Morsch, porös, baufällig Deutschlands Unis sind nicht mehr ganz dicht

In Regensburg regnet's in den Hörsaal, in Bochum steckt Asbest in den Mauern, in Marburg plumpsen Fassadenteile auf den Campus: Vorsicht, Studenten, die deutschen Unis bröckeln. Mit Milliardenaufwand müssten marode Gebäude saniert oder gleich abgerissen werden.

"Im Kern verrottet" - mit diesen Worten umschrieb Dieter Simon, damals Vorsitzender des Wissenschaftsrates, Anfang der neunziger Jahre das Innenleben der in muffiger Routine erstarrten deutschen Universitäten; Peter Glotz machte später einen Buchtitel daraus. Beide ernteten zornigen Protest. Auf den baulichen Zustand vieler Hochschulen trifft Simons böses Verdikt allemal zu: Achtung Steinschlag - die Unis stehen vor dem schleichenden Zerfall. So leckt es in Regensburg bei Wolkenbrüchen durchs Hörsaaldach, die Ruhr-Universität Bochum hat teure Asbest-Probleme, und die Marburger Uni musste Studenten und Mitarbeiter vor "herabstürzenden Fassadenteilen" warnen.

Es geht an die Substanz: "Wir haben da einen Problemberg, den wir vor uns herschieben", sagt ein Vertreter des Bundesbildungsministeriums. Gerade die in den sechziger und siebziger Jahren übliche Bauweise bescherte den jüngeren Hochschulen bleibende Scherereien. Zur Zeit der Bildungsexpansion habe es einen regelrechten Bau-Boom gegeben. In kürzester Zeit seien die Stahl-Beton-Bauten hochgezogen worden, oftmals mit schlechten Materialien. "Nach 30 bis 40 Jahren kann man davon ausgehen, dass die Bausubstanz heruntergekommen ist", erklärt der Ministeriumsvertreter.

Dies betreffe vor allem Fassaden und Dächer, aber auch technische Einrichtungen wie Leitungen und Computer. Der Sanierungsbedarf sei erheblich. Eigentlich müsste jährlich rund ein Prozent der ursprünglichen Baukosten in die Erhaltung eines Gebäudes investiert werden, "in der Regel sind es nicht einmal 0,4 Prozent".

Für die Sanierungen sind die einzelnen Bundesländer verantwortlich. Noch bis zum Jahr 2013 gibt der Bund jährlich einen Zuschuss von insgesamt rund 95 Millionen Euro, der je nach Bedarf an die Länder verteilt wird. Nötig hätten es vor allem die Bundesländer, die in den sechziger Jahren massiv gebaut hätten, erklärt der Mitarbeiter des Bundesbildungsministeriums: "So hervorstechend wie in Nordrhein-Westfalen ist das nirgendwo."

"Dichte Hochschullandschaft, undichte Unidächer"

Es folgen Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Mehr als die Hälfte des Bundeszuschusses fließt einer Statistik zufolge in diese vier Bundesländer. Das Fazit des Ministeriumsvertreters ist eindeutig: "Die Hochschulgebäude werden am besten abgerissen und neu gebaut."

Nordrhein-Westfalen hat nach Auskunft des Wissenschaftsministeriums im letzten Jahr mehr als 270 Millionen Euro in Bau und Sanierung der Hochschulen investiert. Doch allein die Universität Bochum benötigt nach eigenen Angaben rund 80 Millionen Euro jährlich. Und Burkhard Rauhut, Rektor der RWTH Aachen, sagte einmal in einem Interview mit der "Zeit": "Nordrhein-Westfalen hat zwar die dichteste Hochschullandschaft, aber die undichtesten Unidächer."

Es habe eben der zum jeweiligen Bauzeitpunkt gültige Kenntnisstand der Technologie zugrunde gelegen, sagten André Zimmermann, Sprecher des Wissenschaftsministeriums in Düsseldorf. Die heutigen Schäden gingen beispielsweise zurück auf den Einsatz von Asbest und zu dünnen Betonteilen sowie "den Sicherheitsstandards nicht entsprechenden Brandschutz- und Arbeitsbedingungen".

Sein Kollege aus dem bayerischen Ministerium sieht dies ähnlich: "Man hat damals gedacht, es ist für die Ewigkeit gebaut", so Sprecher Markus Gnad. Nach seinen Schätzungen liegt der Sanierungsbedarf für die bayerischen Universitäten bei rund drei Milliarden Euro. Im Doppelhaushalt 2007/08 investiere das Land rund 390 Millionen Euro allein in Sanierungen und Modernisierungen. Die Universität Regensburg, gebaut in den sechziger Jahren, werde derzeit komplett generalsaniert.

Großbaustelle Uni: Steinerne Grüße aus dem achten Stock

In Hessen verabschiedete das Wissenschaftsministerium in diesem Jahr das Hochschulentwicklungs- und Umbauprogramm Heureka, mit dem bis zum Jahr 2020 insgesamt drei Milliarden Euro in die Hochschulen investiert werden sollen. 440 Millionen Euro davon gehen allein nach Marburg. In der traditionsreichen Universitätsstadt bröckeln unter anderem die Fassaden der Betontürme, in denen die Geisteswissenschaften untergebracht sind.

Die Gebäude aus dem Jahr 1967 sind mittlerweile umzäumt. Steinplatten hätten sich gelöst und seien vom achten Stock hinabgefallen, berichtet Uni-Sprecherin Viola Düwert. Dies sei eines der größten Sorgenkinder, noch vor den Gebäuden aus dem 18. Jahrhundert. Die Studienbedingungen seien stellenweise eine Zumutung, betont Düwert und spricht gleichzeitig ein weiteres Problem der Beton-Bauten an: "Energiepolitisch ist das eine Katastrophe. Die Kosten laufen uns davon." Darum sollen die Gebäude langfristig gesehen aufgegeben werden, ein komplett neuer Campus soll entstehen.

Heute rächen sich die baulichen Fehler der Vergangenheit - was die Planer einst für besonders pflegeleicht und wetterbeständig hielten, bereitet den Hochschulen heute massives Kopfzerbrechen. Doch es fehle an Geld, klagen die Wissenschaftsministerien. Das Problem der maroden Uni-Gebäude werde zudem von Debatten um Studiengebühren und Exzellenzinitiative verdrängt, kritisiert Stefan Grob, Sprecher des Deutschen Studentenwerks: "Weil niemand in der Hochschulpolitik darüber reden will."

Von Simon Kremer, AP

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