Küsten-Unis Poker mit einem "Kronjuwel" der Forschung

Mit einem beispiellosen Verschiebemanöver rettet der Bund das Lübecker Medizinstudium vor den schwarz-gelben Sparplänen in Schleswig-Holstein. Damit überrumpelt und verärgert Bildungsministerin Schavan Spitzenforscher - denn die Leibniz-Gemeinschaft soll ihr wertvollstes Institut verlieren.
Die Maria S. Merian liegt in Warnemünde und transportiert regelmäßig Geomar-Forscher

Die Maria S. Merian liegt in Warnemünde und transportiert regelmäßig Geomar-Forscher

Foto: IFM-GEOMAR

Die Uni Lübeck ist gerettet, lautete am Donnerstag die gute Nachricht des Tages aus Berlin. Was Schleswig-Holstein fast mutwillig kaputt sparen wollte, rettet nun großzügig der Bund. Hey, big spender: Alle sind plötzlich glücklich.

Alle? Nicht ganz.

Unter die Räder bildungspolitischen Teppichhandels geriet nämlich das renommierte Institut für Meeresforschung an der Uni Kiel (IFM-Geomar) und dessen bisheriger Träger, die Leibniz-Gemeinschaft. Geomar gehörte bislang zur Leibniz-Gemeinschaft, deren Zentren je zur Hälfte von Bund und Land finanziert werden. Ab dem kommenden Jahr soll das weltweit bekannte Institut an die Helmholtz-Gemeinschaft übergehen.

Was der Türschildwechsel in Kiel der moribunden Uni Lübeck bringt? Nicht weniger als das Überleben. Die trickreiche Konstruktion: Helmholtz-Einrichtungen darf der Bund zu 90 Prozent fördern; so spart Schleswig-Holstein jährlich mindestens zwölf Millionen Euro. Weil der Bund das fast bankrotte Land nun finanziell unterstützt und Medizinstudienplätze Mangelware sind, musste Carstensen am Donnerstagabend vor der Presse versprechen, keinen der wertvollen und teuren Studienplätze in seinem Land zu streichen.

Was Schavan als Erfolg feierte, sorgte bei Forschern für Kopfschütteln und sogar Ablehnung. Verkaufen wollten Carstensen und Schavan die Aktion als gut durchdachten Forschungs-Coup - die Reaktionen überrumpelter Beteiligter nähren daran starke Zweifel.

"Überraschende politische Weichenstellung"

Die Leibniz-Gemeinschaft teilte mit, dass sie ihr Kieler Institut für Meereskunde nicht einfach an die Helmholtz-Gemeinschaft abtreten wolle. Das Geomar sei im Leibniz-Verbund "unverzichtbar", sagte Karl Ulrich Mayer, Präsident der gemeinschaft, am Freitag. Es werde eines der "Kronjuwelen" in Überlegungen des Bundes einbezogen, um Schleswig-Holsteins kurzfristig finanziell zu entlasten. Gefragt wurde die Leibniz-Gemeinschaft offenbar nicht - zu diesen Plänen habe es "keine Abstimmung gegeben", so Mayer weiter.

Er bezeichnete es als bedauerlich, dass "die exzellente Forschung am IFM-Geomar zum Objekt finanzpolitisch motivierter Verschiebungen zwischen Forschungsorganisationen" geworden sei, bevor es eine grundlegende Strukturdebatte über außeruniversitäre Forschung gegeben habe. Primat wissenschaftspolitischer Entscheidungen müsse das "Wohl der Forschung sein, nicht ihr Finanzierungsschlüssel".

Mayer regte eine einheitliche Finanzierung der gesamten außeruniversitären Forschung von 70 Prozent durch den Bund und 30 Prozent durch die Länder an. Eine solche Finanzierung sei ein "probates Mittel, um die außeruniversitäre Forschung von finanzpolitischen Erwägungen unabhängig zu machen", so Mayer.

Schavan hatte am Donnerstagabend betonte, es sei "Einigkeit zwischen altem und neuen Träger" hergestellt worden - also zwischen Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft. Der Wechsel des Geomar-Instituts sei bereits länger im Gespräch gewesen, versicherten Schavan und Carstensen auf Nachfrage. Das Umtopfen des Instituts pries Schavan als "strukturelle Weiterentwicklung der Forschungslandschaft".

Geomar bangt um DFG-Förderung

Hat das Bildungsministerium die Forscher mit ihrem Plan nun überrollt und das Institut als Verschiebemasse im Dauergefeilsche zwischen Bund und Land eingesetzt? Schavan räumte am Donnerstag lediglich ein, die "Zügigkeit" der Entscheidung habe mit der drohenden Abwicklung der medizinischen Fakultät in der Hansestadt zu tun; das habe die Umwandlung beschleunigt.

Doch auch Peter Herzig, Direktor des Geomar-Instituts, sprach von einer "überraschenden politischen Weichenstellung" - "leider sind wir über Zeitpunkt und Inhalt der Pressekonferenz nicht vorab informiert worden". Grundsätzlich sind die Kieler Meeresforscher nicht gegen eine neue Trägerschaft. Herzig nannte zwei Voraussetzungen: Auch nach einem Wechsel müsse der Status des Instituts "an der Universität Kiel" erhalten bleiben; hier geht es um die dienstrechtlichen Konsequenzen für die Professoren. Vor allem aber müsse die Einrichtung voll antragsberechtigt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bleiben. Unter dem Leibniz-Dach sei das der Fall, bei der Helmholtz-Gemeinschaft "nicht in vollem Umfang".

Am Abend der Entscheidung hatte sich Geomar noch nicht zu einer Stellungnahme durchringen können. Ein verdutzter Sprecher sagte SPIEGEL ONLINE aber, mit Anträgen an die DFG könnte es eventuell Schwierigkeiten nach einem Trägerwechsel geben. Von der DFG bekommt Geomar derzeit ein Drittel seiner jährlichen Drittmitteleinnahmen von rund 27 Millionen Euro. Falls das Institut DFG-Gelder verliere, wäre die "Leistungsfähigkeit unserer Forschung extrem gefährdet", so Herzig.

Lübeck mag gerettet sein - doch den Kieler Forschern steht nun ein langwieriger Umbau ihres bislang so erfolgreichen Instituts ins Haus.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten