Kampf der Prestige-Gier Der Dr. als Titel muss weg

Personalausweis: Der Titel im offiziellen Dokument hat unschätzbare Vorteile
"Professor Doctor? That's what they call you in Germany?" Die Angestellten einer amerikanischen Fluggesellschaft brach beim Lesen meines Namens beinahe in Gelächter aus - was bei mir ein Gefühl der Peinlichkeit auslöste, das bis heute nachklingt.
Die Erinnerung an die Episode wurde in letzter Zeit durch die zahlreichen Nachrichten über immer wieder neue Plagiatsfälle wachgerufen, verbunden mit Berichten über Vorteilsnahme und minimale wissenschaftliche Beiträge in deutschen Dissertationen. Grinste die Frau am Flughafen nicht nur wegen der vermuteten Eitelkeit, sondern auch, weil sie an der wissenschaftlichen Seriosität des "Herrn Doktor"zweifelte?
Auf jeden Fall erscheinen die wissenschaftlichen Abschlüsse an deutschen Universitäten und ihre tradierten Strukturen in einem anderen Licht. Dabei ist eine besondere deutsche Spezialität mitschuld an der Titelgier, die bislang kaum besprochen wurde: Wissenschaftliche Doktorgrade werden hierzulande zu Doktortiteln - und das ist ein großer Teil des Übels.
Basis der exklusiven Titelfunktion ist das Personalausweisgesetz, das ausschließlich den akademischen Grad des Doktors als Angabe über den Ausweisinhaber vorsieht. Auch wenn das Kürzel "Dr." aus juristischer Sicht weder als Titel noch als Namenszusatz (wie das vormals adelige "zu" in "zu Guttenberg") gilt, haben die zwei Zeichen auf Reisepass oder Plastikkarte aus der Bundesdruckerei enorme Vorteile.
Da ist einmal die Multiplikationsfunktion: bei Eröffnen eines Bankkontos, beim Beantragen einer Kreditkarte, eines Führerscheins oder der Aufnahme in ein Krankenhaus - stets wird der mit Dr.-Schmuck versehene Personalausweis vorlegt.
Vorteil für faule Profs: Steht wenig drin, ist die Korrektur viel leichter
Durch die wiederholte Verknüpfung von Namen und Grad wird die Anrede "Herr oder Frau Doktor" als Höflichkeitsgebot obligatorisch, die dann demjenigen allmählich das Gefühl gibt, der Doktor sei doch Teil des eigenen Namens. Die Verwendung für den persönlichen Gebrauch auf Türschildern, Briefköpfen und beim Einträgen ins Telefonbuch werden zur Selbstverständlichkeit.
So wird der Doktorgrad zu einer Art Adelstitel, mit dem Unterschied, dass das aus dem Titel resultierende Ansehen nicht von der gesellschaftlichen Stellung der Vorfahren bestimmt wird oder vom Geld, das einer für einen Einstieg in den Adelsstand per Adoption bezahlt. Das gesellschaftliche Prestige kann aus eigener Kraft erworben und für den persönlichen und beruflichen Vorteil genutzt werden.
Warum wohl wollten sonst so viele Leute promovieren? Es sind eben nicht nur Nachwuchswissenschaftler, die eine berufliche Tätigkeit in Forschung und Lehre anstreben. Viele sind einfach scharf auf das zusätzliche Geld und die Karrierechancen, die die Titelfunktion des faktischen Namenszusatzes mit sich bringen. Vor allem für den Aufstieg in Führungspositionen in Wirtschaft oder Politik ist ein sichtbarer Doktorgrad von unschätzbarem Vorteil.
Daher überrascht es kaum, dass externe Promotionen vor allem in BWL, den Sozial- und Politikwissenschaften und der Jurisprudenz verbreitet sind. Diese Promotionen sind auch bei Hochschullehrern beliebt, denn der meist geringe Erkenntnisertrag geht mit sehr niedrigem Betreuungsaufwand einher. Selbst wenn die Arbeit dann keinen Beitrag zum wissenschaftlichen Renommee des Mentors leistet, erhöht sie doch die Anzahl "seiner" Dissertationen. Und das wiederum zählt dann in Rankings etwas. Masse punktet vor Klasse, etwa bei formalen Bewertungen von Studiengängen wie durch das CHE.
Dr. med. Schmalspur? Es braucht einen neuen Grad für Mediziner
Eine weitere Besonderheit in der deutschen Dissertationslandschaft ist der medizinische Doktor. Auch wenn er keine Voraussetzung für die Ausübung des Arztberufes darstellt, wird der Dr. med. von den meisten Medizinstudenten als Abschluss ihrer Ausbildung angestrebt und auch angeboten.
Inwiefern der mit einer Promotion zu erbringende Nachweis eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit eine notwendige Voraussetzung ärztlicher Praxis darstellt, ist schwer nachzuvollziehen, da dies natürlich auch für andere Disziplinen gelten müsste.
Von daher überrascht es nicht, dass die meist in kürzester Frist verfassten Schriften in wissenschaftlichem Gehalt und Umfang am wenigsten den allgemeinen Dissertationskriterien entsprechen und oftmals nicht das Niveau anspruchsvoller Seminararbeiten erreichen. Ein Beispiel: Die Universität Magdeburg gibt ein Maximum von 60 Seiten vor.
Dagegen wird oft eingewandt, der einfache Kranke vertraue nun einmal dem Doktor mehr, als dem einfachen Arzt, was auch durch den synonymen Gebrauch von "Arzt" und "Doktor" deutlich werde. Darum, so lautet die Hilfsbegründung, sei es gerechtfertigt, an die medizinische Dissertation geringere wissenschaftliche Anforderungen zu stellen.
Ein Blick in die Vereinigten Staaten zeigt: Dort hat der Doktorgrad nicht annähernd eine ähnliche gesellschaftliche Bedeutung. Amerika kennt weder den Personalausweis, noch gibt es dort Platz für akademische Abschlüsse im Reisepass. Akademische Abschlüsse sind zwar im jeweiligen beruflichen Kontext wichtig und ermöglichen eine entsprechende Anrede. Ein Politiker, der mal Arzt war und seinem Namen ein M.D. anhängt, müsste sich die Frage gefallen lassen, was wohl sein früherer Beruf mit der jetzigen Tätigkeit zu tun hat.
Vorschlag: Dr. wird nur noch, wer wirklich was kann
Es wäre also höchst sinnvoll, das deutsche Personalausweisgesetz zu ändern. Der Grad eines Doktors würde nur noch eine bestimmte akademische Qualifikation belegen, aber das Prestige würde weniger durch den Grad als durch das im jeweiligen Beruf erworbene Ansehen vermittelt. Der durch die Anrede ausgelöste Unterwerfungsreflex könnte verschwinden, und ein Stück gesellschaftlicher Standesdünkel würde in die Vergangenheit verbannt.
Damit sänke die Attraktivität der derzeit kritisierten externen Promotionen, und die eigentliche Motivation für den Erwerb eines Doktorgrades, nämlich die Qualifikation für eine wissenschaftliche Berufstätigkeit, träte nach vorn. Die forschungsorientierte Motivation der Doktoranden, ein engerer Kontakt zum Betreuer, die Einbettung in ein curricular strukturiertes Graduiertenprogramm und die vergleichsweise günstigeren institutionellen Bedingungen verbesserten die wissenschaftliche Qualität der Arbeit und verminderten die Wahrscheinlichkeit offensichtlichen Betrugs.
Bleiben die Mediziner. Auch hier empfiehlt sich ein Blick über den Atlantik, wo den besonderen Bedürfnissen der ärztlichen Praxis dadurch Rechnung getragen wurde, dass angehenden Ärzten ein gesonderter Medical Doctor (M.D.) verliehen wird, der keine Abfassung einer Doktorarbeit erfordert und sich vom forschungsorientierten Doktorgrad (Ph.D.) deutlich abhebt.
Warum sollen deutsche Medizinstudenten, die ihr praxisorientiertes Studium erfolgreich abgeschlossen haben, nicht auf ähnlich einfache Weise einen Grad bekommen, der in der Wahrnehmung der Patienten ihre Tätigkeit erklärt? Und warum sollen echte medizinische Forscher ihre Zeit damit verplempern, jährlich Hunderte von wissenschaftlich bedeutungslosen Doktorarbeiten zu begutachten und dabei die eigene Forschungstätigkeit zu vernachlässigen?
Kämen diese zwei Dinge, ein reformiertes Personalausweisgesetz und ein Mediziner-Grad, der kein Dr. mehr ist - es wäre viel gewonnen. Zwar würde der deutsche Doktor nicht mehr automatisch die gewohnte gesellschaftliche Ehrerbietung auslösen. Dafür wäre aber für die Welt der Wissenschaft eine Sache wieder deutlich klarer: Wer einen Doktor hat, der kann auch was.