Landesmittel gestrichen Wittener Uni-Präsident tritt zurück

An Deutschlands größter Privatuniversität überschlagen sich die Ereignisse. Erst kamen ihr die Landeszuschüsse abhanden - nun der Kopf: Präsident Birger Priddat wirft das Handtuch. Im Kampf ums Überleben bleibt der Hochschule kaum Zeit, neue Geldgeber zu finden.

Als am Mittwoch das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium völlig überraschend mitteilte, dass die Landeszuwendungen an die Universität Witten/Herdecke gestoppt werden, war es verdächtig still in der Hochschulleitung. Erst nach einigen Stunden lag eine Stellungnahme der Universität vor. Und darin kam Präsident Birger P. Priddat nicht zu Wort, wurde in keiner Zeile erwähnt, war auch telefonisch nicht zu sprechen.

Der Grund wird am Donnerstagnachmittag klarer: Es handelt sich um ein Mann-über-Bord-Manöver. Priddat stelle "mit sofortiger Wirkung" seine Ämter als Präsident und als Geschäftsführer zur Verfügung, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Zweifel des Wissenschaftsministeriums an der "Ordnungsmäßigkeit der heutigen Geschäftsführung" seien für Priddat "nicht nachvollziehbar". Dennoch habe er sich zum Rücktritt entschlossen, um "Schaden von der Universität abzuwenden und die Voraussetzungen für einen Neuanfang in der Beziehung zum Land Nordrhein-Westfalen zu schaffen".

Die Hochschule steht ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung vor einem Scherbenhaufen. Das Land will die Zuwendung von 4,5 Millionen Euro für das Jahr 2008 nicht auszahlen und fordert zudem drei Millionen für das Vorjahr zurück - eine beträchtliche Summe angesichts des Jahresetats von rund 30 Millionen Euro.

"Telefonieren den ganzen Tag mit möglichen Sponsoren"

Schon länger fehlt es der Universität an potenten Geldgebern, das Loch von etwa drei bis vier Millionen pro Jahr müsste durch neue Geldquellen gestopft werden. Hinzu kommt, dass die Hochschulen offenbar über Jahre von Bußgeldern profitierte, mit denen Gerichte sie auf Vorschlag der Staatsanwaltschaft Bochum bedacht hatten. Die genaue Höhe ist nicht bekannt. Nach Filz- und Kungelei-Vorwürfen gegen eine Staatsanwältin dürfte es damit wohl vorbei sein.

Jetzt kämpft die Universität um ihr nacktes Überleben. "Wir telefonieren den ganzen Tag mit möglichen Sponsoren", sagte am Donnerstagmorgen Uni-Sprecher Ralf Hermersdorfer. "Wenn wir das Geld bis zum Jahresende nicht haben, ist es aus." Die Entscheidung des Landes könne "das Aus bedeuten, die Insolvenz", hatte auch Konrad Schily, Gründer und langjähriger Präsident der Universität, am Mittwoch erklärt.

Schily leitete die 1982 vom Land anerkannte Hochschule bis 1999. Seitdem wechselten die Präsidenten in rascher Folge: Auf Schily, heute FDP-Bundestagsabgeordneter, folgte Walter Zimmerli, im April 2005 Wolfgang Glatthaar und erst im August 2007 dann der Volkswirtschaftler Priddat, der zuvor bereits Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gewesen war.

Zwei ernsthafte Interessenten verprellt

Am Donnerstag formierten sich die Studenten zum Protest gegen den möglichen Untergang. Rund 1200 sind insgesamt in Witten/Herdecke eingeschrieben, sie studieren Humanmedizin, Zahnmedizin, Pflegewissenschaften oder Wirtschaft sowie im "Studium fundamentale". 200 Studenten demonstrierten vor dem Düsseldorfer Landtag. In einem Gespräch mit einer Delegation der Studenten sagte Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) zu, dass sie im Falle einer Schließung an andere NRW-Hochschulen wechseln könnten. Die Entscheidung des Landes verteidigte er indes als zwingend; nun sei die Hochschule am Zug.

Begründet hatte Pinkwart den Rückzug des Landes damit, dass die Geschäftsführung nicht mehr ordnungsgemäß arbeite und keinen überzeugenden Wirtschaftsplan vorgelegt habe. Zudem habe die Hochschule über mehr Geld verfügt, als sie im Finanzplan für 2007 angegeben habe - darum die Rückforderung. Pinkwart forderte sie auf, eine Zukunftsperspektive nachzuweisen.

Die Formulierungen sind ungewöhnlich scharf. Pinkwart argumentierte auch, der Uni sei es nicht gelungen, aus Verhandlungen mit mehreren potentiellen Partnern "eine dauerhafte strategische Partnerschaft zu entwickeln". Dabei handelt es sich in den letzten beiden Jahren erst um den privaten Klinik- und Fachhochschulbetreiber Stiftung Rehabilitation Heidelberg (SRH), vor einigen Monaten dann um Droege International. Die Unternehmensberatung wollte über sieben Jahre insgesamt zwölf Millionen Euro bereitstellen. Doch dann verkrachten sich Hochschule und Geldgeber.

Studenten bieten Gebührenerhöhung an

Die Universität kündigte am Mittwochabend an, das Vorgehen des Ministeriums auch juristisch zu prüfen. Man habe für 2009 bis 2011 einen Plan vorgelegt, der einen ausgeglichenen Haushalt erwarten lasse, und könne sich die "nun erfolgte Kehrtwende" nicht erklären. Die Landesregierung gefährde auch 600 Arbeitsplätze und die Ausbildung von über 1200 Studenten.

Darauf wies auch der Betriebsrat hin - mit der Hochschule seien in der Region zudem "2000 Arbeitnehmer indirekt verbunden". Die Studenten schrieben in einer Erklärung, dass sie die Universität als "Ort persönlicher und gesellschaftlicher Entwicklung" weiter voll unterstützen. Sie seien bereit, bis zu 60 Prozent höhere Studiengebühren zu bezahlen. Inzwischen gibt es auch eine Unterstützerseite  im Internet.

Erst vor einigen Monaten hatte die Uni-Leitung um Priddat die Studiengebühren kräftig angehoben. In den ersten Jahren der Universität gab es noch keine, auch das Land zahlte keine Zuschüsse. Das änderte sich 1995 - ab dann war die private Hochschule, die in Rankings regelmäßig vordere Plätze belegt, mit engen Praxisbezügen un ungewöhnlichen Konzepten punktet, nicht mehr ganz so privat. Zuletzt betrugen die Landesmittel 4,5 Millionen Euro pro Jahr, knapp ein Siebtel des offizielle Gesamtetats.

"Kein Geld hatten wir immer schon", hatte einmal Konrad Schily nonchalant bemerkt; sein selbstironisches Bonmot kursiert seit Jahren an der Hochschule. Nun ist sie stark unter Zugzwang und müsste das Land zügig mit einem soliden Konzept überzeugen, weitere Mittel zu überweisen. Selbst dann braucht sie obendrein sie neue private Geldgeber, um die Pleite abzuwenden. Die Bildungsgewerkschaft hat sogar eine "Verstaatlichung" der Privathochschule gefordert, dürfte sich damit aber kaum durchsetzen.

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