Künftiger Humboldt-Präsident Real existierende Last der Vergangenheit

Hat Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt und bald Präsident der HU Berlin, als DDR-Forscher das SED-Regime gestützt? Oder hat er der Staatspartei "widerstanden", wie er sagt? Doktorarbeit und Habilitationsschrift des Wissenschaftlers nähren Zweifel am Bild, das er von sich zeichnet.
Minister Olbertz: Seine Promotionsschriften aus DDR-Tagen werfen Fragen auf

Minister Olbertz: Seine Promotionsschriften aus DDR-Tagen werfen Fragen auf

Foto: Jens Wolf/ picture alliance / dpa

Er ist einer der ungewöhnlichsten Aufsteiger aus dem Osten: Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt, parteilos und doch in hohen Partei- und Koordinierungsgremien der CDU aktiv. Angela Merkel berief ihn zum Co-Vorsitzenden ihrer Bildungskommission. Als Olbertz einmal gefragt wurde, wieso sein Bundesland beim Schüler-Leistungstest Pisa einen so großen Sprung nach vorn gemacht habe, antwortete er entwaffnend: "An unserer Bildungspolitik kann es jedenfalls nicht gelegen haben."

Nun sind Arbeiten des 55-Jährigen aufgetaucht, die irritieren und verstören. Im Februar 1989 schrieb Olbertz in seiner Habilitationsschrift, es sei als Marxist wichtig, "sich nicht nur mit den Positionen Andersdenkender bzw. des (potentiellen) Gegners auseinanderzusetzen, sondern …. zugleich Positionen und Absichten im Klassenkampf erkennen zu lassen." Freiheit und Unabhängigkeit könne es unter kapitalistischen Bedingungen nicht geben - da müsse man nur auf 50 Millionen Arbeitslose und 300 Millionen Menschen ohne Vollbeschäftigung sehen, schrieb Olbertz 1989.

Darauf angesprochen, sagt Jan-Hendrik Olbertz zu SPIEGEL ONLINE, er habe damit gerechnet, dass man ihm seine Promotionen einst vorhalten werde. Solche Passagen ließen sich weder aus dem zeithistorischen noch dem textlogischen Kontext lösen. "Man kann erst verstehen, was ich damals geschrieben habe, wenn man die Arbeiten anderer daneben legt", erklärt er. "Die Arbeiten mit heutigen Maßstäben einer freien und unabhängigen Wissenschaftsgesellschaft zu beurteilen, ist unfair. Ich habe mich in der DDR unter solchen Bedingungen nicht bewegen können."

"Er legte eine marxistisch-leninistische Propagandaschrift vor"

Der DDR-Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der Olbertz wissenschaftliche Arbeiten gesichtet und am Freitag bei einer Tagung des SED-Forschungsverbundes der Freien Universität Berlin vorgetragen hat, sieht das anders. "Offenbar unbeeindruckt von den Entwicklungen der DDR in den achtziger Jahren legt er eine marxistisch-leninistische Propagandaschrift vor, die einzig und allein der Stützung und Stabilisierung der SED-Herrschaft dient", bewertet Kowalczuk. "Selbst die Sprache klingt, als käme sie aus einer ZK-Abteilung."

Olbertz selbst kokettiert gerne damit, dass er im Grunde im Widerstand gelebt habe. Der Kultusminister, geboren 1954 in Berlin, ist Sohn einer Ärztin und eines Professors. Der Erziehung in diesem Elternhaus verdanke er nicht nur seine musischen Neigungen, sondern auch seine kritische Haltung zur DDR. "Wir durften als Zwölfjährige bereits mit dem Vater gemeinsam die Westnachrichten im Fernsehen verfolgen", sagte Olbertz jüngst der "Welt".

"Es war klar, dass dies nicht in die Schule gehörte, sondern in den eigenen Kopf, zum Vergleichen und zum Austausch." Man habe sich so besser in der Doppelwelt der DDR orientieren können - und Freiheit gewonnen. "Durch geschicktes taktisches Manövrieren, durch das Herausfinden einer Art, sich zu artikulieren, die verstanden wurde, aber trotzdem auffällig anders war, aber nie offen konfrontativ, denn das wäre nicht gut gegangen." Olbertz ist überzeugt: "Ich habe der SED widerstanden."

Olbertz: "Ich habe widerstanden"

In den Arbeiten Olbertz sieht die von ihm eingeübte "Subtilität und Doppelbödigkeit der Sprache" in etwa so aus: "Verantwortung des Wissenschaftlers im Sozialismus wie überhaupt der sozialistischen Intelligenz ist immer zugleich auch Bündnisverantwortung gegenüber der Arbeiterklasse, die als führende revolutionäre Kraft den gesellschaftlichen Fortschritt vorantreibt."

Das sind keine brandgefährlichen Zitate, sondern "real-sozialistische Plattitüden", sagt auch der Historiker und Olbertz-Kritiker Kowalczuk, Mitarbeiter der Birthler-Behörde. Ihn wundert jedoch, dass Olbertz solche Passagen nicht nur, wie üblich, in die Einleitung und den Schluss seiner Promotion einstreute. "In dieser Arbeit wimmelt es nur so von Zitaten kommunistischer Funktionäre wie Erich Honecker, Margot Honecker, Kurt Hager oder Egon Krenz" - so sei das in insgesamt über 200 Manuskriptseiten. Kowalczuks harsches Urteil: Die Arbeit Olbertz aus den achtziger Jahren sei "von der ersten bis zur letzten Seite dem Marxismus-Leninismus verpflichtet".

Theologe Richard Schröder sagte SPIEGEL ONLINE: "Die Humboldt-Universität hat sich mit Olbertz' Wahl einen Bärendienst erwiesen." Und weiter: "Er war ein Dünnbrettbohrer, wenn er sich ein Promotions- und Habilitationsthema ausgesucht hat, das ihn veranlasst hat, in diesem Umfang ideologischen Blödsinn von sich zu geben. Er irrt, wenn er jetzt behauptet, das sei den Rahmenbedingungen der DDR geschuldet. Er hätte auch andere Themen wählen können."

Im Schlussteil seiner Habilitationsschrift setzte Olbertz auf tönenden Anti-Amerkanismus und ließ fiktive amerikanische Studenten auftreten, um seinem Lob des sozialistischen Wissenschaftsethos zu stärkerer Wirkung zu verhelfen: In einem kalifornischen "Kernwaffen-Forschungszentrum" säßen, schrieb Olbertz, "hochbegabte junge Leute … Tag und Nacht bei Rockmusik am Computer", die an den Rechnern "lasergebündelte Raketenangriffe aus dem Weltraum simulieren oder im Laborexperiment hochkomplexe Abwehrsysteme testen". Olbertz fragte: "Wer sind diese jungen Männer in Jeans und Joggingschuhen, die sich, sozial isoliert und von Popcorn und Cola lebend, der 'Wissenschaft pur' verschrieben haben (...)" und der Selbsttäuschung erlägen, moralisch nichts Fragliches zu tun.

Schuld war das "einengende und anmaßende System", sagt der Minister

Für die Humboldt-Universität in Berlin sind die Textfunde kein Spaß - denn Olbertz wurde gerade mal vor drei Wochen zum neuen Präsidenten der ältesten Berliner Universität gewählt. Er soll sein Amt im Oktober antreten. Die Humboldt-Uni könnte im Jahr ihres 200-jährigen Bestehens erneut ein Problem an ihrer Spitze bekommen. Ihr derzeitiger Präsident Christoph Markschies agierte unglücklich und verpasste den Sprung in die Elite-Uni-Förderung des Bundes. Sein Vorgänger, der sehr erfolgreiche Jürgen Mlynek, war geradezu aus dem Chefsessel an der Straße Unter den Linden geflogen, als man ihm die Präsidentschaft der Helmholtz-Gemeinschaft antrug.

Die Humboldt-Uni ist so etwas wie die Mutter aller modernen Universitäten, gegründet 1810 nach einem Programm von Wilhelm von Humboldts. Bei ihrem Jubiläumsfest in diesem Sommer wird sie sich auch mit ihrer jüngeren Geschichte befassen. Thema wird dann die DDR-Vergangenheit der Uni sein, und "wie es Wissenschaftler und Studierende an der Universität schafften im Spannungsfeld zwischen Ideologie und Wissenschaft, zwischen Reformen und Stagnation zu agieren".

Ein Musterbeispiel für diese Frage könnte dann der eigene Präsident in spe werden. SPIEGEL ONLINE sagte Jan-Hendrik Olbertz, er habe seine Arbeiten nicht verheimlicht oder kaschiert, sie hätten bei allen Berufungen vorgelegen. "Ich lebte in einem System, das einengend und anmaßend war. Ich wollte promovieren - und dennoch noch abends in den Spiegel schauen können. Was mich bedrückt ist, dass ich auch im Nachhinein nicht aus diesen Bedrängnissen herauskomme."

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