Machtmissbrauch an Hochschulen "Ihr Verhalten war unvorhersehbar, und ich hatte Angst und Stress"

Junge Forscher berichten dem SPIEGEL, wie sie von Professoren am renommierten Max-Planck-Institut schikaniert worden seien. Sie wollen anonym bleiben - aus Angst, ihre Karriere zu ruinieren.
Forschung im Labor (Archiv)

Forschung im Labor (Archiv)

Foto: Ingo Wagner/ dpa

Als der junge Nachwuchswissenschaftler eine Stelle an einem Institut der renommierten Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in Bayern bekommt, geht ein Traum für ihn in Erfüllung. Zunächst läuft die Zusammenarbeit mit seiner Betreuerin, einer weltbekannten Professorin, gut. Doch dann - so schildert er es dem SPIEGEL - verändert sich ihr Verhalten auf einen Schlag. Sie habe ihn beschuldigt, Daten zu fälschen, ihm gesagt, er sei nicht dazu fähig, eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben und ihn vor Kollegen schlechtgemacht.

Warum - das kann sich der junge Wissenschaftler nicht erklären. Das besagte Max-Planck-Institut hat der Wissenschaftler mittlerweile verlassen. Er promoviert an einer anderen Einrichtung. Nicht nur ihm sei es so ergangen: Mehrere junge Forscher erzählten dem SPIEGEL, dass sie von der Professorin über Monate und Jahre hinweg schikaniert worden seien.

Es geht aber nicht nur um Berichte über vermeintliches Mobbing. Andere Nachwuchswissenschaftler sagten dem SPIEGEL, ein Professor, der am selben Institut arbeitet, habe sie sexuell belästigt.

Die Max-Planck-Gesellschaft

Sie ist eine der renommiertesten Forschungsorganisationen der Welt. Viele junge Wissenschaftler bewerben sich um eine Stelle an einem der mehr als 80 Institute und Forschungseinrichtungen, gelten sie doch als Sprungbrett für die Karriere. Die Einrichtungen entstehen um weltweit führende Spitzenforscher herum, die ihre Themen selbst bestimmen, beste Arbeitsbedingungen erhalten und Mitarbeiter frei auswählen können, wie es auf der Website der Max-Planck-Gesellschaft heißt. Finanziert wird die Max-Planck-Gesellschaft je zur Hälfte von Bund und Ländern. Im Jahr 2017 lag die Grundfinanzierung bei etwa 1,8 Milliarden Euro. Hinzu kommen Drittmittel von öffentlichen und privaten Geldgebern sowie der Europäischen Union.

Alle Betroffenen, die mit dem SPIEGEL gesprochen haben, wollen unter allen Umständen anonym bleiben - aus Angst davor, ihre Karriere zu ruinieren. Häufig wagen es vor allem junge Nachwuchswissenschaftler nicht, das Wort gegen ihre Betreuer oder Professoren zu erheben, zu sehr sind sie von ihrem Wohlwollen abhängig, zu groß ist die Angst, eine Doktoranden- oder Postdoc-Stelle zu verlieren. Einflussreiche Professoren nutzen das manchmal ausund kommen jahrelang damit durch, weil sie die Zugpferde der Institute sind - wie auch ein Mobbingvorfall an der ETH Zürich zeigt, der Parallelen zu den Begebenheiten am Max-Planck-Institut aufweist.

Die zwei Professoren, um die es hier geht und gegen die die Nachwuchswissenschaftler Anschuldigungen erheben, sind absolute Koryphäen auf ihrem Gebiet. Sie haben nicht nur am Max-Planck-Institut Macht und Einfluss, sondern auch an anderen Forschungseinrichtungen auf der Welt. Daher werden die Geschichten der jungen Wissenschaftler zu deren Schutz hier so erzählt, dass keine Rückschlüsse möglich sind - ohne Details, die der Redaktion vorliegen, ohne genaue Orts- und Zeitangaben. Zugleich dient dies auch dem Schutz der Professoren, die sich gegen anonyme Vorwürfe natürlich nur schwer verteidigen können.

"Ständige Angst"

Der Professorin werfen die jungen Wissenschaftler vor, sie habe sie grundlos schikaniert: "Am schlimmsten war, als sie mich zu Unrecht beschuldigte, sie angelogen und hintergangen zu haben und, dass sie froh wäre, wenn ich endlich weg wäre", sagte einer ihrer ehemaligen Postdocs dem SPIEGEL. "Ich erinnere mich, dass ich weinte und zitterte, als ich diese Mail gelesen hatte. Ich wusste, dass meine weitere Karriere von ihrem Empfehlungsschreiben und ihrem Wohlwollen stark abhing. Ich erlebte auch, wie ein anderer Postdoc weinte, nachdem sie ihn beschuldigt hatte zu plagiieren."

Der ehemalige Postdoc traute sich nicht, das Problem anzusprechen, "weil ich sicher war, dass das nichts bringen und mir sogar schaden würde. (...) Ich glaube, da ist man einfach am kürzeren Hebel gegenüber einer festangestellten, etablierten Person."

Ein weiterer Nachwuchswissenschaftler sagte, sie habe ihm gedroht, seinen Vertrag mit einer Frist von einem Monat zu kündigen. "Wegen ihr habe ich ständig Angst gehabt, meinen Lebensunterhalt zu verlieren." Auch er traute sich nicht, mit der Professorin darüber zu reden. "Ich hatte Angst davor, wie sie reagieren könnte und dass die Dinge schlechter werden würden. (...) Später war das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten so erschüttert, dass ich eine Konfrontation mit ihr vermied."

Ein anderer ehemaliger Mitarbeiter berichtete: "Zwei Jahre lang habe ich viele E-Mails mit persönlichen Angriffen erhalten. Ihr Verhalten war unvorhersehbar, und ich hatte Angst und Stress, immer, wenn ich sie kontaktieren musste." Der Mitarbeiter sprach die Professorin auf das Problem an. Für kurze Zeit sei ihr Verhalten besser geworden, doch dann "wurden die Dinge wieder richtig schlimm".

"Grenze zum Mobben überschritten"

Zwei ehemalige Nachwuchswissenschaftler haben dem SPIEGEL berichtet, auch mit der Ombudsperson über die Probleme mit der Professorin gesprochen zu haben. Diese soll als neutraler Ansprechpartner in Konfliktfällen vertraulich und beratend zur Verfügung zu stehen. Doch die Ombudsperson des Instituts habe dem einen Wissenschaftler geraten, das Institut zu verlassen, denn an der Professorin "käme er nicht vorbei". Dem anderen habe er geraten, 90 Prozent, von dem, was die Professorin sage, zu ignorieren.

Die Pressesprecherin des Max-Planck-Institutes teilte auf Anfrage des SPIEGEL allerdings mit: "über die (..) von Ihnen vorgebrachten Vorwürfe ist uns nichts bekannt." Die Gleichstellungsbeauftragte und die Ombudsperson, für die sie sich mit äußerte, seien "zu absoluter Vertraulichkeit verpflichtet". Auch ihnen seien keinerlei Vorwürfe in Bezug auf die beiden Professoren bekannt.

Kritik soll laut einigen Quellen aber auch an anderer Stelle geäußert worden sein: Wie einige Nachwuchswissenschaftler dem SPIEGEL berichteten, hätten sich PhD-Studenten und Postdocs des Instituts an einen Fachbeirat aus externen Professoren gewandt, der das Institut im Jahr 2016 besucht hatte. Sie hätten dem Beirat berichtet, dass die Professorin "schon längst die Grenze zum Mobben" überschritten habe. Ein Postdoc habe demnach auch mit dem Vizepräsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Ferdi Schüth, über die Vorwürfe gesprochen.

Die MPG wusste von "Defiziten in der Mitarbeiterführung"

Schüth bestätigte dem SPIEGEL, dass es "Defizite in der Mitarbeiterführung" in der Abteilung der Professorin gab und diese daraufhin an einem Coaching teilgenommen und sich durch den beruflichen Alltag habe begleiten lassen. Seitdem habe sich niemand mehr beschwert, und die Situation habe sich verbessert. Die Professorin lässt über die Pressestelle mitteilen, dass nach dem Besuch des Fachbeirats Gespräche mit der MPG, dem Präsidenten und Vizepräsidenten stattgefunden haben. Daraufhin habe sie umgehend mit dem Coaching begonnen, das ihr im letzten Jahr viel geholfen habe. Das bestätigt auch die Gleichstellungsbeauftragte der Max-Planck-Gesellschaft.

Um welche "Defizite in der Mitarbeiterführung" es sich handelt - dazu will sich die Pressesprecherin des Instituts nicht äußern. Sie erteilt ebenfalls keine Auskunft dazu, wie viele Doktoranden und Postdocs die Professorin bislang betreut und wie viele davon vorzeitig abgebrochen haben. Allerdings hat mindestens eine junge Wissenschaftlerin, noch Monate nach dem Fachbeiratsbesuch, die Arbeit mit der Professorin beendet und sich eine andere Betreuerin gesucht.

Arbeiten in einem patriarchalischen Umfeld

Laut einer Wissenschaftlerin soll es schon vor mehr als zehn Jahren Probleme mit der Professorin gegeben haben. Auch diese Wissenschaftlerin hatte Schwierigkeiten mit ihr und habe dem Institutsdirektor davon berichtet. Doch dieser habe nichts unternommen. "Das Institut wusste davon, und ich glaube, die MPG durch die Ombudsperson ebenfalls", sagte die Wissenschaftlerin.

"Das Problem ist das patriarchalische Umfeld in unserem Bereich, vor allem in den Forschungseinrichtungen. Wir stehen alle unter viel Druck, weil das Arbeiten in dieser kompetitiven männerdominierten Welt nicht einfach ist. Verständlicherweise versucht die MPG verzweifelt, Professorinnen zu halten, aber sie muss gut darauf achten, wie sie diese unterstützen kann."

Sie sind Student, Doktorand oder Postdoc und fühlen sich von einem Prof schlecht behandelt?

Ihr Professor macht Sie vor anderen schlecht, spricht Ihnen die Fähigkeit ab, wissenschaftlich zu arbeiten? Sie haben das Gefühl, er beutet Sie aus? Er übernimmt Ihre Ideen und gibt sie für die seinen aus? Sie haben sich bereits an eine Ombudsperson oder einen Gleichstellungsbeauftragten gewandt, aber diese konnten Ihnen nicht helfen? Sie fühlen sich diskriminiert? Wenn Sie sich von einem Professor schlecht behandelt fühlen, dann schreiben Sie uns. Schicken Sie uns hier  per E-Mail Ihre Erfahrungen.

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Doch nicht nur das vermeintliche Mobbing der Professorin ist ein Problem am Institut. Die Anschuldigungen gehen weiter. Ein Professor, der dort tätig ist, soll seine Doktorandinnen angefasst haben. Eine Betroffene schrieb dem SPIEGEL: "Jede Woche habe ich ihm darüber Auskunft gegeben, wie weit ich mit der Forschung bin. Die ersten Male hat er meinen Arm gestreichelt - wie ein Großvater, der einem Mut zusprechen will. Einmal hat er meinen Oberschenkel getätschelt. Später fragte er mich, ob ich es mag. Ich dachte, er meinte mein Thema, und ich habe ihm geantwortet, dass ich mein Thema mag. Dann berührte er mein Bein." Eine weitere Wissenschaftlerin schickte dem SPIEGEL eine unterschriebene Erklärung, in der es heißt, der Professor habe sie erst an der Hüfte angefasst und dann am "inneren rechten Oberschenkel".

Andere Wissenschaftler, die an dem Institut tätig waren, sagten dem SPIEGEL, viele hätten gewusst, dass sich der Professor gegenüber jungen Wissenschaftlerinnen so verhalte. Der Mann habe jedoch großen Einfluss, und so habe niemand etwas gesagt, auch aus Angst um die eigene Karriere. "Das hat mich hilflos und wütend gemacht", sagte einer von ihnen am Telefon. Zwei ehemalige Mitarbeiter sagten dem SPIEGEL allerdings auch, das Verhältnis mit ihm sei immer sehr gut und professionell gewesen.

Der Professor spricht von einem kollegialen und freundschaftlichen Umgang

Der SPIEGEL bat den Professor ebenfalls um Stellungnahme zu den Anschuldigungen der sexuellen Belästigung. Er teilte mit, dass ihm solche Beschwerden noch nie untergekommen seien. Er versuche, einen kollegialen und freundschaftlichen Umgang im Institut zu pflegen, der aus seiner Sicht aber nicht missverstanden werden könne.

MPG-Vizepräsident Schüth schrieb dem SPIEGEL auf eine erste Anfrage dazu: "Bisher wurden (...) keinerlei Vorwürfe von sexueller Belästigung (...…) an mich oder Personen in der Max-Planck-Gesellschaft herangetragen, die als vertrauliche Anlaufstelle für derartige Angelegenheiten fungieren. Das gilt für die Ombudsperson und die Gleichstellungsbeauftragte (…) wie auch die Zentrale Gleichstellungsbeauftragte in der Generalverwaltung. Auch im Rahmen des Fachbeiratsbesuchs gab es keine Beschwerden." Schüth schrieb zudem, er habe den Professor auf die Anfrage sogleich um eine Stellungnahme gebeten und dieser habe die Vorwürfe zurückgewiesen. "Zu diesem Zeitpunkt haben wir somit keinerlei Hinweise, die uns veranlassen würden, irgendwelche weiteren Schritte einzuleiten."

Konfrontiert mit der Nachfrage, dass ihn, den Recherchen des SPIEGEL zu Folge, bereits im Jahr 2016 ein Postdoc auf die Vorwürfe der sexuellen Belästigung angesprochen habe, schrieb Schüth: "Ich habe am Rand der Fachbeiratssitzung einen nicht sehr konkreten Hinweis erhalten und nach meiner Erinnerung dem Hinweisgeber geantwortet, dass sich vermeintlich Betroffene direkt an mich wenden sollen und ihr Anliegen selbstverständlich strikt vertraulich behandelt würde. Allerdings hat sich niemand bei mir gemeldet."

Die Fälle erzählen einiges über die beschränkten Aufklärungsmöglichkeiten im Wissenschaftsbetrieb. Sie erzählen auch etwas über den Umgang der Forschungseinrichtungen mit kritischen internen Themen. Die Aufklärung ist für die Forschungseinrichtungen schwierig, weil Betroffene nicht wagen, sich an die dafür vorgesehenen Stellen zu wenden. Allerdings werden sie in manchen Fällen auch nicht ernst genug genommen und ihnen wird nicht ausdrücklich die Möglichkeit gegeben, sich anonym zu beschweren. Doch die Angst, gegen mächtige Professoren auszusagen und mit seinem Namen dafür zu stehen, ist eine Hürde, die zu groß ist.

Eine Nachwuchswissenschaftlerin, die, wie sie sagt, von dem Professor sexuell belästigt worden ist, bereut, dass weder sie noch jemand anderes dazu fähig war auszusprechen, was passiert war. "Das Gefälle von Macht und Erfahrung zwischen dem Professor und uns war zu groß. Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich lenken und mich auf meine Arbeit konzentrieren." Sie schrieb: "Ich habe das Vertrauen in das System verloren, vor allem in die erfahrenen Menschen. Als mir andere Opfer ihre Geschichten erzählten, fühlte ich mich so, als sei ich Teil einer Struktur geworden, die ihn schützt und die sich die Schuld teilen muss."

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