Plagiatsvorwürfe gegen Hamburgs Ex-Senator Michael Neumann soll bei Doktorarbeit getrickst haben

Michael Neumann (Archivbild)
Foto: Maja Hitij/ picture alliance / dpaOb Michael Neumanns Thema die Politikwissenschaft voranbringen wird, darüber kann man streiten. Jedenfalls hat der ehemalige Hamburger Innensenator und SPD-Politiker eine Doktorarbeit mit dem Titel "Länderneugliederung im deutschen Föderalismus am Beispiel des Nordstaates" geschrieben.
Fünf Jahre amtierte Neumann als Innensenator der Hansestadt Hamburg, war also unter anderem Dienstherr der Hamburger Polizei und des Verfassungsschutzes. Nach seinem überraschenden Rücktritt im Januar 2016 braucht er eine neue Karriere. Und die sucht der 48-Jährige offenbar an der Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Neumann ist Oberstleutnant der Reserve, ein Doktortitel fehlte ihm jedoch noch. Also machte er sich daran, das Für und Wider der Zusammenlegung der norddeutschen Bundesländer zu einem "Nordstaat" auf 274 Seiten abzuwägen. Die Dissertation wurde im Juni 2017 veröffentlicht und Neumann zum Doktor der Politikwissenschaften promoviert.
Wörtliche Übereinstimmungen mit Wikipedia-Einträgen
Recherchen des NDR-Magazins "Panorama 3" zeigen, dass Neumann bei dieser Arbeit systematisch gemogelt haben könnte. Denn in dem Text finden sich demnach Dutzende Stellen, an denen der Verfasser entweder gar nicht oder nicht korrekt auf verwendete Quellen verwiesen hat. So scheint Neumann die geologischen und geografischen Grundlagen eines möglichen "Nordstaates" aus dem Wikipedia-Beitrag "Norddeutsches Tiefland" herauskopiert zu haben. Die Übereinstimmungen sind stellenweise wörtlich. Ein Verweis auf Wikipedia fehlt. Stattdessen gibt der Autor andere Quellen an, die vielleicht seriöser klingen, die er aber wohl gar nicht gebraucht hat.
"So soll eine falsche Fährte gelegt werden, um die wahre Herkunft des Textes zu verschleiern," vermutet Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität. Der Jurist ist Mitarbeiter von VroniPlag Wiki , einer öffentlichen Dokumentation von Wissenschaftsplagiaten, die schon Plagiate von Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan und Silvana Koch-Mehrin aufgedeckt hat. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er sich mit der Doktorarbeit Neumanns befasst.
"Quellen überhaupt nicht genannt"
Schon nach kurzer Prüfung hätten sie in Neumanns Arbeit an zehn Stellen versteckte Links gefunden, die etwa zu Wikipedia-Einträgen und zum Portal der Bundeszentrale für Politische Bildung führen. Solche Links, also URL-Pfade, entstehen automatisch, wenn man den Text von einer Internetseite in ein Word-Dokument kopiert; sie sind auf den ersten Blick im Dokument nicht sichtbar, sondern erscheinen erst, wenn man mit dem Cursor auf bestimmten Wörtern stehenbleibt. Allerdings: "An sechs dieser Stellen werden die Quellen im Text überhaupt nicht genannt", bemängelt Dannemann.
Versehen schließt der Wissenschaftler aus. "Kein Mensch baut absichtlich versteckte Links in ein PDF-Dokument ein", sagt er. Es scheine sich vielmehr um einen Verfasser zu handeln, "der gern fremde Texte als Schreibvorlage benutzt" - und dann vergessen hat, die Pfade zu löschen, beziehungsweise die Quellen nicht angegeben hat. Dannemann vermutet in diesem Fall ein systematisches Vorgehen. "Einmal kann es jedem passieren, aber es kommt einfach zu häufig vor."
Auf Seite 26 seiner Doktorarbeit setzt Michael Neumann zum Beispiel zu einem historischen Rückblick auf den deutschen Föderalismus an. Es geht um den Wiener Kongress 1815. Viele deutsche Kleinstaaten, schreibt Neumann, "favorisierten die erneute Übernahme der Kaiserwürde durch Österreich, also durch Franz I. Dieser lehnte jedoch ab ." Über acht Zeilen weist Neumanns Text eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem Absatz im Wissensportal wasistwas.de auf. Ein Verweis auf diese Quelle wäre wohl recht peinlich gewesen, wendet sich die Internetseite doch vor allem an Kinder und Jugendliche.

Strittige Promotionen: Von Guttenberg bis von der Leyen
Stattdessen fügt der Autor an der Stelle Fußnoten zu gelehrten Werken an. Inhaltlich erschließt sich der Sinn dieser Verweise nicht, es sei denn, man akzeptiert in leichtfertiger Anlehnung an die marxistische Soziologie den Grundsatz, dass alles mit allem zusammenhängt. Der eigentliche Sinn dieser Quellenverweise scheint vielmehr ein anderer zu sein: Der Leser soll nicht erfahren, woher der Text tatsächlich stammt.
An vielen Stellen macht der Autor durchaus zutreffende Quellenangaben, etwa zu Internetauftritten von Unternehmensverbänden und Behörden. Häufig kennzeichnet Neumann jedoch nicht, dass er ganze Absätze beinahe wörtlich übernimmt. "Das sind Verstöße gegen wissenschaftliche Zitierweise. Da hätte man Anführungszeichen setzen müssen", bemängelt Dannemann, der Experte für gute wissenschaftliche Praxis.
Nach den Recherchen von "Panorama 3" hat Neumann bei der Erstellung seiner Dissertation zudem Hilfe bekommen. In den Dateieigenschaften des PDF-Dokuments findet sich der Name eines Mitarbeiters der Editorio GmbH. Auf Anfrage bestätigt der Mitarbeiter, an Neumanns Doktorarbeit mitgewirkt zu haben. Er betont, dass die Dienstleistungen von Editorio legal seien. "Wir machen Sprachkorrekturen, Formatierung und Lektorat." Legal könnten solche Dienstleistungen in der Tat sein, bestätigt Dannemann. "Allerdings hätte der Autor - etwa in einem Vorwort - angeben müssen, von wem und in welchem Umfang er die Unterstützung in Anspruch genommen hat. Ein solcher Hinweis fehlt."
Die Prüfer
Wie "Panorama 3" erfuhr, beschäftigt sich an der Universität der Bundeswehr seit Monaten das Gremium zur Untersuchung wissenschaftlichen Fehlverhaltens mit der Doktorarbeit von Michael Neumann. Irgendwann müssen die Verantwortlichen entscheiden, ob sie die Verdachtsmomente zurückweisen oder die Aberkennung von Neumanns Doktortitel empfehlen. Ein Beschluss wurde bislang offenbar nicht gefasst. Die Hochschule verweist darauf, einem entsprechenden Verdacht generell auch nachzugehen, zu konkreten Fällen sich jedoch nicht äußern zu können. Ex-Innensenator Neumann reagierte auf Anfragen nicht.
Dissertationen sollen eigentlich die Wissenschaft voranbringen. Die Arbeit über den "Nordstaat" hatte wohl mehr den Zweck, Michael Neumann voranzubringen. Im Fazit seiner Doktorarbeit räumt er ein, dass die Bildung eines "Nordstaates" nicht realistisch sei. So sei etwa das Einsparpotenzial bei der Zusammenlegung der nördlichen Bundesländer nicht groß. Selbst wenn der Hamburger Erste Bürgermeister - zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war es noch Olaf Scholz - nicht mehr den Rang eines Ministerpräsidenten bekleide, werde sein Gehalt von monatlich 14.788,21 Euro wohl kaum sinken.
Neumann hat also schon mit Nonchalance zugegeben, dass er seine 274 Seiten einer Chimäre gewidmet hat. Anzuerkennen, dass er erhebliche Teile des Textes abgeschrieben hat, wird ihm hingegen wohl nicht so leicht fallen.
Sendehinweis: Mehr dazu am Freitag, 20. Juli, um 19:30 Uhr im "Hamburg Journal" im NDR Fernsehen.