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Studium an der Privatuni: Viel lernen, wenig fragen

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Kritik an Privatuni "Eine Elite von naiven Automaten"

Viele wollen dorthin, nur er flüchtete schnell wieder: Mojtaba Sadinam hatte einen der begehrten Studienplätze an der privaten Wirtschaftshochschule in Vallendar bekommen - doch ihm gefiel es nicht. Im Interview erzählt er, warum er das Studium dort abbrach.

Als Kind floh Mojtaba Sadinam mit seiner Mutter und seinen Brüdern aus Iran nach Deutschland. Jahrelang hausten sie in Flüchtlingsbaracken, sie hatten Asyl beantragt, doch eine Ablehnung folgte der nächsten.

Mojtaba Sadinam schaffte es ans Gymnasium, schrieb ein Einser-Abitur und studierte an der WHU, einer privaten, renommierten Wirtschaftshochschule in Vallendar, wo Studenten pro Semester regulär rund 5000 Euro Gebühren zahlen. Sadinam bekam ein Stipendium. Im vierten Semester hatte er genug und verließ die Hochschule.

SPIEGEL ONLINE: Stellen Sie sich vor, ein guter Freund überlegt, sich an einer Privatuni einzuschreiben. Was raten Sie ihm?

Sadinam: Als guter Freund wäre er mir wohl sehr ähnlich, daher würde ich ihm abraten. Er würde sich schnell an der Engstirnigkeit stören.

SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie?

Sadinam: An der WHU sprachen wir nicht von "Lernen", sondern von "Burnen". Wir sollten die Inhalte akzeptieren, eins zu eins in die Köpfe brennen und wiedergeben. Das meine ich mit geistiger Engstirnigkeit: keine Fragen stellen, sondern oberflächlich handeln. Die Uni züchtet so eine Elite von naiven Automaten heran.

SPIEGEL ONLINE: Sie nennen es "Burnen", andere sprechen von "Bulimie-Lernen". Seit der Einführung von Bachelor und Master stehen Studenten generell unter Druck, viel Zeit zum Diskutieren bleibt auch an staatlichen Unis nicht.

Sadinam: Das stimmt. Die Welt der privaten Elite-Unis darf man sich nicht als Insel vorstellen, die nach völlig eigenen Regeln funktioniert. Es ist kein prinzipieller Unterschied, sondern ein gradueller: Die WHU ist noch fixierter darauf, zu den Besten zu gehören. Deswegen hält sie sich umso rigoroser an die Spielregeln unseres Bildungssystems.

SPIEGEL ONLINE: Weil die Hochschule einen guten Ruf hat, hat Ihre Lehrerin Ihnen empfohlen, sich zu bewerben. Warum wollten Sie dorthin?

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Drei Vorzeigemigranten: Kronzeugen für die Lüge

Sadinam: Bis ich 2005 die Aufenthaltsgenehmigung bekommen habe, war mein Leben neun Jahre totaler Kontrolle unterworfen. Als ich 2006 ein sehr gutes Abi geschrieben habe, wollte ich zeigen, was ich kann, wenn man mich lässt. Außerdem hatten wir als Asylbewerber wenig Geld, und die WHU versprach finanzielle Sicherheit, schließlich bekommen die meisten Absolventen sehr gut bezahlte Jobs. SPIEGEL ONLINE: Aus der sogenannten Unterschicht an die Elite-Uni - hatten Sie auch Selbstzweifel?

Sadinam: Als ehemaliger Asylbewerber stellte ich dort natürlich eine Ausnahme dar. Aber für Diskussionen ist es doch eigentlich gut, wenn Menschen unterschiedlicher Meinung und Herkunft zusammenkommen. Dann merkte ich aber, dass es immer nur um Auswendiglernen und Geld ging. Dozenten sind vor den Jahrgang getreten und haben gesagt: Ihr seid hier, weil ihr reich werden wollt. Und unser Rektor sagte am ersten Uni-Tag: Ihr seid die Besten, ihr werdet dieses Land einst führen. Dieses Gefühl der Überlegenheit setzte sich im Laufe der Semester bei fast allen durch. Das führte zu Selbstgerechtigkeit und Arroganz.

SPIEGEL ONLINE: Was für ein Klima herrschte an der Hochschule?

Sadinam: Auf der einen Seite entwickelten die Studierenden ein krasses Gruppengefühl: Wir sind die Gewinner. Das lag auch daran, dass wir ständig aufeinander hockten. Auf der anderen Seite herrschte unglaubliche Konkurrenz. Es gab beispielsweise eine Rangliste für den Jahrgang, jede Klausur zählte. Die besten durften etwa beim Auslandssemester zwischen den begehrtesten Unis wählen, die schlechtesten mussten nehmen, was übrig blieb.

SPIEGEL ONLINE: So schlecht ist dieser Konkurrenzkampf vielleicht nicht: Er könnte dazu beitragen, dass die WHU so erfolgreiche Absolventen hat.

Sadinam: Das macht Menschen auch kaputt. Ein Kommilitone erzählte mir mal von seinem neuen Schlafrhythmus: Er ging früh ins Bett, schlief vier Stunden, stand mitten in der Nacht auf, lernte und hielt später noch ein Nickerchen. Als er mir das erzählte, wollten wir eigentlich zusammen lernen. Nach einer halben Stunde schlief er ein. Solch ein masochistisches Verhalten war an der WHU normal und auch nötig. Es führt natürlich oft zum "Erfolg". WHU-Absolventen bekommen angesehene Jobs, verdienen viel Geld und machen Karriere. Nach einem ökonomischen Maßstab sind sie also erfolgreich und machen die Bildungselite dieses Landes aus - ein armseliges Zeugnis.

SPIEGEL ONLINE: Wer sich anstrengt, hat Erfolg - das ist die Formel?

Sadinam: Ja, an der WHU glaubt man an diese romantische Leistungsideologie: Wer willensstark ist, der leistet viel und wird mit einem glücklichen Leben belohnt. Folgt man dieser Ideologie, sind die Armen in der Gesellschaft faul und ambitionslos. Das entspricht aber nicht der Realität, wie ich sie wahrgenommen habe.

SPIEGEL ONLINE: Sie gelten vielen als Vorzeigemigrant, als Beleg dafür, dass es in Deutschland jeder schaffen kann, der sich anstrengt.

Sadinam: Wenn ich es überhaupt geschafft habe, dann nicht nur durch meine Leistung geschafft. Meine Mutter setzte sich für meine Brüder und mich ein, Lehrer halfen uns, ein Anwalt kämpfte für uns. Ich bin nicht klüger und fleißiger als jemand, der gescheitert ist.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie mit Kommilitonen darüber diskutiert?

Sadinam: Es gab nur sehr vereinzelt Kommilitonen, mit denen ich mich darüber ausgetauscht habe. Meist war der nächste Praktikumsplatz wichtiger.

SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie Freunde auf dem Campus?

Sadinam: Das Leben an der WHU ist nicht dazu gedacht, dass man gute Freundschaften schließen konnte.

SPIEGEL ONLINE: Wann fragten Sie sich zum ersten Mal: Bin ich hier richtig?

Sadinam: Zweifel hatte ich von Anfang an. Ich hatte auch Angst, mich zu verändern, denn irgendwann haben sich alle angepasst. Es gab Kommilitonen, die wollten bei einem bestimmten Unternehmen nie ein Praktikum machen, 70-Stunden-Woche, Konkurrenzkampf, unkollegiales Verhalten. Später machten sie es doch. Dann interviewte mich die Journalistin Julia Friedrichs für ihr Buch "Gestatten: Elite" , für das sie unter anderem angesehene Elite-Unis und Elite-Internate besuchte. Ich sagte ihr meine Meinung zur WHU - und danach musste ich mich entscheiden.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Sadinam: Einige Kommilitonen wollten diskutieren, insgesamt hatte ich aber das Gefühl, dass ich mundtot gemacht werden sollte. Über den E-Mail-Verteiler schrieben Kommilitonen von Wahrheitsverzerrung, Selbstinszenierung, Opportunismus. Mitarbeiter sagten mir, die WHU sei eine große Familie, man gehe mit Kritik nicht nach außen, ich wurde zum Rektor zitiert.

SPIEGEL ONLINE: Ein paar Wochen nach der Buchveröffentlichung haben Sie die WHU verlassen. Inzwischen studieren Sie im 10. Semester an der Uni Frankfurt. Haben Sie sich mal zurück nach Vallendar gewünscht?

Sadinam: Bislang nicht.

SPIEGEL ONLINE: Trotz voller Hörsäle?

Sadinam: Natürlich hatte die WHU viel Geld, schicke Gebäude, die neuesten Computer. Das ist in Frankfurt nicht ganz so. Aber ich nehme lieber infrastrukturelle Defizite in Kauf als geistige.

Das Interview führte Frauke Lüpke-Narberhaus

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