
Uni Kiel: Der Zoff um die Zivilklausel
Studenten gegen Uni Kiel Nie wieder Kriegsforschung!
2,7 Millionen Euro. So viel Geld hat die Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) zwischen 2005 und 2012 vom Bundesverteidigungsministerium und von der Nato erhalten. Die Millionen flossen für Forschung, die von der Uni im Auftrag dieser Institutionen durchgeführt wurde - wie zum Beispiel eine Studie des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) zum Thema Aufstandsbekämpfung in Afghanistan, erstellt für das Verteidigungsministerium und damit indirekt für die Truppen der Bundeswehr. Oder Projekte mit der Verwendungsbeschreibung "militärische Operationen".
Vielen Studenten missfällt diese Art der Forschung, sie fordern jetzt eine Zivilklausel. Im Rahmen einer Studentenbefragung stimmten zwei Drittel der knapp 4000 Teilnehmer dafür, dass der folgende Passus in die Grundordnung der CAU aufgenommen werden soll: "Forschung, Studium und Lehre sind zivil, dienen friedlichen Zwecken und sind frei von Kooperation mit Rüstungskonzernen und militärischen Akteuren." Eine Zivilklausel wäre also eine Selbstverpflichtung der Universität, Forschung und Lehre von militärischen Einflüssen freizuhalten bzw. im Zweifelsfall transparent zu entscheiden, ob ein Auftrag angenommen wird.
Auch an anderen deutschen Universitäten erstarken Gruppen, die sich für eine ausschließlich friedliche und zivile Forschung einsetzen. 13 Hochschulen haben bereits eine Zivilklausel verabschiedet. Zu den ersten gehören die Universitäten Bremen, Konstanz und Oldenburg sowie die TU Dortmund und die TU Berlin. In letzter Zeit verabschiedeten außerdem die TU Darmstadt, die TU Ilmenau, die Hochschulen Bremen und Bremerhaven sowie die Universitäten in Frankfurt, Rostock, Tübingen und Göttingen eine solche Selbstverpflichtung.
An der Uni Köln fordern Studenten ebenfalls ein Bekenntnis zur Forschung für eine "zivile und friedliche Entwicklung der Gesellschaft". Als Grund für ihr Engagement nennen sie die zunehmende Abhängigkeit der Wissenschaft von Drittmittelgebern. So seien allein an der Uni Köln die Drittmitteleinwerbungen zwischen 2007 und 2010 um mehr als 30 Millionen Euro gestiegen. Sich an die Selbstverpflichtung zu halten, fällt einigen Hochschulen hingegen schwer.
Uni-Leitung lehnt Zivilklausel ab
Die Kieler Uni wird trotz des Studentenvotums in Zukunft wohl nicht zu diesem Kreis zählen: Das Ergebnis der Befragung ist nicht bindend - und die Uni-Leitung hält von einer Zivilklausel nichts. "Eine Zivilklausel greift nach Meinung der Hochschulleitung zu kurz", teilt die CAU mit. Die Begründung der Hochschulleitung: Was genau unter Militärforschung falle, sei schwierig zu definieren. Zudem müsse "Forschung als Grundlage für den Fortschritt der Gesellschaft grundsätzlich frei sein".
"Absurd", findet ein ISPK-Mitarbeiter, der aus Angst vor massiven Anfeindungen anonym bleiben möchte, die Forderungen der Studenten. "Ich halte davon absolut nichts. Eine Zivilklausel wäre ein Verbot von Forschung im Auftrag der Bundesregierung. Dass sicherheitspolitisch relevante Fragen an unabhängigen zivilen Universitäten untersucht werden, ist richtig und wichtig." ISPK-Direktor Joachim Krause geht noch einen Schritt weiter: "Die Kampagne zur Einführung von Zivilklauseln wird bundesweit von Gruppen und Personen koordiniert, die aus dem linken, oft linksextremen, antimilitaristischen Spektrum stammen", sagt er. Die politische Stoßrichtung der Zivilklausel bestünde darin, die Universität zu nutzen, um die Bundeswehr gesellschaftlich zu isolieren. "Wir betreiben in Kiel Konfliktforschung", sagt er. "Wer das als 'Kriegsforschung' diskreditieren will, sollte sich auf Paranoia untersuchen lassen."
Ruben Reid, der die Uni-Gruppe für eine Zivilklausel koordiniert, sieht das anders: "Militärforschung gehört nicht an öffentliche Hochschulen", sagt er. Forschungen für Rüstungszwecke und militärische Einsätze sollten an Instituten der Bundeswehr durchgeführt werden. Wo allerdings Wissenschaft anfängt, für Kriegszwecke verwertbar zu sein, ist oft nur schwer zu ermitteln. Forscher sprechen hier vom Dual-Use-Dilemma: Raketen etwa, die Satelliten ins All bringen, können auch Atomwaffen transportieren. Das Wissen über Krankheitserreger lässt sich für Medikamente und für Biowaffen nutzen, mit Nukleartechnik kann man Energie gewinnen oder Atombomben bauen.
Zudem möchten viele Hochschulen auf das Geld aus der Rüstungsbranche nicht verzichten. Gut 46 Millionen Euro zahlte das Verteidigungsministerium zwischen 2000 und 2010 an 48 Hochschulen - das geht aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag an die Bundesregierung hervor. Größter Empfänger dieser Gruppe ist die Deutsche Sporthochschule Köln, gefolgt von der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg und der TU München.
Forscher sollen selbst entscheiden
Reid und seine Kommilitonen aus Kiel wurden stutzig, als Anfang des Jahres eine Anfrage an die Uni-Leitung zunächst unbeantwortet blieb. Die Studenten wollten erfahren, für welche Projekte die CAU die 2,7 Millionen erhalten hat. Doch anstelle einer schriftlichen Antwort teilte der damalige Vize-Präsident der CAU, Thomas Bosch, in einer öffentlichen Senatssitzung im April lediglich einmal mündlich mit, wohin das Geld ging. Später durften sie Reid zufolge jene Aufträge einsehen, die aus Steuergeldern finanziert wurden. Die Liste der Aufträge aus der Privatwirtschaft hätten sie nicht zu sehen bekommen. "Ich bin nicht beruhigt", sagt Reid. Gegenüber SPIEGEL ONLINE wollte die Uni keine Auskunft zu den Projekten geben. "Die Liste der öffentlichen Aufträge ist vertraulich. Eine zweite Liste mit Aufträgen aus der Privatwirtschaft gibt es nicht", sagte CAU-Pressesprecher Boris Pawlowski.
Die Uni plant nun, eine Ethikkommission mit drei CAU-Angestellten einzurichten. Sie soll die Wissenschaftler bei strittigen Fragen beraten. Den Studenten reicht das nicht. Sie wollen eine Ethikkommission einrichten, die zu gleichen Teilen aus Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren bestehen soll. Alle Projekte, die von militärischen Akteuren oder Firmen aus dem Rüstungsbereich finanziert werden, sollten diesem Ethikrat vorgelegt werden. So würden auch die Wissenschaftler entlastet, die unter einem "starken Wettbewerbsdruck" auch in Bezug auf Drittmittelprojekte stehen. Die Uni Kiel müsse, so die Studentengruppe, endlich ihrem Motto gerecht werden, das sie im Siegel trägt: "Pax Optima Rerum" - "Frieden ist das höchste Gut".
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