
Mark Tavassol: Kommt'n Musiker zum Arzt
Mark Tavassol von Wir sind Helden Vom Tonstudio zur Notaufnahme
Mark Tavassol, geboren 1974, ist Bassist bei Wir sind Helden. Dort spielt er zusammen mit Studienabbrecherin Judith Holofernes, mit Pola Roy und Jean-Michel Tourette, die sich im Jahr 2000 im Popkurs Hamburg trafen. Die Band - "Gekommen um zu bleiben" - schaffte 2003 den Durchbruch. Tavassol studierte von 1994 bis 2001 Medizin in Hamburg und arbeitete danach bis 2004 als "Arzt im Praktikum" im Krankenhaus Alten Eichen in Hamburg.
"Ein Jahr lang habe ich nahezu keinen freien Tag gehabt. Ich schob Nachtdienste in der Notaufnahme, am nächsten Tag hatte ich frei, bin mittags zum Proben nach Berlin gefahren und abends wieder zurück. Im 'Guten Tag'-Video sieht man das auch: Wenn Patti, unser Produzent, als böser Plattenmogul auftaucht, sind wir beide auf keinem einzigen Bild gleichzeitig zu sehen. Denn als er zu den Dreharbeiten kam, musste ich schon wieder nach Hamburg. Ich bin überall reingeschnitten.
Ich hatte ein Zeitproblem und habe mich noch ein Jahr lang aufgezehrt. Meinem Chefarzt habe ich erzählt, dass uns die Band über die Ohren wächst: Wir steigen in die Musik-Bundesliga auf, so wie es aussieht! Als ich daher eine Halbtagsstelle vorgeschlagen habe, hat der Chef nur eine Sekunde überlegt und gesagt: An Ihrer Stelle würde ich das genauso machen - meinen Segen haben Sie. Danach habe ich halbtags gearbeitet, mit flexiblen Arbeitszeiten.
Ich hatte vorher sogar auch überlegt, aus der Band auszusteigen. Dass wir später von der Musik leben können, war lange nicht klar. Die Entscheidung habe ich zweieinhalb Jahre vor mir hergeschoben. Als dann mein Vertrag im Krankenhaus ausgelaufen ist, habe ich ihn nicht verlängert und mich von meinen lieb gewonnenen Kollegen verabschiedet.
Band mit ermüdender Diskussionskultur
Sich dafür zu entscheiden, nur eine Sache zu machen, war für mich eine Art Erlösung, quasi der zweite Bandstart. Ich musste erst begreifen, mich nur auf den Musikerjob zu konzentrieren. Auch auf die Dinge drumherum: Wir haben zunächst alles selbst gemacht, und dafür hatte ich ja jetzt genug Zeit. Wir haben uns sprichwörtlich in den Kreis gesetzt und unsere Organisationspunkte abgeklappert. In unserer Diskussions- und Demokratiekultur wurde jeder Pups abgestimmt, mehr oder weniger. Das war schon Slapstick.
Es ist sehr schön, wenn du als Künstler eine Befriedigung durch eben die Kunst hast. Wenn du nicht nur verkaufen willst, sondern es richtig magst - und auch noch erfolgreich bist. Keine Frage!
Nur sehe ich auch Grabenkämpfe und Zickenkriege, extrem indieeske Magazine, die schwer nachvollziehbare Maßstäbe haben, wen sie gut und schlecht finden - unabhängig davon, ob sie uns mögen oder nicht, sondern auch in Bezug auf andere Musiker, die ich persönlich kenne. Das ist leider völliger Kinderkram.
Der Arztberuf hat mir gut getan
Wenn ich diese Dinge im Musikbusiness sehe, hilft mir manchmal meine Zeit als Arzt, um mir beispielsweise zu sagen: Das ist albern, sich über dieses oder jenes aufzuregen. Was wir machen, ist eigentlich unwichtig, vielleicht sogar nur ein Berufszweig in einer Überflussgesellschaft.
Denn im Medizinerberuf stößt du auf Dinge, von denen du vorher nicht weißt, was sie in dir auslösen. Dieser Beruf hat viele schöne Seiten, aber auch sehr ernste. Ich habe viel nachgedacht, mein Verhältnis zum Thema Krankheit und Tod ist sicher durch diese Zeit deutlich geprägt. In meinen Diensten war ich für die halbe Abteilung und die Notaufnahme zuständig und musste mich auch nachts mit schlechten Nachrichten bei Angehörigen melden, wenn diese es vorher für den Fall der Fälle so gewünscht hatten.
Diese ernsthafte Seite habe ich immer im Gepäck. Der Arztberuf hat mir gut getan, zum Musik schreiben, zum Abprallenlassen, was Leute sagen über die eigene Musik. Es gibt eben Wichtigeres! Vielleicht das deutlichste, was mir der alte Beruf reingereicht hat: Ich weiß, dass wir im Prinzip alle das Musikmachen streichen könnten - und trotzdem würden wir weiterleben."