
Aufgeschobene Hausarbeiten: Heute Nacht werd' ich bestimmt fertig
Hausarbeiten-Dilemma Schenk mir diese eine Nacht
Leises Gemurmel und Geflüster, konzentriertes Tippen auf dem Laptop, nur kurz unterbrochen für einen Plausch mit dem Kommilitonen. So verbrachten rund 170 Studenten ihren späten Donnerstagabend in der Staatsbibliothek der Uni Hamburg. Sie hatten sich versammelt, um etwas zu tun, wozu sie sich bislang nicht aufraffen konnten: Lernen, vorankommen und vor allem die längst überfällige Hausarbeit schreiben.
Prokrastination, auch bekannt als Aufschieberitis, beschreibt das weit verbreitete Phänomen, mit Hausarbeiten, Prüfungsvorbereitung oder Essays erst anzufangen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Bereits zum dritten Mal nahm die Universität Hamburg daher an der bundesweiten Aktion "Lange Nacht der aufgeschoben Hausarbeiten" teil.
Studenten waren eingeladen, von 16 Uhr bis Mitternacht in die Staats- und Universitätsbibliothek zu kommen, um allein oder mit Hilfe von Schreibberatern ihre Arbeiten voranzubringen - in gemütlicher Atmosphäre und unter Leidensgenossen.
"Wenn man sieht, wie alle anderen um einen herum arbeiten, motiviert das, auch selbst etwas zu tun", beschreibt Organisatorin Dagmar Knorr das Konzept. Und das scheint heute auch zu funktionieren, angestrengt sitzen die Studenten über ihren Arbeitsblättern, Mitschriften und Tastaturen.
Hinter einer Säule etwa sitzt Pädagogikstudentin Linura. Sie hat sich vorgenommen, endlich mit ihrem Essay zum Thema Erwachsenenbildung anzufangen und freut sich über die Hilfe der Schreibberater. Sie habe keine Erfahrungen mit Essays, sagt die 22-Jährige, und ergänzt: "Ich frage die Mitarbeiter dann, wie man richtig zitiert und auch, ob meine Sprache so okay ist." Linura kommt aus Kirgistan und ist erst seit knapp drei Jahren in Deutschland, zunächst als Au-pair, jetzt als Studentin.
Hilfe? "Dafür bin ich zu stolz"
An einem anderen Tisch sitzt Volkan, 20. Er studierte erst Ingenieurswissenschaften, wechselte dann aber notgedrungen zu Mechatronik. Er bereite sich zwar nicht akut auf eine Prüfung vor, wünsche sich aber, dass es ihm in seinem neuen Fach besser ergeht. Auf seinem Collegeblock reiht er mathematische Formeln aneinander. Er findet vor allem die Atmosphäre in der Bibliothek hilfreich und freut sich, dass er gemeinsam mit anderen Studenten lernen kann. Hilfe von Tutoren will er aber nicht. "Dafür bin ich zu stolz", sagt er.
Organisatorin Knorr kennt das Problem des Aufschiebens noch gut aus ihrer eigenen Studienzeit. Die promovierte Kognitionswissenschaftlerin musste schon damals ihre Kommilitonen motivieren, sich an die Hausarbeit zu setzen. "Man denkt, man hat noch genug Zeit." Nähere sich die Abgabefrist, werde es dann oft stressig. Knorr bietet daher auch außerhalb der langen Nacht Beratung für Hamburger Studenten an, wenn es Probleme beim Schreiben gibt.
Endlich die längst überfällige Hausarbeit abgeben können, das möchte auch ein Politikstudent im siebten Semester, dem seine Aufschieberitis peinlich ist und der darum seinen Namen nicht sagen will. Das Thema "Militärische Invasion der USA in Lateinamerika" habe er schon im vergangenen Sommer von seinem Dozenten bekommen. Weil der ihm keinen Druck mache, habe er die Arbeit bislang immer liegen lassen. "Deswegen bin ich heute hier", sagt er. Viele Leute um sich findet er beim Arbeiten allerdings eher hinderlich, er hat sich mit Ohrstöpseln akustisch abgeschottet.
Vorbild für die Aufschieber könnte dagegen Lehramtsstudentin Nadine, 24, sein. Ihre Quelleninterpretation über ein päpstliches Dekret hat noch mehr als drei Wochen Zeit. Sie nutzt die lange Nacht trotzdem, um die Formalien ihrer Hausarbeit überprüfen zu lassen. Motivation sei für sie kein Problem", sagt Nadine, die Berufsschullehrerin werden möchte. "Wenn man rechtzeitig anfängt, hat man doch viel mehr von den Semesterferien. Das sollte genug Motivation sein, nicht alles auf den letzten Drücker zu machen."