Mitbewohner-Typologie Willkommen Wehleidiger, Schnorrer, Obersnob

Eine Wohngemeinschaft ist an sich prima, sie spart Geld und spendet Gesellschaft. Wenn nur die Nervensägen in den Nachbarzimmern nicht wären. Der UniSPIEGEL zeigt eine Typologie von elf potentiellen WG-Genossen - von zum Davonlaufen bis gerade noch erträglich.
Von Lisa Seelig und Elena Senft

Wenn das Studium beginnt, startet jeder Vierte in ein ganz besonderes Abenteuer: Wohnen mit Fremden in der Wohngemeinschaft, der Studenten liebste Daseinsform. Sie hat unbestritten Vorteile: Nirgends kommt man so günstig an 13 Quadratmeter Altbau in Innenstadtlage. Und man lernt gleich am ersten Tag neue Leute kennen. Manchmal auch der Nachteil: Man lernt gleich am ersten Tag neue Leute kennen.

Das sind dann Zimmer-, Bad-, und Küchennachbarn, die man nicht im Schwitzkasten zur Raison bringt (kleine Geschwister) oder bei denen man nicht in jahrelanger Feldforschung lernen konnte, wie man sie so manipuliert, dass sie reibungsarm funktionieren (Eltern).

Mindestens 450.000 junge Menschen in Deutschland leben in WGs, ihr Anteil an der Studentenschaft ist seit Jahren konstant. Dank steigender Studentenzahl wird die WG-Dichte in deutschen Unistädten immer größer.

Mietspiegel der Studentenbuden

Webseiten für die Mitbewohner- und WG-Suche helfen, Zimmer an teuren (München) und weniger teuren Orten (Bamberg, Oldenburg, Dresden) aufzustöbern. Der Andrang beim Casting ist hier wie dort meist gewaltig, die Nachfrage größer als das Angebot - auch darum haben sich viele WG-Insassen ein eigentümliches Aufnahmegebaren ausgedacht, das eher an die Studienstiftung des deutschen Volkes erinnert oder an das Vorsingen für eine C4-Professur, als an ein harmloses Kennelernen, bevor man es mal miteinander versucht.

Den Zugang zum Treppenhaus zur harten Tür zu machen kann aber sinnvoll sein - denn Typen gibt's, die will man gar nicht. Lisa Seelig und Elena Senft haben eine Liste typischer WG-Bewohner angefertigt.

Manche sind gar nicht übel - aber der UniSPIEGEL zeigt, bei welchen elf anstrengenden Mitbewohnern Vorsicht geboten ist.

Der Schmarotzer

Leben nach dem Christiania-Entwurf: Gehört alles allen, gehört alles auch mir, irgendwie

Leben nach dem Christiania-Entwurf: Gehört alles allen, gehört alles auch mir, irgendwie

Foto: JENS DRESLING/ AP

Seine größte sportliche Anstrengung besteht darin, im Flokatiteppich neben seinem Bett nach verlorengegangenen Haschischkrümeln zu graben. Wenn du dir was kochst, schlurft er in die Küche, probiert mit dem Kochlöffel die Nudelsauce, wobei ein Teil der Sauce wieder zurück in den Topf tropft, und murmelt "mmmmmh".

Klar, dass er gleich mit am Tisch sitzt und zulangt. Du wunderst dich immer, warum dein 400-Gramm-Kanten Gouda nach und nach auf ein Viertel seiner ursprünglichen Größe zusammenschrumpft, ohne dass du ihn jemals angerührt hättest.

Typisches (und einziges) Produkt im Kühlschrank:

eine leere Margarineschachtel

Der Wehleidige

Kranksein als Aufgabe: Der Wehleidige verschanzt sich gern hinter Medikamenten

Kranksein als Aufgabe: Der Wehleidige verschanzt sich gern hinter Medikamenten

Foto: Patrick Lux/ picture-alliance/ dpa/dpaweb

Wenn er nicht gerade mit roter Nase in eine Decke gehüllt die Fernsehcouch belagert, liegt er stundenlang mit einem Fichtennadel-Badezusatz in der Wanne und kuriert eine Erkältung aus. Wenn du abends Kommilitonen einlädst, erscheint nach zehn Minuten ein blasses Gesicht in der Tür und bittet darum, wegen seiner Migräne ein "kleines bisschen leiser" zu sein.

Fliehen hilft nicht: Sobald der Wehleidige merkt, dass sich jemand die Schuhe anzieht, schnellt er aus ihrem Zimmer und fragt, ob du ihr noch einen Zwölferpack Taschentücher mitbringen könntest.

Im Kühlschrank:

Kühlbrille wegen der Gräserallergie

Die Esoterikerin

Ommmm: Sie ist mit sich, der Natur und den Schwarzwurzeln im Reinen

Ommmm: Sie ist mit sich, der Natur und den Schwarzwurzeln im Reinen

Foto: Corbis

Nachdem das dritte Mal der Abfluss in der Dusche verstopft ist und du, von Würgereizen geschüttelt, dicke hennagefärbte Haarbüschel aus der Kanalisation fischst, suchst du das Gespräch.

Doch die Esoterikerin liegt in ihrem ockerfarbenen Schwammtechnik-Zimmer auf ihrem Futon und versteht nicht, warum man über so einen Scheiß diskutiert, während in Afghanistan und in anderen Teilen der Welt Menschen sterben.

Schließlich lenkt sie aber doch ein und bietet dir zur Entschädigung eine Reiki-Anwendung an. Lediglich freitags erwacht die Esoterikerin aus ihrer Lethargie, wenn die Abokiste des regionalen Ökobauernhofs geliefert wird und der Jauchzer "Endlich Schwarzwurzeln!" bis in dein Zimmer dringt.

Im Kühlschrank:

Nichts - alles wird bei Zimmertemperatur aufbewahrt.

Die Kühlschrankpolitesse

Ordnung im Kühlschrank: Räumt auf, bevor Geruch entsteht

Ordnung im Kühlschrank: Räumt auf, bevor Geruch entsteht

Foto: SPIEGEL ONLINE

Weil deine Freundin ab und zu bei dir übernachtet, möchte sie, dass diese sich an den Nebenkosten beteiligt, und fertigt dafür Excel-Tabellen an. Sie findet, dass du zu lange duschst, sie selbst duscht in der Turnhalle beim Unisport, um Wasserkosten zu sparen.

Deine Fächer im Kühlschrank unterzieht sie regelmäßig einer Inventur und klebt mahnende Post-its mit Informationen wie "Gestern wieder zwei verschimmelte Mandarinen bei dir gefunden :-(" an die Tür.

Typisches Produkt im Kühlschrank:

sämtliche Produkte der Supermarkt-Eigenmarken. Mehr als 19 Cent muss ein Joghurt nämlich nicht kosten.

Der General

Dosen in der WG-Küche: Reste vom gepflegten Herrenabend

Dosen in der WG-Küche: Reste vom gepflegten Herrenabend

Foto: dapd

Eigentlich wollte er ja bei seiner schlagenden Verbindung einziehen, aber die Zimmer bei der "Franconia" waren leider schon belegt. Der General studiert Jura und trägt eine Barbour-Jacke.

In der Gemeinschaftsküche veranstaltet er Saufabende mit seinen Jungs, bei denen zu Stammtischgesprächen ("Wer in unserm Land wirklich Arbeit sucht, der findet auch eine ...") literweise Schnaps getrunken wird. Läufst du als Mitbewohnerin im Schlafanzug vorbei, kann es passieren, dass du einen kräftigen Schlag auf den Hintern bekommst.

Typisches Produkt im Kühlschrank:

eingeschweißte Dauerwurst

Der Kommunarde

Abspülen? Was sich nicht sauberlecken lässt, bleibt stehen, die Kommune wird das richten

Abspülen? Was sich nicht sauberlecken lässt, bleibt stehen, die Kommune wird das richten

Foto: dapd

Sein Haus ist offen für alle Erdenbürger. Wenn du abends nach Hause kommst, kannst du gerade noch verhindern, dass zwei chinesische Austauschstudenten ein offenes Feuer im Badezimmer entfachen, um authentische Bedingungen für die Zubereitung eines mongolischen "hot pot" zu schaffen. Wenn du mal für ein paar Tage weg bist, lässt der Kommunarde Fremde in deinem Bett schlafen, natürlich ohne vorher zu fragen oder danach das Bett neu zu beziehen. Das Geschirr reinigt er im Stile von Rainer Langhans, also lediglich durch sorgfältiges Ablecken.

Typisches Produkt im Kühlschrank:

die in Tupperdosen gelagerten Reste des "hot pot"

Die Casterin

Schaumwein ohne Ende: Ihr Prosecco-Vorrat ist der Casterin wichtig

Schaumwein ohne Ende: Ihr Prosecco-Vorrat ist der Casterin wichtig

Foto: Thomas Kienzle/ AP

Du hättest schon misstrauisch werden sollen, als beim WG-Casting alle Bewerber einen goldenen Bilderrahmen halten mussten und ein lustiges Polaroid gemacht wurde. Sie ist das Oberhaupt der WG und besteht darauf, dass alle total super miteinander auskommen.

Regelmäßig tagt der WG-Rat, dessen Atmosphäre die Stimmung im Gerichtssaal beim Kachelmann-Prozess fast karnevalesk erscheinen lässt. Wenn du den dritten gemeinsamen Kochabend hintereinander verhindert bist, wird die Casterin in der nächsten Sitzung des WG-Rats zu einem Misstrauensvotum gegen dich aufrufen.

Typisches Produkt im Kühlschrank:

einige Flaschen Jules Mumm - damit für die Mädels immer was da ist

Der Snob

Snob: Er trinkt nur erstklassige Weine, dein Aldi-Schlauch kommt ins Risotto

Snob: Er trinkt nur erstklassige Weine, dein Aldi-Schlauch kommt ins Risotto

Foto: A3446 Patrick Seeger/ dpa

Die 150-Quadratmeter-Wohnung gehört seinem Vater. Damit sie nicht so leer ist, hält er sich ein paar Untermieter, residiert dabei natürlich selbst im größten Zimmer. In der Küche steht eine vergoldete Gaggia-Espressomaschine, deinen Apfelessig sortiert er regelmäßig zum Zubehör für die Putzfrau.

Deine Weinvorräte verzeichnen immer dann Schwund, wenn der Snob "Kochwein" fürs Risotto brauchte. Wenn du mit zwei Aldi-Tüten in der Hand die Küchentür aufstößt, lächelt er ein bisschen angeekelt.

Typisches Produkt im Kühlschrank:

mindestens vier Flaschen Louis Roederer, Jahrgangsware natürlich

Der Humorist

Lustich? Der Clown von nebenan ist schon in Ordnung

Lustich? Der Clown von nebenan ist schon in Ordnung

Foto: Martin Gerten/ picture alliance / dpa

Seitdem er eingezogen ist, hat sich einiges verändert: Im Bad gibt es nun eine Plexiglas-Klobrille mit Stacheldrahtmuster, in der Küche hat er einen kleinen Basketballkorb über dem Mülleimer angebracht.

Der Humorist ist ein eher angenehmer Mitbewohner: Er ist nie böse und organisiert akribisch vierteljährliche Motto-Partys, auf denen er auch noch den Alleinunterhalter spielt. Er wird lediglich dann ein bisschen nervig, wenn er das dritte Mal mit seinem Laptop in dein Zimmer kommt, um dir ein superwitziges YouTube-Video zu zeigen.

Im Kühlschrank:

ein Partyrest Chili con Carne

Die Landpomeranze in der Stadt

Wurstwaren: Das gude G'räucherde von daham

Wurstwaren: Das gude G'räucherde von daham

Foto: Getty Images

Die Landpomeranze hat sich jahrelang auf die Großstadt gefreut. Wie passend, dass Mama und Papa dort auch eine Eigentumswohnung gekauft haben. Deren Wände schmückt sie mit Fotocollagen ihrer Mädels von zu Hause und ist so gut wie nie da - sie kennt alle Clubs der Stadt und organisiert WG-Ausflüge zu Ausstellungen New Yorker Off-Künstler.

Sogar sonntags hat man seine Ruhe, denn den "Tatort" guckt sie natürlich beim Public Viewing in der Bar. Ehrensache, dass man bei so viel Freiraum gern jedes zweite Wochenende auf die Wohnzimmercouch zieht, wenn ihre Eltern zu Besuch sind.

Im Kühlschrank:

Wurstspezialitäten aus der fränkischen Heimat

Der Womanizer

Na, Bunny? Der Gigolo kommt selten ohne weiblichen Begleitschutz nach Hause

Na, Bunny? Der Gigolo kommt selten ohne weiblichen Begleitschutz nach Hause

Foto: Corbis

Mehrmals wöchentlich kommt er mitten in der Nacht mit einer Begleiterin besoffen in den Flur gestolpert. Leider sind diese Mädchen dann auch die, die morgens in der Küche sitzen, deine Zigaretten aufrauchen und Liebeskummer haben. Seine Pascha-Allüren lebt der Womanizer auch bei seinen Mitbewohnern aus - die Zutaten für seine morgendlichen Rühreier hat er noch nie selbst gekauft.

Da du seit Monaten nicht mehr schläfst, weil Sexgeräusche aus dem Nebenzimmer dringen oder kichernde Mädchen in dein Zimmer torkeln, weil sie es mit dem Bad verwechseln, hast du schon nach kurzer Zeit kein Verständnis mehr für die leckenden Spaßkondome im Badmülleimer.

Im Kühlschrank:

eine Flasche Faber-Sekt

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