus: Das Studium sei eine Schonzeit mit wenig Zwängen, so die Expertin. Jetzt geht es aber richtig zur Sache. Die jungen Leute müssten einen Job finden - am besten gleich den richtigen. Wollte die Eltern-Generation nur möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen, seien die heutigen Twens bei der Berufswahl viel anspruchsvoller geworden, so Papastefanou. Der Job soll nicht nur ordentlich Geld bringen, sondern auch Spaß machen.
Auch im Privatleben habe sich bei den Twens Leere breit gemacht, sagt Christiane Papastefanou. Denn schon in jungen Jahren hätten die Eltern ihnen fast nichts mehr verboten. Mit Mitte Zwanzig hätten sie bereits die fünfte Love-Parade mitgemacht und fragten sich nun: Was soll das alles - und wo ist der Kick?
Eine konkrete Lösung hat die Psychologin aber nicht. Auch das Buch hält kein Patentrezept gegen die Quarterlife Crisis bereit. Doch Abhilfe ist in Sicht: In verschiedenen amerikanischen Städten gibt es bereits Workshops und Seminare für krisengeschüttelte Mittzwanziger.
Buchtipp
- Abby Wilner/Alexandra Robbins: Quarterlife Crisis - The Unique Challenge of Life in Your Twenties. Verlag Jeremy P. Tarcher/Putnam, 16,95 Euro