Studentische Selbsttäuschung Juhu, ich langweile mich

Studentische Langeweile: Interdependenztheorie? Total spannend!
Foto: CorbisMein erstes Studium habe ich abgebrochen. Islamwissenschaft und Philosophie, in der Universität war das langweiliger als in den Geschichten von "Sophies Welt" und den Infobänden zu islamischem Fundamentalismus. Ich brauchte ein neues Fach. Die Wahl fiel auf Politikwissenschaft. "Ist es das jetzt wirklich?", fragten meine Eltern. "Bist du dir sicher?", meine Freunde. "Ja", sagte ich. Der Studienplan klang gut: Internationale Beziehungen, Vergleich politischer Systeme, Afrika, Asien, Krieg, Krisen und dazu der theoretische Unterbau.
Es war schrecklich langweilig.
Aber das erzählte ich keinem, auch nicht mir selbst. Stattdessen hörte ich mich über die Interdependenztheorie plaudern. Schilderte, wie interessant die Parteienlandschaft Thailands ist. Versuchte, meine Freunde für das Rechtsstaatsprinzip zu begeistern. Wahrscheinlich habe ich sie ziemlich genervt, mich selbst ja auch.
Aber Menschen wie ich begegnen mir ständig. Da ist die Freundin, die sich nie besonders für Betriebspsychologie begeistern konnte, aber nun ständig davon spricht, seit sie ihre neue Hiwi-Stelle hat. Oder meine ehemalige Mitschülerin, die jetzt als Finanzberaterin arbeitet und mir erklärte, wie interessant sie das deutsche Steuersystem findet.
Menschen ertragen keine Dissonanz
Mein Nebenfach war Psychologie, das hat mir wirklich gefallen. Dort bin ich irgendwann auf die Theorie der kognitiven Dissonanz gestoßen. Der Sozialpsychologe Leon Festinger hat vor über 50 Jahren Studenten der Stanford Universität um einen Gefallen gebeten. Sie sollten eine langweilige Aufgabe anderen Kommilitonen schmackhaft machen. Festinger bildete zwei Gruppen: Die einen bekamen für ihre Überzeugungsarbeit einen, die anderen zwanzig Dollar. Schließlich stellte Festinger überrascht fest, dass die Studenten, die nur einen Dollar bekommen hatten, die Aufgabe im Nachhinein interessanter fanden als vorher. Warum?
Sie empfanden kognitive Dissonanz. Es gab da diesen Widerspruch in ihrem Kopf: "Die Aufgabe war langweilig." Versus: "Ich habe einem Studenten trotzdem erzählt, dass sie lustig und interessant gewesen sei."
Menschen ertragen diese Dissonanz nicht lange, sie fühlen sich unwohl. Stattdessen wählen sie eine der drei Möglichkeiten, um den Widerspruch aufzulösen:
- Ich ändere mein Verhalten und sage dem Studenten, dass ich ihn angelogen habe.
- Ich ändere meine Kognition, und glaube selbst, dass die Aufgabe interessant war - das taten die Studenten, die nur einen Dollar bekommen hatten.
- Ich finde etwas, das mein Verhalten rechtfertigt - so wie bei den Studenten, die zwanzig Dollar bekommen hatten. Das Geld war genügend Rechtfertigung für eine Lüge.
Hätte man mich für mein Politikstudium bezahlt, ich hätte eine Rechtfertigung dafür gehabt, dass ich täglich zur Uni gehe. Ich aber saß freiwillig in der Vorlesung - wenn ich mich langweilte, was machte ich dann hier? Ich empfand zweifellos kognitive Dissonanz.
Auch für mich gab es drei Möglichkeiten: Entweder ich brach mein Studium ab. Das wäre konsequent gewesen, aber das wollte ich keinesfalls tun. Oder ich redete es mir schön. Das tat ich bereits, wenn auch mit immer geringerem Erfolg. Oder ich fügte eine weitere Kognition hinzu. Zum Beispiel, dass es sinnvoll ist, irgendein Studium zu beenden. Dass ich schon halb durch bin. Und dass ein Bachelor sowieso nur drei Jahre dauert. Das war genügend Rechtfertigung. Ich musste nicht mehr so tun, als würde ich mich für John Locke begeistern. Ich konnte mich wieder nach Herzenslust langweilen und habe mein Studium schließlich abgeschlossen.