Studie an Unis Deutsche Studenten sind viel besser als ihr Ruf

An deutschen Unis wird gern über den mangelhaften Wissensstand der Studenten geklagt. Nun belegt eine Studie: Zumindest die Wirtschaftswissenschaftler sind ihren Kollegen in den USA und Japan haushoch überlegen.
Erstsemester im Hörsaal

Erstsemester im Hörsaal

Foto: Uwe Anspach/ dpa

Es ist eine beliebte Klage in Zeiten von G8, Bachelor und einer Studienanfängerquote von 58 Prozent: Die Erstsemester sind schlechter aufs Studium vorbereitet als früher. Eine aktuelle Studie zeigt jedoch: Zumindest in den Wirtschaftswissenschaften sind die deutschen Studenten viel besser als ihre Kollegen in den USA und in Japan.

"Die Ergebnisse haben uns in ihrer Eindeutigkeit überrascht", sagt Olga Troitschanskaia von der Universität Mainz. Die Wirtschaftspädagogin und ihre Kollegen haben einen in Amerika entwickelten und dort seit Jahren eingesetzten Standardtest, der ökonomisches Fachwissen messen soll, von Wiwi-Studenten an 31 Hochschulen bundesweit bearbeiten lassen: insgesamt 60 Multiple-Choice-Aufgaben je zur Hälfte aus der Makro- bzw. der Mikroökonomie. Die Antworten von 1600 Studenten verglichen sie anschließend mit denen Tausender Studenten an 51 US-Hochschulen, und siehe da: Die Amerikaner lagen viel häufiger daneben. Auch die 1200 Studenten von zehn japanischen Hochschulen, die den Test bearbeiteten, wussten seltener die richtige Lösung.

Die Studie mit dem Kürzel WiWiKom (="Wirtschaftswissenschaftliche Kompetenzen") ist Teil eines bundesweiten Forschungsprogramms, das die Lehre und die Prüfungsformen an Hochschulen untersuchen soll. Es trägt einen nicht minder eigenwilligen Namen: KoKoHS, was für "Kompetenzmodellierung und Kompetenzerfassung im Hochschulsektor" steht. Das Bundesbildungsministerium fördert KokoHS mit jährlich drei Millionen Euro, will man doch endlich eine Antwort auf eine Frage, die die Bildungsforschung seit Langem umtreibt: Woher wissen wir, ob die Studenten das, was sie können sollen, auch wirklich lernen? Und vor allem, ob sie es auch praktisch anwenden können?

Die junge Generation ist schlauer als ihr Ruf

Bei 350.000 Studenten, die in der Bundesrepublik im Hauptfach Wirtschaftswissenschaften studieren, sind die WiWiKom-Zahlen mehr als eine Randnotiz: Sie bieten, vermutlich zum ersten Mal überhaupt, einen übergreifenden Einblick in die Leistungsfähigkeit deutscher Studenten.

Dass die junge Generation schlauer ist als ihr Ruf, hatte bereits das über die Jahre immer bessere Abschneiden der 15-Jährigen bei den Pisa-Tests nahegelegt. In dem internationalen Schulleistungsvergleich liegen die Deutschen mittlerweile fast durchgängig im oberen Drittel, trotz zuletzt stagnierender Ergebnisse. Doch testet Pisa nur Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen oder Problemlösen ab. KokoHS zeigt nun: Von ihrem fachlichen Wissen her sind Deutschlands Studenten offenbar ebenfalls mehr als international konkurrenzfähig.

Ihr Vorsprung zieht sich oft durchs gesamte Studium, am größten ist er allerdings zu Studienbeginn. Die Erstsemester bringen ihn also mit, aus der Schule oder aus der Ausbildung, die viele Deutsche vor dem Gang an die Uni absolvieren. Letzteres übrigens im Gegensatz zu Amerikanern und Japanern, die meist frisch von der Schule an die Hochschule wechseln.

Das Plus der Deutschen an Ausbildung und Lebenserfahrung erklärt jedoch Troitschanskaia zufolge nur einen Teil ihres zusätzlichen Wissens über wirtschaftswissenschaftliche Zusammenhänge. Und hier wird es spannend: Woher der Rest kommt, aus der Schule, aus dem Elternhaus, aus den Medien, können die Forscher bislang nicht erklären. Was sie wissen: Die Amerikaner und Japaner holen über die Semester auf. Offenbar machen die deutschen Hochschulen also wenig aus dem Potenzial, das die Studieneinsteiger mitbringen.

Eine Deutung, die Susanne Homölle, BWL-Professorin an der Universität Rostock und Vorstandsvorsitzende des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentages, so dann doch nicht auf ihren Fachkollegen sitzen lassen will. Zwar sei der amerikanische Test sehr ausgefeilt, doch prüfe er nur einen Ausschnitt der Kompetenzen ab, die in den unterschiedlichsten Wiwi-Studiengängen von Betriebs- über Volkswirtschaft bis hin zu Wirtschaftspädagogik oder Entrepreneurship gefragt seien. "Wir reden vielleicht von 15 Prozent der Curricula." Und doch: Der vergleichsweise geringe Lernzuwachs deutscher Studenten ist der Kratzer auf ihrem sonst so glänzenden internationalen Erscheinungsbild.

Wer wenig kann, bekommt trotzdem einen guten Abschluss

Wobei für Troitschanskaia und ihre Forscherkollegen die nationale Betrachtung im Vordergrund steht. Für die innerdeutschen Analysen haben sie den US-Test weiterentwickelt und fragen neben Mikro und Makro fünf weitere, für die Wirtschaftswissenschaften typische Kompetenzbereiche ab, darunter Marketing, Rechnungswesen und Personalführung. Wiederum mit überraschenden Ergebnissen. Ordnet man die Studenten nach ihrem Abschneiden im WiwiKom-Test und schaut dann auf ihren Zensurenschnitt, stellt man fest: Zwischen Fachwissen und Bachelor-Abschlussnote gibt es keinerlei statistischen Zusammenhang. Im Extremfall heißt das: Wer wenig kann, bekommt trotzdem einen guten Abschluss.

Eine erschütternde Erkenntnis, doch sie bestätigt, was andere Studien gezeigt haben, darunter eine Erhebung des Wissenschaftsrats (WR). "Viele Klausuren, die an deutschen Hochschulen geschrieben werden, prüfen schnell erlerntes und schnell wieder vergessenes Wissen ab", sagt Manfred Prenzel, bis Ende Januar WR-Vorsitzender und selbst Bildungsforscher. "Was die Studenten wirklich können, messen sie oft nicht, sehr wohl aber, wie clever sie sich auf Klausuren vorbereiten." Weshalb ihn das WiwiKom-Ergebnis nicht wundere.

Genau deshalb seien WiwiKom und KoKoHS so wichtig, sagt Troitschanskaia: "Sie sollen Hochschullehrern Instrumente an die Hand geben, um kompetenzorientiert zu lehren und zu prüfen."

Ein Ergebnis ihrer Studie gibt den Forschern derzeit besonders zu denken. Männer schneiden in dem Test statistisch gesehen besser ab als Frauen. Noch, so schreiben die Wissenschaftler in ihrer Auswertung, seien sie nicht bereit, den Unterschied als Ausweis systematischer Kompetenzunterschiede zu akzeptieren. Susanne Homölle hat dazu ihre eigene Erklärung: "Schauen Sie, wer den amerikanischen Test konzipiert hat: fast nur Männer."

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