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Hass auf Fleischfans: "An deinen Händen klebt Blut"

Foto: Gioia Baurmann

Fleisch-Fans machen Uni-Politik Alles wird aus Hack gemacht

Fleischfrei ist in, gerade in der Fastenzeit: Zwei Studenten aus Hamburg fürchten nun, ihre Mensa könnte bald nur noch Grünzeug servieren. Ihre "Fleischliste" kämpft für ein Recht auf Wurst und Steak.
Von Jana Gioia Baurmann

Es ist 11.30 Uhr vormittags, Philipp Blümel sitzt hinten rechts in der Geomatikum-Mensa der Universität Hamburg, und es gefällt ihm, was er sieht. Um ihn herum beugen sich Studenten schon zu dieser frühen Mittagszeit über Teller mit Rinderbuletten, garniert mit geschmolzenem Käse und einer Tomatenscheibe. Das Gericht fällt in die Kategorie "beliebt und gern gegessen".

Philipp Blümel will sich aber erst später einen Fleischklops holen, erst einmal möchte er reden. Über die Mensa, den Speiseplan und die von ihm mitgegründete Hochschulgruppe "Fleischliste - gegen die Veggie-Mensa" , die bei den Wahlen für das Hamburger Studentenparlament Mitte Januar das erste Mal antrat - und gleich einen Sitz gewann .

An Blümels Nachbartischen deutet zwar wenig darauf hin, aber wie die meisten Mensen in Deutschland hat auch die Hamburger das vegetarische und vegane Angebot ausgeweitet; in der Kantine am Berliner Tor gibt es sogar eine eigene Essensausgabe für Gemüse und Tofu. Blümel findet das prinzipiell okay, aber er und seine Wähler befürchten, dass das erst der Anfang sei. Dass es schon bald fast nur noch Grünzeug gebe - und kaum noch Fleisch.

Schweinesteak statt Seitanschnitzel

Bei einer Partei, die sich "Fleischliste" nennt, denkt man fast automatisch an speckige Gesichter, Wurstfinger, Fettwänste. Philipp Blümel, 23, ist aber ein schlaksiger Typ mit kariertem Hemd und Wollmütze, zu dem Seitanschnitzel oder Tofuburger rein optisch gut passen würden. In der Mensa ordert er jedoch am liebsten den "Olympus-Teller", eine Fleischvariation aus Balkanröllchen, Puten- und Schweinesteak.

Seit drei Jahren studiert Blümel an der Hamburger Uni Jura, montags bis freitags geht er in die Mensa, manchmal auch am Wochenende. Am Anfang habe er gern dort gegessen, die Auswahl an Fleischgerichten sei gut gewesen, die Qualität habe gestimmt. "Heute ist das anders", sagt er, und seine Stimme klingt dabei so ernst, dass man sein Vorhaben nicht mehr als Scherz verstehen kann - zumal es Verbündete überall in Deutschland gibt.

Als die Leipziger Mensa vor zwei Jahren einen Veggie-Tag veranstaltete, luden einige Studenten vor dem Gebäude zum Protestgrillen. Und in Berlin, wo 2010 die erste rein vegetarische Mensa eröffnet wurde, gewannen Fleischaktivisten zwei Sitze im Studentenparlament. Philipp Blümel wurde es zu bunt, als die Grünen im vergangenen Jahr über einen staatlich geförderten fleischfreien Tag sinnierten, den Veggie-Day. Also gründeten er und ein Kommilitone, Christoph Fehling, die Fleischliste. Das gab Ärger, von Anfang an.

"An deinen Händen klebt Blut!"

Nachdem die Partei ihre Facebook-Seite eröffnet hatte, brach ein Shitstorm über sie herein. Dutzende Mails bekamen Blümel und seine Kollegen, in denen Sätze standen wie: "Nichts als Mörder seid ihr, was macht euch zu besseren Lebewesen als die Tiere, die ihr kalt und unempathisch in eure Wichsermägen stopft?" Als Blümel einmal Flyer vor der Mensa verteilte, kam eine Studentin auf ihn zugerannt und schrie: "An deinen Händen klebt Blut!"

Der Vegetarierbund Deutschland schätzt, dass sich inzwischen rund sieben Millionen Deutsche fleischlos ernähren, das würde etwa neun Prozent der Bevölkerung entsprechen. Vegetarischer Lebensstil hat Vorbildfunktion, gerade in Großstädten wie Hamburg oder Berlin. In den Kühlschränken vieler Cafés hat Sojamilch längst einen Stammplatz, vegetarische Kochbücher sind Bestseller, und beim Abendessen mit Freunden kann es leicht passieren, dass sogar der Rotwein mit dem Zusatz "Ist übrigens vegan" serviert wird.

Mit Essen spielt man
Foto: Daniel Glotzbach

Mensaessen kann lecker oder eklig sein - modellieren lässt sich daraus immer was Schönes, fanden Studenten der Hochschule Furtwangen. Mit Mensa Figures lösten sie eine deutschlandweite Essens-Bastelwelle aus. Sie kreierten Super Mariosotto, Carrotiger, Pacmedaillon und vieles mehr... 

Fleischfrei ist schick, intellektuell, kultiviert. In der Gesellschaft haben Vegetarier und Veganer einen zumindest gefühlten moralischen Vorsprung, kurz dahinter kommen die Flexitarier, die zeigen immerhin guten Willen, weil sie nur ausnahmsweise mal eine Bulette oder ein Steak vertilgen. Fleischesser, das sind diejenigen, die Dinge wie Massentierhaltung und Klimawandel noch nicht begriffen haben, heißt es in manchen Milieus.

"Wenn ein Café eine vegetarische oder vegane Speisekarte hat, finde ich das völlig in Ordnung", sagt Philipp Blümel. "Das ist freie Marktwirtschaft, ich muss ja nicht dort essen." Doch das Essen in den Mensen werde subventioniert, auch über den Semesterbeitrag, den alle Studenten bezahlen müssen; fast ein Viertel des Geldes geht an das Studentenwerk. Also sollte es auch für alle die gleiche Auswahl mit der gleichen Qualität geben, meint Blümel. Gutes Gemüse - und gutes Fleisch.

Demokratie höre nicht am Teller auf, sagen Blümel und die anderen Mitglieder der Fleischliste. Es gebe gute Gründe, sich fleischlos zu ernähren, aber sollte das nicht ein eigenständig gefasster Beschluss sein? "Wir essen alle gar nicht so viel Fleisch", sagt Blümel über seine Partei. "Aber wir wollen selbst entscheiden, wann wir das tun und wann nicht."

Zwischen all den Hass-Mails gab es auch positives Feedback. Viele von Blümels Freunden sind Vegetarier, die meisten verstehen ihn trotzdem. Weil er nicht gegen Vegetarismus, sondern für Wahlfreiheit kämpft - und die enthält auch die Wahl für Fleisch. Nach einer Vorlesung kam ein Dozent auf Blümel zu und sagte: "Ich finde gut, dass Sie das machen!" Blümel sagt: "Die meisten wollen Fleisch essen. Aber sie sagen es nicht. Unsere Gruppe will ein Sprachrohr dieser schweigenden Mehrheit sein."

Das Hamburger Studentenwerk hatte bereits vor der Wahl zugesichert, dass kein Veggie-Day geplant sei. "Wir wollen weiter eine ausgewogene Ernährung anbieten", sagte die Sprecherin. Die Fleischliste wurde trotzdem gewählt. Vielleicht aus Angst, dass die Mensa-Leitung doch irgendwann ihre Meinung ändert. Denn der vegetarische Lifestyle kann auch unerwartet auftreten und sogar sicher gedachte Systeme unterwandern. Wie kürzlich, an Heiligabend, als Philipp Blümel zum ersten Mal in seinem Leben ein fleischloses Weihnachtsessen vorgesetzt bekam. Er war zu Hause, bei seinen Eltern. Und es gab Risotto. Keine Gans.


Mittlerweile hat ein mutmaßliches Mitglied der Fleischliste in einem Interview darauf hingewiesen, die Fleischliste sei gar nicht echt, sondern nur als Satireprojekt gemeint gewesen. Nun warten die Stupa-Verantwortlichen der Uni Hamburg gespannt darauf, ob bei der ersten Sitzung des Studierendenparlaments Mitte April tatsächlich jemand für die Fleischliste aufkreuzt.

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