Medizinstudium in Rumänien Auch sonntags an die Leiche
Was sie mal werden wollte, wusste Kira-Maureen Arndt schon, als sie noch klein war. "Ich wollte machen", sagt die 20-jährige Wolfenbüttelerin, "um anderen Menschen zu helfen." Für eine Organisation wie "Ärzte ohne Grenzen" würde sie später gern arbeiten. Aber wie sollte das gehen - mit einem Abi-Schnitt von 2,3?
Warten kam für Kira nicht in Frage. Bei ihrem Bruder hatte sie gesehen, "wie frustrierend das ist". Also suchte sich Kira einen Platz im Ausland. , das EU-Land am Rande, das andere kaum interessiert, reizte sie erst recht: Im siebenbürgischen Cluj studiert sie nun im zweiten Jahr Medizin, gemeinsam mit 98 deutschen Kommilitonen, Unterrichtssprache ist Englisch.
Insgesamt sind hier fast 9300 Medizinstudenten eingeschrieben, fast ein Viertel davon hat es aus aller Welt in die alte mehrsprachige Kulturstadt gezogen, deren drei offizielle Namen von ihrer wechselvollen Geschichte zeugen: Cluj-Napoca (rumänisch), Kolozsvár (ungarisch) und Klausenburg. Noch aus der k. u. k. Vergangenheit rührt der gute Ruf des Universitätsklinikums, das heute besonders für seine Onkologie bekannt ist.
Ein Café reiht sich ans nächste in der Karpatenmetropole, Shopping-Malls künden von ihrer Ankunft in der Moderne. Und überall: Studenten. Fast 100.000 sind es, sie verteilen sich auf fünf staatliche Hochschulen. Jetzt, im Winter, schlittern sie auf dem restaurierten Platz im Zentrum über die Eisbahn und wärmen sich mit Glühwein. Fast lässt die Atmosphäre vergessen, dass die Finanzkrise Rumänien noch immer beutelt. Lehrer und Professoren mussten sich ihr ohnehin bescheidenes Gehalt um 25 Prozent streichen lassen, vielerorts sticht auch in Cluj noch die Armut ins Auge.
Als gute Ärzte in das Heimatland zurückkehren
"Ich find's hier schön," sagt Kira-Maureen. Sie teilt die Wohnung mit Tamara Dichter, 22, aus dem Eifelstädtchen Neuerburg. Tamara hat sich bei ihrer Suche nach einem Studienplatz von Kira nach Transsylvanien lotsen lassen. Schon seit der siebten Klasse wollte Tamara Medizin studieren, aber auch bei ihr "hat das Abi leider nicht gereicht". Nach zwei Semestern Psychologie in Deutschland entschied sie sich für Cluj. Hier, an der Iuliu-Hatieganu-Universität für Medizin und Pharmazie, UMF abgekürzt, wird auf Rumänisch, Englisch oder Französisch unterrichtet. Eigenes Interesse und Motivation sind dabei mehr wert als Top-Noten, das ist den beiden Studentinnen wichtig.
Hochmotiviert sind auch viele Dozenten. "Die gehen mit uns auch samstags ins Labor", so Tamara. Und der Anatomieprofessor steht auf Wunsch auch mal am Sonntag mit seinen Studenten an der Leiche: "So eine Extrastunde bringt superviel", sagt Tamara. "Und hier findet alles in kleinen Gruppen statt, zu siebt oder zu zehnt, teilweise sind wir schon weiter als die Studenten zu Hause im Massenbetrieb."
Damit die Studenten "als gute Ärzte in ihr Heimatland zurückkehren", sagt Rektor Constantin Ciuce, "bieten wir unser Bestes". Dazu gehöre nicht nur der nach EU-Kriterien evaluierte Lehrkörper oder die großzügig ausgestattete Bibliothek im Neubau, wo alle Studenten empfangen und von einer für ihren Jahrgang zuständigen Sekretärin sechs Jahre hindurch begleitet werden. Den Jungmedizinern solle, so Chirurg Ciuce, "eine holistische Sicht" vermittelt werden, die Körper und Persönlichkeit des Patienten wahrnimmt. Denn das teure Gesundheitssystem der EU kranke auch am oberflächlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient.
Das für Ausländer günstige Leben gleicht die Studiengebühren aus
Schon jetzt überlegt Rami Abdel-Hadi, ob er das englischsprachige Studium nutzen wird, um dort zu arbeiten, wo junge Ärzte viel besser bezahlt werden als in Deutschland, in Kanada etwa. "Schnell und leicht" hat der 23-Jährige aus Waltrup bei Dortmund, Sohn eines gebürtigen Palästinensers und einer Deutschen, der Heimat den Rücken gekehrt. "Das Tollste, was Cluj zu bieten hat", sei das multikulturelle Studentenleben: Man kennt sich in der "englischen Linie" und lädt einander ein - die zahlreich vertretenen Inder empfangen zum Lichter-, die muslimischen Araber zum Opferfest.
Bislang kostete das Studium hier nur rund 2700 Euro im Jahr - allerdings haben sich die Gebühren für die Erstsemester inzwischen fast verdoppelt. Angesichts des Ärztemangels in Deutschland, findet Kira, "könnte eigentlich die Regierung einspringen und uns finanziell unterstützen, wenn sie uns schon keine Plätze an deutschen Unis zur Verfügung stellen kann".
Ansonsten gleiche aber das für Ausländer günstige Leben die Gebühren aus, sagt Rami. Für eine Kinokarte muss man höchstens drei Euro zahlen, ebenso für die Fahrt mit einem Taxi quer durch die Stadt. Mietpreise fürs Zimmer seien Sympathie- und Verhandlungssache, überhaupt gehe es erfreulich locker zu in Cluj. Beim Rohrbruch, berichtet Rami, seien hilfreiche Nachbarn sofort zur Stelle gewesen, generell seien die Leute freundlicher und höflicher als in Deutschland.
"Die Menschen jammern hier weniger"
Mehr als die Hälfte der deutschen Studenten in Cluj stammen wie Rami aus einem Elternhaus mit Migrationshintergrund und genießen das selbstverständliche Miteinander. Am weitesten, im vierten Jahr und "echt froh, hier zu sein", ist Nadine Elyan aus Dortmund, deren Vater aus Jordanien stammt. Der Kontakt mit den Patienten macht ihr besonderen Spaß: "Wir dürfen uns beliebig lange mit ihnen unterhalten, sie abhören und untersuchen." In Deutschland stoße man auf mehr Ungeduld und Unwillen. "Überhaupt jammern die Menschen hier weniger, obwohl sie viel mehr zu jammern hätten."
Sollten Studenten einmal Sorgen haben, können sie sich an die "English Medical Student Association" (Emsa) wenden. Gegründet hat sie vor zwei Jahren Kai Fessmann, der mit seinem Abi-Schnitt von 3,2 zu Hause keine Chance auf einen Einstieg ins Fach seiner Träume hatte - trotz Zivildienstes im Rettungswagen, DRK-Sanitätsdienstes und Vorbereitungsjahrs in Biologie, Chemie und Physik. Der 24-Jährige aus Remshalden bei Stuttgart sieht die Emsa als "Sprachrohr und Kummerkasten der Studenten". Hier lassen sie sich etwa erklären, wie sie ihren Examensplan erstellen sollten. Oder sie ärgern sich darüber, dass das Dekanat eingereichte Originaldokumente wie das Abi-Zeugnis einbehält.
Zurzeit hat Emsa, gemeinsam mit der entsprechenden rumänischen und französischen Studentenorganisation, ein Relikt aus sozialistischen Zeiten im Visier: "Wir möchten die Vorlesung als Pflichtveranstaltung abschaffen", sagt Kai, das sei schließlich fast überall in Europa so. In Cluj muss noch, wer schwänzt, sieben Lei (etwa zwei Euro) pro Zeitstunde zahlen.