Landeszuschüsse futsch Privatuni Witten/Herdecke droht die Pleite
Hamburg - 31,1 Millionen Euro umfasste der Etat der privaten Universität Witten/Herdecke im Geschäftsjahr 2006/2007, davon steuerte das Land Nordrhein-Westfalen 14 Prozent bei. Nun allerdings hat das Wissenschaftsministerium völlig überraschend mitgeteilt, der Hochschule könne die Zuwendung von 4,5 Millionen Euro für das Jahr 2008 nicht ausgezahlt werden. Und damit nicht genug - für das Jahr 2007 fordert das Land sogar drei Millionen Euro zurück.
Der Fall ist heikel und auf den ersten Blick schwer durchschaubar: Die Privatuniversität erfülle die "rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Landeszuwendungen nicht", teilte NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart am Mittwochmorgen mit. Sie habe keine "ordnungsgemäße Geschäftsführung" nachweisen und auch keinen "verlässlichen, testierten Wirtschaftsplan vorlegen können - weder für 2009 noch für die nächsten beiden Jahre". Zur Drei-Millionen-Rückforderung lautet die Stellungnahme des Wissenschaftsministeriums: "Die Hochschule musste einräumen, dass ihre Einnahmen in 2007 um diesen Betrag höher waren, als sie gegenüber dem Land zum Zeitpunkt der Zuwendungsgewährung geltend gemacht hatte."
Die Streichung der Fördermittel ist ein schwerer Schlag für Deutschlands älteste und größte Privatuniversität - so schwer, dass sie möglicherweise in die Pleite steuert. Denn die Hochschule ist seit Jahren angeschlagen und bemühte sich intensiv um neue Geldgeber. Doch gleich zweimal scheiterten in den letzten beiden Jahren Verhandlungen: zunächst mit dem privaten Klinik- und Fachhochschulbetreiber Stiftung Rehabilitation Heidelberg (SRH), vor einigen Monaten dann mit der Unternehmensberatung Droege International.
Trennung von Geldgeber mit Getöse
Zwölf Millionen Euro, über sieben Jahre verteilt, wollte Droege bereitstellen, beendete das Engagement in Witten aber nach anhaltenden Auseinandersetzungen mit der Hochschule. Insbesondere einen aktuellen, soliden Finanz- und Businessplan hatte das Unternehmen angemahnt und sah dann keine Basis mehr für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Umgekehrt hatte der Uni-Vizepräsident Maxim Nohroudi der Firma vorgeworfen, "ein Take-over, eine klassische Übernahme" zu planen.
Der Hochschule sei es jedenfalls nicht gelungen, aus Verhandlungen mit diesen Partnern "eine dauerhafte strategische Partnerschaft zu entwickeln", so Pinkwart. Auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE wird ein Sprecher des Ministeriums deutlicher: Allein im Jahr 2008 habe man die Hochschule "18-mal aufgefordert", belastbare, testierte Finanzpläne vorzulegen, sagte Ralf-Michael Weimar. Dem sei die Hochschule nicht nachgekommen. "Die Hochschule hat dargelegt, dass sie mit Liquiditätsengpässen rechnet und nicht sicher ist, ob sie dauerhaft den Betrieb aufrechterhalten kann."
Auch die drei Millionen Euro Fördersumme des Jahres 2007 habe das Ministerium zurückfordern müssen. Erst im Nachhinein sei bekannt geworden, dass die Hochschule über mehr Mittel verfügt habe, als sie im Finanzplan für 2007 angegeben habe. "Die Geschäftsführung arbeitet nicht mehr ordnungsgemäß", so Weimar. "Wir müssen mit Steuergeldern verantwortlich umgehen und dürfen daher kein Geld mehr an die Hochschule überweisen." Seit Mitte der neunziger Jahre habe das Land immer wieder Defizite der Hochschule ausgeglichen.
Landeszuschüsse seit 1995
Weimar sagte, das Land entziehe die Zuwendungen nur "schweren Herzens". Die Universität Witten/Herdecke sei zwar eine private Einrichtung, habe für Nordrhein-Westfalen aber große Bedeutung. "Die Landesregierung hat sich immer zu der Hochschule bekannt und sie nach Kräften unterstützt", betonte Minister Pinkwart. Für 2008 soll die Uni leer ausgehen. Landesmittel von 4,5 Millionen Euro seien im Haushalt 2009 zwar eingeplant, sagte Pinkwart dem Deutschlandfunk. Dafür müsse die Hochschule aber eine "Zukunftsperspektive" nachweisen und einen testierten Wirtschaftsplan vorlegen.
Sie wurde 1982 vom Land anerkannt, verzeichnet rund 1200 Studenten und bietet als einzige Privathochschule in Deutschland auch ein Humanmedizinstudium an, außerdem die Fächer Zahnmedizin, Pflegewissenschaften, Wirtschaft sowie das "Studium fundamentale". Zunächst finanzierte sie sich ausschließlich privat, erhält seit 1995 Landeszuschüsse und erhebt Studiengebühren. Je nach Fach kostet das Studium in Witten/Herdecke zwischen 18.000 und 40.000 Euro; die Uni-Leitung um den neuen Präsident Birger Priddat hatte die Studiengebühren kräftig angehoben. Das bietet jedoch keinen Ausweg aus der finanziellen Notlage.
Für heftige Turbulenten hatte auch der Wissenschaftsrat gesorgt: Das Expertengremium verweigerte dem Medizinbereich, Herzstück der Universität, zunächst die Akkreditierung und forderte eine Neustrukturierung. Daran arbeitet die Medizinfakultät.
Uni nennt ihre Zukunft "fragil"
Ob die Hochschule nach dem Rückzug des Hauptsponsors auch die Streichung der Landeszuschüsse überleben kann, ist unklar. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE bezeichnete ein Uni-Sprecher die Zukunft der Hochschule als "fragil". Zur Finanzplanung sagte er: "Wir prüfen die Sachlage und verhandeln mit Sponsoren, um die finanziellen Differenzen abzudecken." Mit dem NRW-Wissenschaftsministerium habe es in den letzten Monaten "regen Schriftverkehr" gegeben. Die Entscheidung könne "das Aus bedeuten, die Insolvenz", sagte Konrad Schily, Gründer und langjähriger Präsident der Universität in der Sendung "Campus & Karriere" des Deutschlandfunks.
Die Universität wehrt sich gegen die "absolut überraschende" Entscheidung - und will das Vorgehen des Ministeriums auch juristisch prüfen. Die Hochschule habe einen "durch den Wirtschaftsprüfer plausibilisierten Plan" für 2009 bis 2011 vorgelegt, der "einen ausgeglichenen Haushalt erwarten lässt", heißt es in einer Stellungnahme vom Mittwochabend. Dem stehe nicht entgegen, dass "darin Risiken enthalten sind". Zudem sei die "Liquidität für die ersten Monate des Jahres 2009 durch eine Bürgschaft sichergestellt".
Daneben weist die Hochschule den "Vorwurf einer nicht ordnungsgemäßen Geschäftsführung" zurück. Noch bis letzte Woche habe sie auf ein politisches Bekenntnis des Landes gezählt, das über die 4,5 Millionen Euro hinaus auch weitere Mittel von 900.000 Euro für 2008 umfasst habe. "Die nun erfolgte Kehrtwende kann sich die UWH nicht erklären", heißt es weiter. Nun sei das Weiterbestehen in Frage gestellt; zugleich gefährde die Landesregierung auch 600 Arbeitsplätze und die Ausbildung von über 1200 Studenten.
Vorwürfe gegen Staatsanwältin
Zur Finanzierung der Hochschule trug in den letzten Jahren eine ungewöhnliche Quelle bei: Einnahmen aus Geldbußen. Witten/Herdecke liegt wenige Kilometer von Bochum entfernt, wo die Staatsanwaltschaft in vielen größeren Fällen von Steuerhinterziehung ermittelt. Oft werden dabei hohe Strafzahlungen oder Bußgelder fällig und gehen in der Regel an gemeinnützige Organisationen. Formal entscheiden darüber die Gerichte, halten sich dabei aber fast immer an Vorschläge der Staatsanwaltschaften.
Davon profitierte auch die Privatuniversität - in welcher Höhe, wollten auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE weder das Ministerium noch die Hochschule beantworten. Offenbar geht es um Millionensummen. Sie könnten in den Posten "Sonstige Erträge" geflossen sein, der 20 Prozent des Gesamtetats der Hochschule im Geschäftsjahr 2006/2007 ausmachte.
Vorwürfe gibt es in diesem Zusammenhang gegen die Bochumer Staatsanwältin Margrit Lichtinghagen, 54. Sie hatte bei der Fahndung nach Steuersündern, die Geld nach Liechtenstein schafften, eine zentrale Rolle gespielt und auch gegen den früheren Postchef Klaus Zumwinkel ermittelt. Lichtinghagen ist Deutschlands derzeit prominenteste Strafverfolgerin reicher Steuerhinterzieher. Aber sie wechselt demnächst ihren Job und wird Richterin an einem Amtsgericht - nach Querelen in der Bochumer Staatsanwaltschaft vor allem um ihre Vorschläge zur Geldvergabe.
Zerwürfnisse in der Behörde
Großzügig bedacht haben soll sie etwa gemeinnützige Organisationen im Umkreis ihres Wohnortes Hattingen, darunter die Universität Witten/Herdecke. Pikant daran: Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge studiert seit kurzem dort auch eine Tochter Lichtinghagens (was die Hochschule weder dementiert noch bestätigt). Laut "SZ" fiel sie beim ersten Durchgang des Auswahlverfahrens durch und wurde im zweiten Anlauf aufgenommen.
Die Wittener Universität soll allerdings schon Jahre vor dem Studienbeginn der Tochter von Lichtinghagens Vorschlägen zur Verteilung von Bußgeld-Einnahmen profitiert haben. Der WDR berichtete am Mittwoch, die Staatsanwältin habe nach Darstellung von Wissenschaftsminister Pinkwart "von sich aus" im Juni dieses Jahres das Gespräch mit dem Ministerium über förderungswürdige Einrichtungen gesucht. Lichtinghagen habe dabei die Privatuniversität angesprochen, verbunden mit dem Hinweis, dass ihre Tochter dort studiere und sie die Verwendung von Bußgeldern mit der Bochumer Behördenleitung abstimmen wolle.
Dass Geld an Organisationen fließt, die Richter und Staatsanwälte kennen und schätzen, ist bisher nicht weiter ungewöhnlich. Aber vielleicht kein Modell für die Zukunft. Kommt familiäre Nähe dazu, macht sich gerade eine führende Staatsanwältin angreifbar. Lichtinghagen wehrt sich gegen die Vorwürfe von Filz und Kungelei, die in der offenbar zerstrittenen Bochumer Staatsanwaltschaft sprießen. Offiziell verlässt sie die Behörde nun "auf eigenen Wunsch".