Party-Talk über Lebensläufe Könnt ihr nicht einfach feiern?!

Uni-Loser Felix Dachsel, 28, besucht eine WG-Party und ist angewidert: Die fleißigen Studenten reden nonstop über Praktika und Perspektiven. Sehen wir unser Leben nur noch mit den Augen potenzieller Arbeitgeber?
Freiheit, feiern, faulenzen - hat sich der Uni-Loser das Studium zu romantisch vorgestellt?

Freiheit, feiern, faulenzen - hat sich der Uni-Loser das Studium zu romantisch vorgestellt?

Foto: Corbis

Eines Abends geriet ich auf eine WG-Party, die ich besser niemals besucht hätte. Junge Männer mit Ringelpulli, Studentinnen mit Apfelschorle, ein Volkswirtschaftler mit randloser Brille und eine hysterische Schauspielschülerin, die an diesem Abend die Rolle ihres Lebens gefunden hatte, nämlich die Rolle als hysterische Schauspielschülerin, saßen auf einem Balkon in Schwabing und sprachen über Perspektiven, Praktika und Lebensläufe.

Der Höhepunkt des Abends war erreicht, als auf dem Grill ein Steak in Brand geriet. Der Tiefpunkt, als man darüber diskutierte, wie groß eine Lücke im Lebenslauf sein könne, bevor sie problematisch wird. Man war sich einig: höchstens zwei Monate.

Es stellte sich heraus, dass die hysterische Schauspielschülerin Tochter eines Hamburger Reeders war. Sie bot der Runde an, man könne bei ihrem Vater gerne ein Praktikum machen, bei Interesse, das würde sie organisieren. Einen Anruf würde sie das kosten, nicht mehr.

"Hamburg ist wunderschön", sagte sie.

"München aber auch", sagte einer der Männer im Ringelpulli.

"München hat aber keinen Hafen", sagte ein anderer Mann im Ringelpulli.

"Genau", sagte die hysterische Schauspielschülerin und streckte einen schlauen Zeigefinger in die Luft. Dann ebbte das Gespräch ab und man schwieg sich an. Aber die entscheidenden Fragen waren ja geklärt:

1. Lücken im Lebenslauf dürfen zwei Monate nicht übersteigen.

2. Wer ein Praktikum bei einem Reeder in Hamburg machen will, muss die hysterische Schauspielschülerin fragen, die kann das regeln.

3. Hamburg ist wunderschön.

4. München ist wunderschön.

5. München hat aber keinen Hafen.

Ich nahm meinen Rucksack und verabschiedete mich unter einem Vorwand. Ich wollte gehen, bevor der Drang zu groß wurde, mich sofort vom Balkon zu stürzen.

Zählt denn nur der Lebenslauf?

Ich lief durch die Straßen Münchens Richtung Olympiapark und erinnerte mich an die Vorstellungen, die ich vom Studium hatte, als ich noch Schüler war. Einmal, ich war in der zehnten oder elften Klasse, besuchte ich meinen Bruder und seine Freundin, beide studierten in München. Wir saßen damals auf dem Balkon ihres Studentenwohnheims, tranken Augustiner und guckten in die Bäume. Das ist also das Studium, dachte ich. Freiheit, entspanntes Lernen, Ausschlafen, das Gegenteil von Schule. Meine Vorstellungen waren romantisch. Ich dachte damals, dass man sich tagelang in der Bibliothek in Büchern vergräbt, um Antworten auf seine Fragen zu finden. Ich dachte, dass man in Seminaren diskutiert, bis die Welt gerettet ist. Und dass Dozenten grundsätzlich wild gestikulierend durch die Reihen schreiten, bis alle mitgerissen sind. Und jetzt?

Jetzt sah ich Schauspielschülerinnen und Ringelpullis dabei zu, wie sie sich über Lücken im Lebenslauf unterhielten. Aber ich war ja selbst schuld: Meine eigene Fantasielosigkeit hatte mich hierhin geführt. In der Schule hatte man uns erzählt, dass wir alle Möglichkeiten hätten, dass uns die Welt offen stünde. Was nur die halbe Wahrheit ist, weil es nur auf diejenigen zutrifft, die es sich leisten können, diese Möglichkeiten zu nutzen. Aber selbst für die ist das nur theoretisch richtig. Theoretisch stand uns die Welt offen. Theoretisch hatten wir alle Möglichkeiten.

Praktisch waren die Möglichkeiten aber sehr beschränkt. Man hatte uns ein Raster antrainiert, mit dem wir Optionen auf ihre Verwertbarkeit und ihre Sinnhaftigkeit prüften. Durch dieses Raster fielen sofort Hunderte Möglichkeiten, und weitere tausend Optionen kamen uns gar nicht in den Kopf. Entscheidend war die Darstellbarkeit im Lebenslauf: Man tat ausgefallene Dinge, wenn sie als ausgefallene Dinge sinnvoll im Lebenslauf darstellbar waren. Wir sahen unser Leben mit den Augen unserer möglichen Arbeitgeber.

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Foto: Wolfgang Kumm/ picture alliance / dpa

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