Medizinstudenten im PJ "Das hätte auch schiefgehen können"

Denn sie dürfen oft nicht, was sie tun: Medizinstudenten im Lehrkrankenhaus müssen immer wieder Aufgaben erledigen, die ihre Fähigkeiten übersteigen. Vier angehende Ärzte berichten von grenzwertigen Einsätzen am Krankenbett.
Junge Ärztin und Patient: Was kann ich, was darf ich schon?

Junge Ärztin und Patient: Was kann ich, was darf ich schon?

Foto: A3472 Frank May/ dpa

Für angehende Mediziner zieht sich ein Problem durch ihre gesamte Ausbildung. Vom ersten Pflegepraktikum an, über die medizinischen Praktika, Famulaturen genannt, bis zum Praktischen Jahr (PJ) fragen sich die unfertigen Nachwuchsärzte: Was kann ich schon, was darf ich schon mit den Patienten anstellen? Darf ich diese Medikamente geben? Wann muss ich das Pflegepersonal rufen, wann den Stationsarzt - und wo und wie darf ich selbst Hand anlegen?

In großen und kleinen Kliniken passiert es Tag für Tag: Ärzte, Pflegepersonal und Studenten lassen zu, dass Medizinstudenten Aufklärungsgespräche vor Operationen führen, Blut abnehmen, Medikamente austeilen, obwohl das rechtlich mindestens heikel ist.

Mitunter drängen Pfleger und Ärzte die noch nicht fertig ausgebildeten Mediziner sogar zu diesen Aufgaben. Mancher traut sich dann schlicht nicht, nein zu sagen, oder überschätzt die eigenen Fähigkeiten. Passiert ihm ein grober Fehler oder ist ihm Fahrlässigkeit nachzuweisen, muss er mit einer Strafe rechnen - wie der Fall des jungen Mediziners zeigt, der nach dem Tod eines Babys wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde.

Vier Medizinstudenten im praktischen Teil ihrer Ausbildung haben SPIEGEL ONLINE von ihren grenzwertigen Erlebnissen im klinischen Alltag erzählt. Nach diesen Tätigkeiten befragt, antworteten ihre Lehrkrankenhäuser ausweichend: Alle Kliniken hielten sich an die "allgemeinen Rechtsgrundsätze" für die Ausbildung. Die beschriebenen Szenen halte man für "nahezu ausgeschlossen". Weil die vier Studenten juristische und disziplinarische Konsequenzen und Karrierenachteile fürchten, wollen sie anonym bleiben.

"Ohne einen Arzt im Raum"

Aufklärungsgespräch vom Studenten: Der Arzt unterschreibt nur

Aufklärungsgespräch vom Studenten: Der Arzt unterschreibt nur

Foto: Patrick Pleul/ dpa

"Ich habe mein Praktisches Jahr an einem großen städtischen Krankenhaus absolviert. Zu meinem Alltag dort gehörten auch Aufklärungsgespräche mit Patienten über Risiken und Nebenwirkungen von diagnostischen Eingriffen. Diese Gespräche sind eigentlich die Aufgabe des behandelnden Arztes. Im Studium wurde uns eingebläut, dass man die Aufklärung unbedingt den Ärzten überlassen soll. Doch aus Zeitmangel sieht es in der Realität häufig anders aus. Anfangs bekam ich zwar eine Einweisung, durfte zunächst nur zuhören und dann nur unter Anleitung ein Gespräch führen. Doch später kam es auch vor, dass ich ohne einen Arzt im Raum den Patienten über den Eingriff aufgeklärt habe. Der Arzt hat anschließend nur noch unterschrieben, dass das Aufklärungsgespräch stattgefunden hat." Student, 26, aus Erlangen

"Ich schwor mir, es nie wieder zu tun"

Student legt Infusion: "Hängst du das eben an?"

Student legt Infusion: "Hängst du das eben an?"

Foto: Corbis

"Ich erinnere mich an eine Situation während meiner Famulatur an einer Uni-Klinik. Ich habe einem Patienten einen Venenzugang gelegt. Die Infusion, die er darüber bekommen sollte, hing schon vorbereitet neben seinem Bett. Es handelte sich um ein Antibiotikum. Eigentlich dürfte es beim ersten Mal nur ein approbierter Arzt verabreichen. Die Krankenschwester, die ebenfalls im Raum war, fragte mich aber: 'Hängst du es auch gleich an?' In der Regel gebe ich solche Aufträge an den Stationsarzt zurück. Aus Zeitgründen schloss ich die Infusion aber selbst an. Es passte einfach in den Arbeitsablauf. Danach dachte ich: 'Oh, das hätte auch schiefgehen können.' Der Patient hätte zum Beispiel allergisch auf das Medikament reagieren können. Ich schwor mir, so etwas nicht wieder zu tun. Aber es passierte mir trotzdem noch zweimal." Student, 30, aus Berlin

"Zum Glück hat es geklappt"

Blutentnahme aus der Vene: Arteriell und am Handgelenk gefährlicher

Blutentnahme aus der Vene: Arteriell und am Handgelenk gefährlicher

Foto: Getty

"In meinem Praktischen Jahr durchlief ich vier verschiedene Krankenhäuser. Wiederholt musste ich Tätigkeiten übernehmen, in die ich nicht eingeführt worden war, zumindest nicht von Ärzten. Zuletzt war ich in einem Klinikum mittlerer Größe tätig. Dort sollte ich eine Blutgasanalyse bei einem Patienten mit chronischer Atemwegserkrankung durchführen. Dazu muss die Arterie im Handgelenk punktiert und Blut abgenommen werden. Das hatte ich noch nie zuvor gemacht. Es ist deutlich komplizierter als das klassische Blutabnehmen über eine Vene. Auch das Infektionsrisiko ist höher. Es wäre die Aufgabe des Arztes gewesen, mir zu zeigen, wie man das richtig macht. Stattdessen reichte er diese Aufgabe an eine Kommilitonin von mir weiter, die es mir erklären musste. Zum Glück hat es dann auch geklappt." Studentin, 26, aus Hamburg

"Ich habe nicht nachgefragt"

"Schnäpschen" gegen Schmerzen: "Gib das mal dem Patienten"

"Schnäpschen" gegen Schmerzen: "Gib das mal dem Patienten"

Foto: Corbis

"Für eine Medikation muss der Arzt den Patienten gesehen haben. So habe ich es gelernt. Dass es auch anders geht, habe ich im Pflegepraktikum erfahren: Ich war in einem sehr kleinen Krankenhaus im ländlichen Gebiet. Einmal klingelte mich ein Patient heran, weil er starke Schmerzen hatte. Ich ging zur Krankenschwester und erzählte ihr davon. Die Schwester machte ein 'Schnäpschen' fertig, ein flüssiges Schmerzmittel in einem kleinen Napf, und sagte zu mir: 'Hier, gib das mal dem Patienten.' Ich machte, was mir aufgetragen wurde. Weder wusste ich, was genau sich in dem kleinen Becher befand, noch welche Wirkungen oder Nebenwirkungen damit verbunden waren. So lief das öfter ab. Ich habe auch nicht nachgefragt, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich damit unbeliebt mache. Und wer nicht beliebt war, musste Bettpfannen spülen." Student, 28, aus Gießen

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