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Luftgitarren-Oper: Nicht nachdenken, abrocken!

Foto: Paula Reissig

Luftgitarren-Meisterin "Meinen Freunden bin ich manchmal peinlich"

Vor zwei Jahren griff Aline Westphal, 26, erstmals zur Luftgitarre. Heute kann sie nicht mehr ohne: Sie ist Deutsche Meisterin, vertritt die Bundesrepublik bei der Weltmeisterschaft in Finnland und schreibt sogar ihre Abschlussarbeit über die Luftnummer. Angefangen hat alles in einem Uni-Seminar.

SPIEGEL ONLINE: Frau Westphal, Sie sind bei der Deutschen Meisterschaft im Luftgitarrespielen angetreten und haben gewonnen. Warum tun Sie das?

Westphal: Weil es Spaß macht. Luftgitarre spielen pustet den Kopf frei. Ich darf Rockstar sein für eine Minute. Ein kleiner Traum.

SPIEGEL ONLINE: Unter den acht Konkurrenten bei der Meisterschaft war auch Ihr Dozent. Der Professor für Medienästhetik brachte Ihnen das Luftgitarrespielen in einem Uni-Seminar bei - und Sie haben ihn geschlagen. Angst vor schlechteren Noten haben Sie offensichtlich nicht.

Westphal: Nein, er ist sehr stolz auf mich.

SPIEGEL ONLINE: Sie studieren an der Uni Hildesheim Szenische Künste, ein junger Studiengang, der sich um Theater und Medien dreht. Vor zwei Jahren besuchten Sie dort das Luftgitarrenseminar. Was hat Sie daran gereizt?

Westphal: Das Uni-Angebot kann manchmal recht gleichförmig sein. Sobald zwischen den ganzen Dokumentarfilm- und Drehbuchseminaren mal etwas Exotisches auftaucht, greife ich zu. Und Luftgitarre war so schön absurd. Vorher dachte ich, dass nur dicke, verschwitzte Metal-Typen, die keine Freundin haben, in Clubs auf der Tanzfläche spielen.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie denn gelernt, was die nicht können?

Westphal: Wir haben bei den Grundlagen angefangen wie im ganz normalen Gitarrenunterricht. Wir haben uns als erstes die Luftgitarre umgehängt, dann Standardmoves wie die Wind Mill gelernt.

SPIEGEL ONLINE: Haare kreisen?

Westphal: Nee, den Arm kreisen. Das kann man auch noch in Upstroke und Downstroke unterscheiden. Wir mussten uns wie im Sportunterricht in einer Reihe aufstellen und üben.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt also klare Regeln bei der Luftgitarre?

Westphal: Regeln ist das falsche Wort. Aber ich muss zeigen, dass ich theoretisch eine echte Gitarre spielen könnte. Die Armhaltung muss beispielsweise stimmen. Darauf achtet die Jury.

SPIEGEL ONLINE: Und können Sie eine echte Gitarre spielen?

Westphal: Ein paar Akkorde. Mehr nicht.

SPIEGEL ONLINE: Der erste Song auf der Luftgitarre - das war sicher eine Überwindung.

Westphal: Das war peinlich. Aber Scham und Luftgitarre passen nicht zusammen.

SPIEGEL ONLINE: Dann haben Sie sich auch nicht für Ihren Dozenten geschämt, als er abrockte?

Westphal: Er hat sich am Anfang sehr zurückgehalten. Im ersten Jahr hat er nicht einmal vor uns gespielt, sondern nur erklärt und vielleicht mal Moves angedeutet. Als Dozent hat man ja auch eine gewisse Stellung… Erst nach dem Semester legte er los. Mit seinen 2,06 Metern sieht das auch unglaublich cool aus. Wenn er die Windmill macht, stinken wir ab.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem haben Sie gewonnen - wie das?

Westphal: Vielleicht habe ich im Seminar besonders gut aufgepasst. Es hieß: Medienästhetische Überlegungen zur Luftgitarre. Wir haben beispielsweise eine Guitar-Hero-Checklist aufgestellt. Welche Eigenschaften muss ein legendärer Gitarrist haben? Wichtig ist etwa die Virtuosität, also die technische Unerreichbarkeit, der Orpheus-Faktor, also die Ambivalenz zwischen Genie und Wahnsinn, und die Maskulinität.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie erfüllen die Kriterien?

Westphal: Die Maskulinität zwar nicht gerade, dafür zählt das Abrocken ganz klar zu meinen Stärken.

SPIEGEL ONLINE: Sie schreiben gerade auch Ihre Diplomarbeit zur Kulturgeschichte der Luftgitarre. Darauf hat die Wissenschaft nicht gerade gewartet.

Westphal: Das stimmt, bei dem Thema rümpfen sogar einige meiner Freunde die Nase. Aber es gibt über jeden Schrott Bücher und Dissertationen. Und für die Luftgitarrenszene, über die es wenig Literatur gibt, ist meine Arbeit eine Bereicherung.

SPIEGEL ONLINE: Und was möchten Sie später mit Ihrem Luftgitarren-Diplom anfangen?

Westphal: Ich möchte nach dem Studium gern im Bereich Musikmanagement arbeiten. Mein Hobby fanden in dem Business bisher alle cool.

SPIEGEL ONLINE: Im August werden Sie Deutschland bei der Luftgitarren-Weltmeisterschaft in Finnland vertreten. Wie bereiten Sie sich vor?

Westphal: Ich habe eine Kür zu "Pretender" von den Foo Fighters vorbereitet. Kurz vor einer Meisterschaft höre ich den Song 50 Mal am Stück. Es sieht spontan aus, was ich auf der Bühne mache, aber es ist alles choreographiert. Der Profi denkt sich was beim Spielen und schrammelt nicht einfach los.

SPIEGEL ONLINE: Wie oft holen Sie in Clubs die Luftgitarre raus?

Westphal: Wenn ein guter Song läuft, passiert das ganz automatisch. Meinen Freunden ist das manchmal ein bisschen peinlich. Aber da müssen die durch.

SPIEGEL ONLINE: In Finnland ist die Konkurrenz viel größer als in Deutschland. Schmeißen Sie hin, wenn Sie nicht gewinnen?

Westphal: Ich will auf jeden Fall weitermachen, dafür macht es mir zu viel Spaß. Es ist alles ein verrücktes Abenteuer, auf das ich schon lange gewartet habe.

Und wie sieht das aus? Aline Westphal im Video-Trailer zur Luftgitarren-Rock-Oper "Four vs. Hellfire" 

Das Interview führte Frauke Lüpke-Narberhaus
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