Künftige Bio-Lehrer "Der Trend zum Kreationismus ist ungebrochen"

Ein Lehrerausbilder schlägt Alarm. Jeder achte Lehramtsstudent zweifelt an der Evolution - auch künftige Bio-Lehrer, warnt Dittmar Graf von der TU Dortmund im Interview. In zwei Studien fand er heraus: Schuld trägt nicht allein die Religion.

SPIEGEL ONLINE: Herr Graf, fast 15 Prozent der angehenden Lehrer an der Uni Dortmund zweifeln an der Evolutionstheorie. Das haben Sie vor zwei Jahren mit einer Studie herausgefunden. Jetzt haben Sie wieder nachgefragt. Was kam raus?

Graf: Der Trend bestätigt sich. Wir werten die Daten zwar noch aus, aber die Tendenz ist eindeutig.

SPIEGEL ONLINE: Die Uni Dortmund ist eine Hochburg der Kreationisten?

Graf: Das hätte man uns nach der ersten Studie vorwerfen können. Aber jetzt haben wir auch Erstsemester in Siegen und Hildesheim befragt, insgesamt 1200 künftige Lehrer.

SPIEGEL ONLINE: Und überall zweifeln die Studenten an der Evolution?

Graf: Jedenfalls haben erschreckend viele angeben, sie glaubten nicht, dass Mensch und Schimpanse gemeinsame Vorfahren haben. Sie wollen nichts wissen davon, dass alle Lebewesen auf gemeinsame Ahnen zurückblicken. Und es gibt viele, die anzweifeln, dass das Leben vor 3,6 Milliarden Jahren entstand. Auch unter denen, die Biologie auf Lehramt studieren.

SPIEGEL ONLINE: Ab wann gilt man in Ihrer Studie als Evolutionsskeptiker?

Graf: Wenn man auf mehr als 80 Prozent der Fragen Antworten gibt, die sich nicht mit der Evolutionstheorie vereinbaren lassen.

SPIEGEL ONLINE: Sind das alles religiöse Eiferer?

Graf: Nein, keineswegs. Zwar hängen religiöse Überzeugung und Evolutionsskepsis zusammen. Aber viel stärker wirkt sich ein naives Wissenschaftsbild aus. Knapp 15 Prozent der befragten Erstsemester haben keine Ahnung, wie Wissenschaft funktioniert. Da wird gesagt: "Wissenschaft ist doch auch nur dogmatisch." Viele stellen sich vor, wir würden Steinchen für Steinchen ein großes Mosaik der Wahrheit zusammensetzen. Sie wissen schlicht nicht, dass jedes wissenschaftliche Wissen immer nur vorläufig ist und jede Aussage überprüfbar sein muss.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?

Graf: Wenn jemand nach 13 Schuljahren noch nicht einmal ahnt, wie Wissenschaft funktioniert, dann läuft dort etwas schief. Vielfach thematisiert die Schule Wissenschaftstheorie überhaupt nicht. Sie muss das Thema Evolution umfangreicher angehen - und vor allem früher, nicht erst in der neunten und zehnten Klasse.

SPIEGEL ONLINE: Sollen sich schon Grundschüler mit Darwin beschäftigen, bevor sie richtig lesen und schreiben können?

Graf: Natürlich ist das schwierig. Die Evolution ist abstrakter als eine Schöpfungsgeschichte. Dennoch müssen wir früher anfangen, sonst verfestigt sich schnell eine unwissenschaftliche Vorstellung davon, wo wir herkommen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben damals gesagt, Sie befürchteten es gebe einen Kreationisten-Trend.

Graf: Der Trend zu kreationistischem Gedankengut ist ungebrochen. Nehmen Sie nur die Anzahl solcher Gruppen, Foren und Seiten im Internet. Nur an der Universität outen sich die Kreationisten selten. Wir haben diesen Trend erst durch die Befragungen herausgefunden. Aber auch in meinen Seminaren treffe ich auf Studenten, die aus religiösen Gründen die Evolution ablehnen. Neulich haben zwei Studentinnen mit muslimischem Hintergrund das offen ausgesprochen.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben die Kommilitonen reagiert?

Graf: Mit heftigem Gegenwind - was mich beruhigt.

Das Gespräch führte Oliver Trenkamp

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