Junge Banker in Finanzkrise "Wirtschaftsethik gilt doch als Laberfach"

Golden schimmerte die Zukunft für Finanz-BWLer aus Frankfurt - bis die Kreditkrise potentielle Arbeitgeber straucheln ließ und Vorbildbanker in Verruf brachte. Nun grassiert Angst am Eliteinstitut. Und mancher Student fragt sich: Was lernen wir hier über Verantwortung?

Es wird schon früh an diesem Morgen klar, dass nur noch wenig so ist wie vor drei Monaten. Reinhard Schmidt wandert hin und her auf der kleinen Bühne vorn im Hörsaal, als ließen die Ereignisse der letzten Wochen ihm keine Ruhe. "Ist dies das Ende des Kapitalismus?", fragt der BWL-Professor im makellosen schwarzen Anzug. Hinter ihm sind gigantische Balken an die Wand gestrahlt, der letzte ragt weit über seinen Kopf hinaus, Schmidt wirkt winzig davor.

1,4 Billionen Dollar sind in dieser Finanzkrise verlorengegangen, besagt die Grafik, wesentlich mehr als bei früheren Turbulenzen. "Horrifying figures", sagt Schmidt. Er spricht Englisch, schließlich bildet er in seinem "International Banking"-Kurs die Studenten immer noch zum Bachelor mit Schwerpunkt Finance aus - zum Experten für die globale Finanzwelt. Auch wenn diese Welt inzwischen vollkommen aus den Fugen geraten ist.

Man merkt die Verunsicherung nicht gleich bei Schmidts Studenten. Viele fläzen sich mit rot unterlaufenen Augen in den Holzsitzen, tuscheln miteinander, einer kaut lethargisch ein Brötchen und starrt vor sich hin. Doch unheilvolle Gerüchte machen die Runde an der Fakultät. Im Internet-Forum der Wirtschaftswissenschaften etwa. "Die Aussage ist ganz klar, keine Neueinstellungen, keine Übernahmen von Leuten in der Probezeit, keine neuen Werkstudenten in allen Bereichen", schreibt einer über die Firma, in der er arbeitet.

Dabei schien die Zukunft lange rosig. "Als wir mit dem Studium angefangen haben, war das eine Boombranche", sagt eine Studentin im Studi-Café Struwwelpeter. Und Frankfurt ist zudem nicht irgendwo: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hält hier Vorlesungen, berühmte Manager geben bei "Kamingesprächen" Tipps, und mit dem "House of Finance" wurde für 25 Millionen Euro ein schickes, interdisziplinäres Forschungszentrum aufgebaut. Es soll renommierte Wissenschaftler locken - gerade habe man ein berühmtes Ökonomen-Ehepaar aus Harvard gewinnen können, heißt es im Dekanat stolz.

"Bankchef trägt ganz andere Last als ein Lehrer"

Doch in nur drei Monaten Semesterferien hat sich die Welt auch für die Studenten komplett verändert. Unzählige potentielle Arbeitgeber sind ins Wanken geraten - große, renommierte Häuser genauso wie kleine Shootingstars. Und Banker haben ihren Ruf endgültig weg.

Sicher, sagt ein Student: BWLer, die in den Finanzbereich wollten, hätten schon immer als Leute gegolten, "die dauernd auf ihren Blackberry gucken und schon direkt nach der Uni mehr Geld scheffeln als manch einer nach einem langen Arbeitsleben". Doch ein derart mieses Image wie aktuell hatte die Finanzelite lange nicht mehr. Politiker auf der ganzen Welt machen die "gierigen" Manager von Geldinstituten verantwortlich für das Desaster, Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) will den Chefs notleidender Banken die jährlichen Bezüge auf 500.000 Euro zusammenstreichen.

"Fünf Millionen finde ich in Ordnung", sagt der Student, der die Zahl zunächst falsch verstanden hat. "500.000?", sagt er dann verblüfft. "Krass." Es gehe ihm nicht in erster Linie ums Geldverdienen, betont er - und dass so mancher Investmentbanker zwei- oder gar dreistellige Millionenbeträge pro Jahr scheffle, sei absurd. Aber 500.000 Euro für den Chef einer großen Bank? "Der trägt doch eine ganz andere Last auf den Schultern als ein Lehrer oder so", findet auch seine Kommilitonin.

Formeln zählen, nicht der Faktor Mensch

Christian Everts, 22, dagegen hofft, dass mit solchen Vorgaben vielleicht das "Ideal des ehrenwerten Bankers" wieder in der Finanzwelt Verankerung findet. Er sagt das ohne einen Hauch von Ironie in der Stimme. Es laufe "zu viel falsch" in der Finanzbranche, "auch, weil es diesen absoluten Irrglauben an die Mathematik gibt": die Vorstellung, dass jedes Risiko berechenbar sei - und damit handhabbar. "Kein Wunder, das wird uns in der Ausbildung ja so vermittelt."

An der Frankfurter Uni sei der Lehrplan noch ausgeglichener als anderswo, sagt Everts. "Aber auch hier schreiben wir vor allem Matheklausuren." Ob es um Geld und Währungen gehe oder ums Risikomanagement - "wir hantieren überall mit Formeln, mit denen etwas berechnet wird". Der "Faktor Mensch" werde viel zu wenig betrachtet. Und auch die moralische Verantwortung, die angehende Finanzfachkräfte einmal schultern müssten. Die Wirtschaftsethik-Kurse an der Uni "gelten 99 Prozent der Studenten doch als Laberfach".

Rainer Klump will das Laberfach unbedingt ausbauen. Der VWL-Professor ist Dekan der Fakultät in Frankfurt und sagt, die Wirtschaftsethik werde gerade verstärkt, wo es geht. "Vielleicht bis hin zu einer eigenen Professur." Und nach den Beben an den Finanzmärkten werde das Thema sicherlich weiter "Auftrieb" erhalten.

BWL-Professor hofft auf Kehrtwende in der Wissenschaft

Klump will den Vorwurf nicht gelten lassen, dass an der Ausbildung künftiger Finanzmarktgrößen doch etwas nicht stimmen könne, wenn Banker ein derartiges Desaster fabrizieren. Im Gegenteil - er fühle sich durch die Krise in seinem Kurs "bestätigt", sagt Klump. Er setze sich beispielsweise schon lange für eine Wiedereinführung des Pflichtfachs Wirtschaftspolitik ein - es war bei der Umstellung auf den Bachelor gestrichen worden. Die Studenten müssten jetzt mehr denn je lernen, "wo die Möglichkeiten und die sinnvollen Grenzen staatlichen Eingreifens" in die Finanzwelt seien, betont Klump.

Auch BWL-Professor Schmidt sagt: "Es gibt viele Wissenschaftler, die schon lange vor den Risiken in den Finanzmärkten gewarnt haben." Die Forschung an vielen europäischen Universitäten sei differenzierter als im angelsächsischen Raum, wo dem absolute Glaube an den Markt gehuldigt wurde. "Meine Hoffnung wäre, dass sich das jetzt auch international durchsetzt", sagt Schmidt. "Dass Paul Krugman den Wirtschaftsnobelpreis bekommen hat, ist ein Signal." Es klingt feierlich. Bush-Kritiker Krugman hatte schon vor Jahren vor der wachsenden US-Immobilienblase gewarnt.

Schmidt hat für dieses Semester der Frage nach der Regulierung des Bankensektors und den besten Finanzsystemen noch mehr Stunden reserviert als früher. "Wir werden bei jeder Sitzung eine Viertelstunde über die Finanzkrise diskutieren", kündigt er an diesem Morgen seinen Studenten an, die dicht gedrängt in den Bänken sitzen, obwohl Schmidt um halb neun anfängt. Das Interesse an seiner Vorlesung sei sprunghaft gestiegen, freut er sich. "Da sitzen jetzt 50 Prozent mehr als früher."

Wie ein Student seine Vorlesung gegenüber seinem Sitznachbarn als "Blablafach" abtut, hört er nicht mehr. Und auch nicht, wie der junge BWLer nach kurzem Zögern hinzufügt: "Soll aber ein Geheimtipp sein."

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