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Kostenloses Mittagessen, Gratis-Finanzberatung - Studenten werden auf dem Campus heftig umworben. Manche Firmen arbeiten mit fragwürdigen Mitteln, die Uni-Leitung unterstützt sie trotzdem.
Studenten sind gesuchte Kunden

Studenten sind gesuchte Kunden

Foto: Jindrich Novotny/ UNI SPIEGEL

Das Angebot, das die Studenten der Technischen Universität Darmstadt erhielten, klang verlockend. "Hol dir dein kostenloses Mittagessen", stand auf einem Flyer, der im Mai 2013 im Uni-Viertel verteilt wurde. Einfach in ein Lokal in der Nähe gehen, Mahlzeit auswählen, satt werden. Als eine Art Beilage gebe es auch noch ein Gewinnspiel mit Chance auf einen MP3-Player.

"Großzügig", dachten viele Hochschüler –und fragten sich, wer wohl hinter der Offerte stecken könnte. Denn auf dem mysteriösen Flugblatt fand sich weder ein Name noch ein Firmenlogo. Dafür war aber von "Financial Education" die Rede, in deren Genuss die Gratisesser kommen könnten.

Einigen Studenten dämmerte es daher schon, und der Besuch im Lokal bestätigte den Verdacht: Es war die Firma MLP, die zum Essen bat, ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Akademikern Lebensversicherungen, Fonds, Riester-Verträge und andere Finanzprodukte zu verkaufen.

"Insider-Informationen aus den Hochschulen"

Im Werben um die Gunst und das Geld von Studenten darf man nicht zimperlich sein. Wer die Besserverdiener in spe früh an sich bindet, hat gewonnen. MLP hat das wie kein zweiter Finanzdienstleister verinnerlicht. So zeigt der Fall des anonymen Flyers, wie kreativ und hartnäckig um Kunden gerungen wird. Und auch, wie hilflos die Hochschulen manchmal sind, wenn sie die Geister, die sie riefen, wieder loswerden wollen.

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Ausgabe 4/2016

Die Bedrängten
Wie Unternehmen um die Gunst und das Geld von Studenten werben

Diesmal mit Geschichten über den Alltag in Nepal nach dem Beben, Jagd auf Verbindungsstudenten, deutsche Studenten in Österreich und die Baustelle Brasilien.
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Denn viele Unis lassen es bereitwillig zu, dass sich die werbetreibende Wirtschaft auf dem Campus und in den Seminargebäuden breitmacht, sie verdienen sogar Geld damit. So nahm die Uni Hamburg im vergangenen Jahr 32.144 Euro durch die Vermietung von Plakatflächen und weitere 49.405 Euro durch die Genehmigung von Promotionsaktionen ein. Die Uni Frankfurt brachte es mit diesem Geschäftsfeld sogar auf 390.000 Euro, und auch die Ruhruni Bochum erwirtschaftete laut einem Sprecher einen Betrag "zwischen 60.000 und 80.000 Euro".

Die Deutsche Hochschulwerbung, einer der wichtigsten Vermarkter von Plakatflächen und Promotionständen auf den Campus dieser Republik, will in einer Studie herausgefunden haben, dass die Studenten auf dem Uni-Gelände besonders empfänglich sind für Werbebotschaften: "Es ist ein geschützter Raum, in dem Informationsangebote offen aufgenommen werden", schreibt die Firma in einer Broschüre für Werbekunden. Wenn gewünscht, sei es gegen Aufpreis auch möglich, gezielt die Angehörigen einer bestimmten Fachschaft an strategisch günstigen Orten anzusprechen; dafür würden "Insider-Informationen aus den Hochschulen" berücksichtigt.

Teuer bis unsinnig

Der Finanzdienstleister MLP ist besonders findig, wenn es um die Rekrutierung von Neukunden geht. Die Berater arbeiten auf eigene Rechnung, sie leben von den Provisionen. Je mehr Studenten einen Versicherungsvertrag abschließen oder Fondsanteile kaufen, desto mehr verdienen die MLP-Vertreter.

MLP Logo in Wiesloch

MLP Logo in Wiesloch

Foto: Ronald Wittek/ picture-alliance/ dpa

Die Stiftung Warentest warnte 2008, viele Angebote von MLP seien "teuer oder sogar unsinnig". Und die Verbraucherzentrale Hessen kritisiert, Finanzvertriebe wie MLP zielten bewusst auf Studenten, die "weder die Lebenserfahrung noch das Wissen und die Zeit haben, sich mit diesen komplexen Verträgen auseinanderzusetzen".

Umso erstaunlicher ist, wie wenig Berührungsängste viele Hochschulen haben. In Cottbus, Mannheim, Frankfurt, Kempten, Nürnberg und Hannover ist MLP ein fester Partner, der Seminare zu Themen wie Rhetorik, Bewerbung und Gehaltsverhandlungen anbietet. In Düsseldorf konnten sich Mathematik- und Informatikstudenten die Kurse bei MLP bis vor einiger Zeit sogar als Studienleistung anerkennen lassen. Dabei geht es dem Finanzdienstleister natürlich nicht primär um die Bildung seiner potenziellen Kunden – sondern um ihre Kontaktdaten.

Besonders eng ist MLP mit der traditionsreichen Uni Heidelberg verbandelt: Dort hat die Firma eine halbe Mitarbeiterstelle für den "Career Service" finanziert und bietet rund 20 Veranstaltungen pro Semester an, die bei den Studenten auch durchaus beliebt sind. Seit 2008 ist MLP-Mitbegründer Manfred Lautenschläger sogar Ehrendoktor der Theologischen Fakultät, weil er viel spende und durch ihn "christliche Grundwerte in unserer Gesellschaft aufleuchten".

Currywurst für Handynummern

Andernorts tut sich MLP ungleich schwerer. In Darmstadt fielen Vermittler des Dienstleisters mit ungenehmigten und unseriös wirkenden Promo-Aktionen in Ungnade. Die Uni verhängte einen Werbebann gegen das Finanzunternehmen. Man sehe sich "veranlasst, hiermit förmlich ein ab sofort wirksames, unbefristetes Verbot von Aktivitäten werbender Absicht in Gebäuden und auf Außenflächen der TU Darmstadt auszusprechen", schrieb der Kanzler im Dezember 2012 an die MLP-Zentrale in Wiesloch. Von Unmut und Beschwerden ist in dem Schreiben die Rede, von Verstößen gegen die Werbegrundsätze der Hochschule. Die MLP-Vertreter ließen sich indes nicht abschrecken - –und köderten die Studenten auf anderen Wegen.

Erst tauchte der Einladungsflyer zum Gratismittagessen auf, kurz darauf wurde mit der Aussicht auf eine Currywurst geworben. Wer sich den Snack abholen wollte, musste aber erst per SMS einen Code anfordern. So kam MLP an Handynummern, die von den Vermittlern durchtelefoniert werden konnten - natürlich nur, wenn die Studenten dies wünschten, wie MLP beteuert.

Gegenüber der Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs erklärt das Unternehmen in einer schriftlichen Stellungnahme zu der Aktion mit dem Gratismittagessen, das Ziel sei gewesen, "Studenten auf neutralem Terrain einzuladen und dort mit den Interessenten über die Dienstleistungen unseres Hauses zu sprechen". Man wolle aber künftig darauf achten, dass Studenten besser erkennen könnten, mit wem sie es eigentlich zu tun hätten. "Wir legen großen Wert auf datenschutzkonforme und dem deutschen Wettbewerbsrecht entsprechende Vertriebs- und Werbemaßnahmen", heißt es in dem Schreiben.

Die massive Kritik, die MLP für seine Aktionen in Darmstadt einstecken musste, änderte nichts an der aggressiven Akquise des Finanzdienstleisters: Im Juli vergangenen Jahres tauchte am Fachbereich Maschinenbau erneut ein anonymer Flyer ohne Name und Logo auf, diesmal mit Werbung für eine "Infoveranstaltung". Das Blatt wirkte, als habe es jemand bewusst unprofessionell aussehen lassen wollen: "Studium steuerlich absetzen? Mehrere 1000 Euro vom Staat?", war darauf zu lesen – und das Angebot, sich über eine Handynummer für eine Beratung anzumelden. Wer sie wählte, landete in einer MLP-Geschäftsstelle. Das Unternehmen beteuert trotzdem, das Hausverbot "auf dem eigentlichen Hochschulgelände" respektiert zu haben. Lediglich in einem Fall habe es eine Beschwerde gegeben, aus der Kritik habe man gelernt.

Von Verkäufern "regelrecht bedrängt"

Auch Fabian Wiedenhöfer, Software-Engineering-Student in Heilbronn, musste vor einigen Jahren feststellen, wie penetrant MLP-Berater sein können, wenn sie erst einmal Kontakt aufgenommen haben. Wiedenhöfer geriet eher zufällig in einen Kurs des Finanzdienstleisters. Ein Kumpel war auf dem Campus angesprochen worden, ob er an einem Rhetorik-Workshop teilnehmen wolle, Wiedenhöfer begleitete ihn. Im Seminar sollten die Studenten Reden improvisieren und mit einem Sektkorken zwischen den Zähnen die Aussprache üben.

Mancher Student fühlt sich regelrecht verfolgt

Mancher Student fühlt sich regelrecht verfolgt

Foto: Jindrich Novotny/ UNI SPIEGEL

Nach der Veranstaltung gab es noch einen Umtrunk – und die Bitte, einen Feedback-Bogen auszufüllen. Wer Interesse an einer Beratung zu Versicherungen und Finanzen habe, solle dort auch seine Telefonnummer eintragen, sagte der Dozent. "Ich war nicht im Bilde, was MLP überhaupt ist", sagt Wiedenhöfer. Doch dann wurde er AStA-Chef und von diversen Studenten um Hilfe gebeten, die wie er von MLP-Mitarbeitern angerufen worden waren. Einige der Kommilitonen, die sich bei ihm meldeten, fühlten sich von den Verkäufern "regelrecht bedrängt", sagt Wiedenhöfer.

Weil es auch an der Hochschule Heilbronn immer wieder Beschwerden über MLP gab, beschloss das Rektorat ein Werbeverbot: keine Reklame mehr für Gratis-Seminare, keine Stände auf dem Campus, hieß es. Doch mit MLP ist es wie mit Wasser: Es sucht sich immer eine Ritze, um durchzusickern.

Am 16. Oktober 2015, als das Werbeverbot in Heilbronn längst in Kraft gesetzt war, bot ein MLP-Berater einem Informatikprofessor per E-Mail ein "besonderes Schmankerl" an: Die Firma wolle eine Bustour zu einem Absolventenkongress nach Köln organisieren. "Besteht die Möglichkeit, dass Sie diese Information an die Studenten in Ihrem Studiengang weiterleiten?"

Am 26. April schrieb ein Student an seine Betriebswirtschaftskommilitonen, sie könnten an einem Rhetorikseminar und einer Veranstaltung zum Thema "Steuertipps für Studenten" teilnehmen. "Durchgeführt wird es von einem sehr netten, jungen Herrn des Hochschulteams, der als selbstständiger Berater bei MLP arbeitet", hieß es. Und weiter: "Eine sehr gute Möglichkeit, auch neben den wissenschaftlichen Inhalten an der Hochschule etwas fürs Leben mitzunehmen."

Wer keinen Kontakt will, muss keinen aufnehmen

Während man in Heilbronn bis heute am Hausverbot für MLP festhält, hat sich das Verhältnis des Finanzdienstleisters zur TU Darmstadt in den vergangenen Monaten wieder verbessert. MLP gehört unter anderem zu jenen Firmen, die beim Deutschlandstipendium mit der Uni kooperieren.

Das Förderprogramm zielt darauf ab, die Zusammenarbeit von Unternehmen und Universitäten zu stärken. Die Hochschulen werben in der Wirtschaft Geld ein, um gute Studenten zu unterstützen. Als Belohnung erhalten sie einen Zuschuss von der Bundesregierung.

Natürlich haben Unternehmen Hintergedanken, wenn sie sich am Deutschlandstipendium beteiligen: Sie wollen Kontakt zu begabten Studenten, sie wollen für ihre Firma werben. Die TU Darmstadt stellte Förderern bis vor Kurzem ein Buch mit den Lebensläufen der Stipendiaten zur Verfügung. Sie bewirbt, wie andere Hochschulen auch, das Stipendium bei Geldgebern ausdrücklich als Kontaktanbahnungsprogramm: "Bisher konnten 70 Prozent der Unternehmen, die Studierende an der TU mit einem Deutschlandstipendium unterstützen, ihre Stipendiatin oder ihren Stipendiaten als Mitarbeiter, Praktikanten oder für das Schreiben einer Abschlussarbeit für ihr Unternehmen gewinnen."

Die geförderten Studierenden sind allerdings gar nicht verpflichtet, sich gegenüber "ihrem" Unternehmen erkenntlich zu zeigen. Im Gesetz heißt es klar: Das Stipendium dürfe nicht von einer Gegenleistung abhängig gemacht werden.

Wer keinen Kontakt will, muss keinen aufnehmen und kann das in seiner Bewerbung so ankreuzen. Studierende, die einer Datenweitergabe widersprechen, würden allerdings "neutral angefragt, ob sie bei ihrer Entscheidung bleiben", bestätigt ein Sprecher der Uni Darmstadt. Spätestens hier wird es heikel. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Hessen hat sich der Sache angenommen. Das Vorgehen erscheine "nicht unproblematisch, um es diplomatisch auszudrücken", heißt es in einer Stellungnahme.

Bislang ist MLP jedoch zufrieden mit der neuen Kooperation. Bei der feierlichen Stipendienvergabe im vergangenen Januar war das Logo des Finanzvermittlers über dem Rednerpult im gut gefüllten Hörsaal zu sehen, am Stehtisch durften Stipendiaten und Stifter smalltalken.

Zu einem Aufeinandertreffen auf dem Hochschulgelände kann es nun auch an anderen Tagen wieder häufiger kommen: Die Uni Darmstadt hat das Werbeverbot für MLP jüngst aufgehoben. Jetzt braucht es keine anonymen Flyer mehr – die Finanzberater von MLP dürfen wieder ganz offiziell auf die Pirsch gehen.

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