
Uni Lübeck: Mediziner-Ausbildung vor dem Aus
Moribunde Uni Lübeck "Die haben uns einfach überrumpelt"
Lübeck - Eigentlich müssten sie für Klausuren lernen, die in wenigen Wochen anstehen. Stattdessen stehen die Lübecker Medizinstudenten in kleinen Grüppchen vor dem Asta-Büro, einen Packen gelber "Lübeck kämpft für seine Uni"-Plakate unter dem Arm und Wut im Gesicht. In der vergangenen Woche hat die schwarz-gelbe Landesregierung angekündigt, das Medizinstudium in Lübeck auslaufen zu lassen - im Rahmen eines umfangreichen Sparpakets zur Sanierung des Landeshaushalts 2012.
Der Farbkopierer spuckt im Sekundentakt Flyer aus, während Linda Krause mit einigen Kommilitonen bespricht, wo man sie am besten auslegt. "So richtig realisiert hat es noch keiner, aber alle kommen und fragen, wie sie helfen können", sagt die Asta-Vorsitzende. Sie studiert Biomathematik, einen Studiengang, der aktuell zwar nicht von Schließung bedroht ist. "Aber uns allen ist klar, dass die Zukunft der ganzen Universität auf dem Spiel steht."
Das angekündigte Aus für das Medizinstudium hat die meisten auf dem Campus überrascht. "Das kam wie aus heiterem Himmel", sagt Uni-Präsident Peter Dominiak. Die Streichung des Medizinstudiengangs treffe Lübeck mitten ins Herz. Da die weiteren vier Studiengänge eng mit der Medizin verknüpft seien, bedeute die Entscheidung der Landesregierung "den Tod der Uni Lübeck".
Mit rund 2600 Studenten, davon 1500 in der Medizin, ist die Lübecker Hochschule Deutschlands kleinste staatliche Universität. Sie beherbergt 19 Institute, 160 Professoren, 100 Privatdozenten. Das Medizinstudium ist ihr Herzstück - und die Ärzte-Ausbildung ist der mit Abstand teuerste unter allen Studiengängen. Die Schließung soll dazu beitragen, die Schulden des Landes Schleswig-Holstein zu verringern. So hat es die schwarz-gelbe Regierungskoalition unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) beschlossen.
Ratlosigkeit unter Studenten
"Man weiß nicht, ob man weinen oder schreien soll", sagt Medizinstudentin Susanne Himmelsbach. Sie studiert im achten Semester und wird laut Landesregierung ihr Studium in Lübeck noch beenden können. Aber die Ungewissheit ist groß. "Die Dozenten werden sich sicher so schnell wie möglich etwas anderes suchen", sagt sie und befürchtet, dass auch die klinische Ausbildung leiden wird: "Ich glaube nicht, dass alle Ärzte bleiben werden. Wer soll uns dann ausbilden?" Es gebe sowohl unter Dozenten als auch unter Ärzten einige Koryphäen wie etwa den Schlafforscher und Leibniz-Preisträger Jan Born. "Die werden doch woanders mit Kusshand genommen."
Schon die Pläne, das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein zu privatisieren, hätten Zweifel und Befürchtungen ausgelöst. Damit hätte man sich noch arrangieren können, sagt Himmelsbach. "Aber dass der Studiengang ganz wegfallen soll, ist einfach unfassbar."
Auch unter den Informatikstudenten herrsche Ratlosigkeit, sagt Lukas Ruge. Der 25-Jährige ist wegen des Schwerpunkts Medizinische Informatik nach Lübeck gekommen. "Wir haben viele gemeinsame Vorlesungen und Projektarbeiten, wie soll das jetzt weitergehen?" Die guten Professoren werden auch in der Informatik das Weite suchen, befürchtet er. Viele studieninteressierte Abiturienten haben ihn bereits gefragt, ob man sich überhaupt noch in Lübeck um einen Studienplatz bewerben sollte: "Was soll ich denen denn antworten?"
"Nach Kiel geht man nur, um zu demonstrieren"
Ruge zuckt hilflos mit den Schultern. Auch die, die schon mitten im Studium sind, seien "einfach nur fertig mit den Nerven", sagt er. Die Professoren seien "total geplättet". "Man merkt, dass sie Angst vor der Zukunft haben. Wieso hat niemand gefragt, wo und wie man einsparen kann? Wieso haben die uns einfach so überrumpelt?"
Man lasse sich nicht so einfach unterkriegen, sagt der 28 Jahre alte Informatikstudent Michael Drehfahl. Die Landesregierung könne sich auf einiges gefasst machen. Der Asta will Proteste organisieren, kündigt Studentenvertreterin Krause an. "Man hat so viel Wut in sich", sagt sie. Nur mit Argumenten könne man die Politiker von CDU und FDP überzeugen. Wichtig sei es, schnell zu handeln, bevor der Ruf der Uni leide, sagt Krause.
Und so werden unzählige Plakate gedruckt, Pressemitteilungen geschrieben, Flyer verteilt. Am 16. Juni ist ein Protestzug in der Landeshauptstadt geplant. Unterstützung bekommen die Studenten dabei vom Präsidium der Uni, von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Kirchen und der Stadt, die um den Medizintechnikstandort und zwei geplanten Fraunhofer-Institute fürchtet und mehrere tausend Arbeitsplätze bedroht sieht.
Und falls alle Proteste nichts bringen? An die Uni Kiel wechseln, um zu Ende zu studieren, würde sie jedenfalls nicht, sagt Medizinstudentin Himmelsbach. Und ihr Kommilitone Michael Drefahl, Student der Medizininformatik in Lübeck, ergänzt: "Nach Kiel geht man nur, um zu demonstrieren."