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Eine Aussteigerin erzählt: Warum Jura nichts für mich ist

Foto: Julia Jung

Frustriert vom Jura-Studium Wenn möglich, bitte wenden

Was tun, wenn man das Falsche studiert? Als Studienanfängerin in Jura merkte Julia Jung schnell, dass Paragrafen und Mordmerkmale nichts für sie sind. Sie hatte das Paukfach ausprobiert - und schmiss nach fünf Wochen hin. Ein Erfahrungsbericht.

Als ich zum ersten Mal den Hörsaal betrete, fühle ich mich von der Masse erschlagen. Studieren die etwa alle mit mir? Etwa 300 Studenten, davon unzählige frischgebackene Abiturienten, sitzen im Audimax. Das ist also mit "Massenstudium" gemeint.

Etwas eingeschüchtert setze ich mich an den Rand - schön neben die Tür, im Falle eines Falles bereit für eine panische Flucht. Die Stühle sind unbequem und die Tische ähneln den ausklappbaren Esstischen im Flugzeug. Hinter mir höre ich zwei Mädchen reden: "Geil, guck dir mal die ganzen Bauern an, die mit uns studieren."

Dann kommt der Professor. Er erklärt uns, dass er eigentlich nie Jura studieren wollte. Es war nur eine Notlösung, die sich aber als die richtige Wahl herausgestellt hat.

Ich spüre förmlich die Erleichterung der Kommilitonen: Glück gehabt, ich muss also noch nicht das komplette BGB durchforstet und zehn Praktika in Anwaltskanzleien absolviert haben. Besser noch: Ich muss mir noch nicht mal sicher sein, ob das Studium überhaupt das Richtige für mich ist. Dann kann ja nichts schiefgehen.

Vanessa und Ines sind begeistert - Laura sagt nichts

Meine erste Pause verbringe ich mit Ines, Vanessa und Laura in der Mensa. Ines weiß genau, was sie will, Richterin ist ihr Ziel. Vanessa ist genauso überzeugt von ihrer Wahl und Laura - Laura sagt erst einmal nichts.

Ihr geht es so wie mir: Jura hat sich gut angehört, verspricht Ruhm und Kohle und am Ende kann man damit ja alles machen. Aber irgendwie haben sie und ich noch nicht so recht Feuer gefangen.

In der zweiten Strafrecht-Vorlesung geht es schon zur Sache. Wir behandeln den Mord nach Paragraf 211 StGB. Wann ist ein Mord ein Mord? Ist es Heimtücke, Grausamkeit oder Habgier? Gar nicht mal so uninteressant.

In der Vorlesung zum Vertragsrecht wird das aufkeimende Interesse aber sofort wieder erstickt. Wir behandeln den Kaufvertrag nach Paragraf 433 BGB. "Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und..." Schon nach fünf Minuten bin ich mit meinen Gedanken beim Mittagessen: Nehme ich die Käsespätzle oder das Gulasch?

Im Tutorium schrumpft die anonyme Masse dann zu einer Gruppe von 30 Studenten. Hier werden die Vorlesungen noch einmal erklärt und wir lernen, wie wir die Klausur mit dem sogenannten Gutachten-Stil bestehen. Mist, ich erwische meine Gedanken schon wieder beim Abschweifen. Schnell spaltet sich unsere Gruppe in zwei Lager: die, die nur in die Vorlesungen gehen, und die, die nur das Tutorium besuchen.

"Ich find' Jura scheiße"

Ich gehöre zu keiner der beiden Gruppen. Irgendwie entwickelt sich bei mir kein Plan. Ich fühle mich verloren in der Flut an Informationen, den Tausenden Lehrbüchern und der Zielstrebigkeit meiner Kommilitonen. Jeden Tag nehme ich mir vor, mich mehr reinzuhängen und mal ein Lernwochenende einzulegen. Aber immer sind andere Dinge wichtiger.

Meine Rettung aus dem Kreislauf aus schlechtem Gewissen und Unzufriedenheit heißt schließlich Laura. Die kleine blonde Powerfrau macht keinen Hehl aus ihrer Situation: "Ich find' Jura scheiße. Das anzufangen war die dümmste Idee überhaupt."

Ja schon, aber wenn ich es erst einmal geschafft habe, stehen mir alle Möglichkeiten offen. Das mit dem "erst einmal schaffen" ist aber gar nicht so einfach. In der Schule war ich immer ehrgeizig, wollte die 1,0 wo es nur ging. Jetzt war mir alles egal. Bestehen reicht ja auch. Hinzu kommt das ständige Gefühl stehenzubleiben. Der Sinn fehlt.

Ich hasse Entscheidungen - aber diese war richtig

So haderte ich eine Weile weiter, aber nach fünf Wochen stand mein Entschluss fest: Ich breche ab. Die Entscheidung gab mir ein Gefühl von Freiheit.

Noch im selben Semester wechsle ich zu Politik, meiner ursprünglich ersten Wahl. Und siehe da, die ersten neuen Kommilitonen, die ich treffe, sind zwei ehemalige Jurastudenten. Beide haben allerdings bis zum dritten und sechsten Semester für ihre Entscheidung gebraucht. Jetzt gehören sie zu den Ältesten im Studiengang und spielen sogar mit dem Gedanken, das geplante Erasmus-Jahr sausen zu lassen: "Wir haben ja so schon genug Zeit verloren."

Viel Zeit verloren habe ich nicht - ich hasse nur Entscheidungen. Manchmal kaufe ich zwei Paar Schuhe, damit ich nach zweiwöchigem Überlegen ein Paar wieder zurückgeben kann.

Gescheitert beim Stipendiengeber: Die Stiftung schätzt Zielstrebigkeit

Aber der Abbruch war eine gute Entscheidung und hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Und eigentlich bin ich sogar froh um die Erfahrung eines Jura-Studiums - sonst hätte ich mich vielleicht ewig gefragt, ob ich eine gute Rechtsanwältin geworden wäre.

Leider haben das nicht alle so gesehen. Bereits zwei Wochen nach meinem Wechsel, bekam ich das auch zu spüren: Auf der Auswahltagung der Studienstiftung des Deutschen Volkes bekam ich eins auf die Mütze. Ich wurde gefragt, warum ich plötzlich Politik studiere, und ob mir meine Präferenzen nicht klar gewesen seien. Im Einzelgespräch hieß es dann, dass man Zielstrebigkeit durchaus schätzt. Ein Stipendium habe ich nicht bekommen. Trotzdem oder auch gerade deshalb stehe ich zu meinem Entschluss.

Es gibt genug Menschen, für die ist Jura genau das Richtige. Für Ines und Vanessa zum Beispiel. Und es gibt Menschen wie Laura und mich, die bei Subsumtion, teleologischer Auslegung, Obersatz und Untersatz das Weite suchen.

Dasselbe gilt für alle anderen Fächer. Und diese Menschen sollten schnellstmöglich die Notbremse ziehen. Statt aus Angst vor Konsequenzen weiterzumachen, lieber in der Sackgasse wenden und zur Zielgeraden einschlagen.

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