Kunststudenten Top-Noten im Studium, hinterher Hartz IV

Kunsthochschulen sind Kaderschmieden der Elite. Doch sie bilden in erster Linie potenzielle Arbeitslose aus. Denn selbst wer dort brilliert, hat danach oft keinen Erfolg - wie Gabriel und Tina.
Von Larissa Kikol
Atelier in Berlin: Der Künstler Samuel Wiesemann ist Autodidakt und hat ein Bild zum Thema Hartz IV gemalt

Atelier in Berlin: Der Künstler Samuel Wiesemann ist Autodidakt und hat ein Bild zum Thema Hartz IV gemalt

Foto: Larissa Kikol

Vor vier Jahren hat Gabriel*, 32, sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Sein Talent fiel schon damals auf, er stach unter den anderen Studenten hervor, bekam Fördermittel und von den Professoren viel Anerkennung. Doch all das half ihm nach dem Studium nichts: Gabriel musste Hartz IV beantragen und schlägt sich seither mit Gelegenheitsjobs durch.

Denn Talent und Fleiß spielen keine Rolle, wenn man Künstler ist. Sie spielen keine Rolle, wenn es um die Frage geht, wie das Leben nach dem Abschluss an einer Kunsthochschule aussieht. Diese gelten für viele als sicherer Ort der Selbstverwirklichung, als behütete, kreative Entfaltungsmöglichkeit. Aber das endet, sobald die Studenten ihre Abschlusszeugnisse in den Händen halten. Kunsthochschulen bilden in erster Linie potenzielle Arbeitslose aus.

"Noten, selbst Bestnoten, zählen für den Karriereweg nicht", sagt auch ein Berliner Galerist. Einnahmequellen, und das sind meist Galeristen, die den Künstlern feste Verträge anbieten, interessieren sich nicht für die akademische Bewertung der Studienleistungen. Die Kunstwerke müssen den aktuellen Geschmack treffen, und dabei habe es oft auch einfach nur mit Glück zu tun, eben mit subjektivem Gefallen, so der Galerist. "Auch Kontakte zählen immer mehr als ein Zeugnis mit Auszeichnung. So funktioniert die Kunstszene."

Im vergangenen Jahr verdiente Gabriel 530 Euro mit seiner Kunst

Gabriel macht Siebdrucke, Zeichnungen, Installationen und Performances. Er kennt nicht genügend Leute, die ausreichend Geld haben, um so etwas kaufen zu können. Auch seine Galerie hat nicht ausreichend zahlungskräftiges Publikum. Das bedeutet: Circa 20 Stunden pro Woche jobbt er, zurzeit macht er Ausstellungsaufbau. Mit diesen verschiedenen Jobs, teilweise hat er mehrere gleichzeitig, verdient Gabriel um die 900 Euro pro Monat.

20 bis 30 weitere Stunden arbeitet er pro Woche an seiner Kunst. Abends oder an freien Tagen steht er dann in seinem Atelier, bereitet Ausstellungen vor, auf denen er nichts verkauft. 530 Euro hat er im vergangenen Jahr mit seiner Kunst verdient, im Jahr 2015 waren es 3800 Euro. Damals fand auch sein bislang größter Verkauf statt: Vier großformatige Siebdrucke für 7000 Euro - die Hälfte musste er allerdings an die Galerie zahlen. Gabriels regionales Künstlerstipendium ist auch wieder ausgelaufen.

Die meisten Absolventen brauchen die finanzielle Unterstützung vom Staat, von ihren Eltern oder (Ehe-)Partnern. Der Rest schult um oder arbeitet in verwandten Bereichen wie Design oder Pädagogik. Wer als freier Künstler weitermacht, muss lernen, mit sehr wenig Geld auszukommen.

Die Künstlersozialkasse verzeichnete für das Jahr 2014 im Berufsfeld Malerei 5701 Männer und 5593 Frauen. Ein malender Mann verdiente im Durchschnitt 10.313 Euro pro Jahr, eine Malerin sogar nur 7.452 Euro. Auch auf dem Kunstmarkt ist Gleichstellung noch nicht überall angekommen.

Beziehungen und Kinderwunsch mussten hinten anstehen - aber wofür?

Die Bildhauerin Tina, 44 Jahre, machte vor 14 Jahren ihren Abschluss, ebenfalls mit Bestnote an einer international bekannten deutschen Kunsthochschule. Auch ihr hat es nichts genutzt, seit 14 Jahren stellt sie in Off Spaces aus, das sind Non-Profit-Ausstellungsräume, die nicht auf den Verkauf ausgelegt sind. Von anderen Galerien, denen, wo Künstler auch etwas verdienen können, wurde sie abgelehnt. Immer wieder. Auch sie hat Gelegenheitsjobs, mal als Designerin, mal als Zeichenlehrerin, und lebt alleine in einer Zwei-Zimmer-Wohnung zur Miete.

Trotzdem hofft Tina noch auf den Durchbruch, macht eine unrentable Ausstellung nach der anderen und verpasst die anderen Seiten des Lebens. Beziehungen und ihr Kinderwunsch mussten hinten anstehen, für einen Traum, der sich wahrscheinlich niemals erfüllt. "Manchmal frage ich mich, ob meine Entscheidungen richtig waren. Aber ich habe schon zu viel geopfert, um jetzt aufzuhören", sagt sie.

Gabriel sieht das gelassener, er sei eigentlich recht zufrieden gerade. Seine Lebensgefährtin habe einen vernünftigen Beruf und verdiene wesentlich mehr als er. Das sei bei vielen seiner Kumpels auch so. "Dass sie mir manchmal Druck macht, verstehe ich trotzdem", sagt er.

Olafur Eliasson spricht mit seinen Studenten nicht über Karriere

Sollten die Kunsthochschulen daraus nicht Konsequenzen ziehen und weniger Studenten aufnehmen? Sodass sich die Zahl der Absolventen gesund schrumpft? Der Isländer Olafur Eliasson, ein Star am internationalen Kunsthimmel, unterrichtete Studenten in Berlin und aktuell in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Er ist anderer Meinung: Es sollte sogar noch mehr Geld investiert werden, um noch mehr junge Talente aufzunehmen. "Kunsthochschulen sind die kreative Muskulatur der Gesellschaft", sagt er, und Kreativität dürfe nicht einer reichen Elite vorbehalten werden, die es sich leisten kann.

Eliasson weiß aber auch: Man muss nicht nur ein Kunsttalent sein, sondern auch ein Organisationstalent, besonders nach dem Studium. Mit seinen Studenten spricht er trotzdem nicht über Karrierewege, seine Aufgabe sei es, sie zu bestmöglichen Künstlern auszubilden, findet er. Auch ihre Zukunft sieht er flexibler: Ein guter Kunsttherapeut sei genauso wichtig wie ein freier Künstler: "Die Berufswünsche sollten breiter angelegt sein."

Entscheiden sich Absolventen allerdings tatsächlich für einen Berufsweg abseits der freien Kunst, brauchen sie eines dann plötzlich doch: ihr Zeugnis. Denn in anderen Branchen interessieren sich Arbeitgeber sehr wohl für Noten und Abschlüsse.

* Namen von der Redaktion geändert

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