Manager-Uni Harvard Raubtiere auf Diät

Die Harvard Business School ist die Kaderschmiede des Kapitalismus - und ihre Absolventen gehören zu den Verursachern der Finanzkrise. Einige ihrer Nachfolger wollen nun einen Eid auf ethisches Verhalten schwören. Lässt sich so die Gier der Raubtiere bändigen?

Harvard

Als Termin bietet er 7.15 Uhr morgens an, er bringt den Rollkoffer mit zum Frühstück, gleich muss er zum Zug. Ein Termin in New York. Finanzgeschäfte? Manhattan, Wall Street? Nein, gar nicht, Peter Escher, Absolvent der Business School, der bekanntesten Kapitalismus-Kaderschmiede der Welt, geadelt mit dem Titel "Master of Business Administration", dem MBA, hat andere Pläne.

Escher, 30, ist jetzt Geschäftsführer einer Non-Profit-Organisation, die "MBA Oath" heißt, MBA-Schwur. Gemeinsam mit Studenten hat er den Klub in Harvard gegründet. Der Stoßtrupp will erreichen, dass Absolventen der Harvard Business School (HBS) und anderer Wirtschaftsuniversitäten einen Eid schwören: "Als Manager ist es mein Ziel, einem höheren Gut zu dienen. Ich werde mit höchster Integrität handeln und meine Arbeit in einer moralisch einwandfreien Weise erledigen."

Es sind Sätze, die man bisher selten aus dem Mund der Masters of the Universe gehört hat, und es ist die Frage, ob sie sich heute dazu bekennen - immerhin geht es wieder aufwärts mit der Weltökonomie. Zumindest die Banker schwenken wieder eilig ein auf den Kurs der maximalen Profitoptimierung. Aber Escher schreckt die Aussicht auf Vergeblichkeit nicht.

Um die Bosse von morgen für den Schwur zu begeistern, reist er kreuz und quer durchs Land, heute soll er einen Vortrag in New York halten. Escher wünscht sich, dass der Eid die Welt verändert, dass er eine Antwort ist auf die große Finanzkatastrophe, die gierige Manager verursacht haben. Das Bekenntnis soll irgendwann auf einer Stufe stehen mit dem Eid des Hippokrates, dem die Ärzteschaft verpflichtet ist, oder dem Gelübde von Anwälten, Gesetz und Verfassung zu achten.

Wird das funktionieren? Ethik und Business, passt das zusammen? Ausgerechnet in Harvard?

Die Schule hat ihren eigenen 11. September erlebt

9000 junge Frauen und Männer bewerben sich jedes Jahr an der HBS, nur jeder Zehnte bekommt einen Studienplatz. Für ein zweijähriges Studium bezahlen sie rund 150.000 Dollar Gebühren, dafür winken ihnen Einstiegsgehälter deutlich über dieser Summe, Boni exklusive. In der HBS-Cafeteria wird feinstes Grillhühnchen serviert, dazu Wein auf Wunsch. Das Fitness-Center erinnert an den Wellnessbereich eines Fünf-Sterne-Hotels, die Studenten hängen ab in Lounges, komplett mit Ledersofas und Kamin, chinesische Zeitungen liegen bereit. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 galt die HBS als Terrorziel - sie ist ein Symbol des American Way of Life.

Merrill Lynch

Doch nun hat die Schule ihren eigenen 11. September erlebt: die Finanzkrise. Es waren Harvard-Alumni, die an der Spitze der Investmentbank standen, bei den Rating-Agenturen mitarbeiteten, bei der Börsenaufsicht oder bei anderen der so gründlich gescheiterten Gremien und Gesellschaften. "Ihre Fingerabdrücke sind auf jedem jüngeren finanziellen Fiasko zu finden", schreibt Philip Delves Broughton, HBS-Absolvent und Autor eines kritischen Buchs über die Schule.

Escher protestierte denn auch, als ein Dozent es während der Finanzkrise ablehnte, über die tieferen Ursachen zu diskutieren. "So ist es eben", sagte der Lehrmeister, "Wall-Street-Händler sind wie Raubtiere. Wirft man ihnen Fleisch vor, stürzen sie sich darauf."

"Man muss die Raubtiere bändigen"

Escher hob die Hand und widersprach: So einfach könnten normale Bürger das Chaos der Finanzkrise leider nicht abhaken. Und er auch nicht. "Man muss die Raubtiere bändigen", glaubt Escher. Er war auf Zinne; gemeinsam mit Gesinnungsgenossen ließ er alsbald den Worten Taten folgen - sie erschufen das MBA-Bekenntnis zur moralisch korrekten Geldmacherei. Es war im Mai, Hunderte Absolventen der rund 900 Studenten starken Abschlussklasse, zu der auch Escher gehört, hatten sich in einem Saal der HBS versammelt, klatschten sich gegenseitig Mut zu und schworen den Eid. Die Initiatoren fanden einen Mäzen, der ihnen Geld gab, um die Botschaft ins Land hinauszutragen.

Angesichts solcher Aktivitäten, entfacht von Absolventen der eigenen Schule, sind auch die Lehrenden an der HBS mittlerweile nachdenklicher geworden. "Die Leute an den Märkten haben sich lange weniger auf Risikomanagement konzentriert als aufs Geldverdienen", sagt HBS-Dekan Jay Light. "Das müssen wir wieder korrigieren."

Fallstudien im Curriculum behandeln nun die Krise, Seminare zu Ethikfragen erfreuen sich neuer Beliebtheit. "Moral Leader" heißt ein Kurs, den Sandra Sucher unterrichtet. Früher, sagt sie, hätten manche Studenten wohl das Gefühl gehabt, man wolle ihnen bei solchen Veranstaltungen Werte vorschreiben, und was sie zu denken haben.

Die Krise ist ein schlechtes Geschäft

Sucher erzählt, wie es war, als sie mit den Seminarteilnehmern eine Kurzgeschichte über ein Versicherungsunternehmen im Süden der USA las. Das Unternehmen dreht armen Bürgern Policen zu sehr unvorteilhaften Konditionen an. Noch immer gebe es Studenten, sagt sie, die argumentieren, dass es dem Geldverdienen innewohne, nicht immer fair abzulaufen. Aber jetzt meldeten sich Kommilitonen, die dagegenhalten.

Die weltweite Finanzkrise könnte etwas ändern in den Köpfen der HBS-Absolventen und der MBAs anderer Hochschulen. Doch wird es von Dauer sein?

Eine Chance: Viele Mitglieder der HBS-Kaste sind Pragmatiker. Und die Krise ist für sie ein schlechtes Geschäft, sie beschränkt Job-Optionen, Verdienstmöglichkeiten. Allein schon aus Egoismus haben sie kein Interesse daran, dass sich eine solche Katastrophe wiederholt. Der MBA-Schwur passt selbst zu dieser Haltung - wer sagt, dass er ein Stempel für Gutmenschentum sein muss? Ebenso gut kann er als wirksames PR-Instrument eingesetzt werden.

Natürlich, die Anziehungskraft des Geldes ist ungebrochen, ein Drittel der Absolventen wechselte in diesem Jahr in die Finanzbranche. Selbst Harvard-Präsidentin Drew Faust, die ihre Studenten anhält, bei der Job-Wahl nicht nur aufs Geld zu achten, gibt zu: Ein rational denkender Mensch kann der Verlockung nur schwer widerstehen.

Auch Peter Escher weiß, wie seine Ex-Kommilitonen durch die Krise beeinflusst werden. "Wenn es derzeit ein richtig gutes Job-Angebot gibt, muss man es eigentlich annehmen." Eid hin, Eid her.

Einer der anderen Initiatoren des MBA-Schwurs schickt eine E-Mail aus New York. Er arbeitet nun bei einem riesigen Anlagefonds.

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