Nach dem Karlsruher Urteil
Länder planen Anti-Kopftuch-Gesetze
Nach der ersten allgemeinen Verunsicherung reagieren die Bundesländer prompt auf die Aufforderung des Verfassungsgerichts, ihre Gesetze präziser zu fassen. Quer durch die Republik wollen vor allem unionsregierte Länder Lehrerinnen mit Kopftüchern vom Unterricht ausschließen.
Die Reaktion Fereshta Ludins auf das von ihr erstrittene Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts war
symptomatisch für die allgemeine Verwirrung: Sie habe erst einmal ihren Anwalt fragen müssen, ob es positiv oder negativ für sie sei, sagte die muslimische Lehrerin nach dem Spruch am Mittwoch in Karlsruhe.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hatte auf ein "klares Wort" aus Karlsruhe gehofft. In der ersten Pressemitteilung nannte der ZMD das Urteil noch ein "Zeichen für Toleranz", zog sie aber dann zurück. Die Entscheidung mache "eine eingehendere Bewertung erforderlich", hieß es dann. Später sagte der
Vorsitzende Nadeem Elyas, der Richterspruch führe zu einer "Unsicherheitssituation für Muslime".
Auch die Länder wussten zunächst nicht recht, was sie vom Winkelzug des Bundesverfassunsgerichts halten sollen. Die Richter spielten den Ball an die Politik und die Landesparlamente zurück - die müssen nun entsprechende Gesetze erlassen, wenn sie Kopftücher bei Lehrerinnen nicht zulassen wollen. Wie diese Gesetze aussehen sollen, um möglicherweise später auch vor dem Bundesverfassungsgericht zu bestehen, blieb im Dunkeln. Klar ist nur: In Baden-Württemberg gibt es "keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage" für ein Kopftuchverbot. Es stehe aber dem Landesgesetzgeber "frei, die bislang fehlende
gesetzliche Grundlage zu schaffen" und mit einer "zumutbaren Regelung" das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu zu bestimmen, so die Karlruher Richter.
In ersten Stellungnahmen reagierten Vertreter der Landesregierungen irritiert, schwenken aber allmählich auf eine erkennbare gemeinsame Linie: gegen Kopftücher im Unterricht. So müsste nach dem aktuellen Stand in Baden-Württemberg das Bundesverwaltungsgericht, an das das Verfahren zurückverwiesen wurde, der Einstellungsklage stattgeben. Wird jedoch rasch ein Gesetz erlassen, sieht die Sache anders aus. Ob sie nun wie gefordert als Beamtin auf Probe eingestellt werde, "wird sich herausstellen", sagte Ludin. Sie werde "einfach abwarten".
Baden-Württembergs Kultusministerin Annette
Schavan (CDU) reagierte recht zurückhaltend. Sie will die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingehend prüfen. "Danach wird der Landtag
entscheiden, ob es in Baden-Württemberg zu einer solchen gesetzlichen
Regelung kommen wird", sagte Schavan. Der
Respekt vor dem Gesetzgeber verbiete es, "spontan Eindeutigkeiten" zu
formulieren. Die knappe Entscheidung des Senats zeige, dass es sich
um einen "hoch komplizierten Abwägungsprozess" handele.
Die CDU-geführte Landesregierung Hessens kündigte unterdessen
an, das Tragen von Kopftüchern im Unterricht per Gesetz zu
verbieten. Sie habe sich Rechtssicherheit
erhofft und sei "tief enttäuscht" über das Urteil, erklärte
Kultusministerin Karin Wolff. Die Duldung des Kopftuches sei für die Mehrheit der Zuwanderer ein "verheerendes Signal". Die Landesregierung werde schnellstens eine Gesetzinitiative starten und "das Problem umgehend lösen".
Erst Hü, dann Hott in Niedersachsen
In Niedersachsen hatte Georg Weßling, Sprecher des
Kultusministeriums, noch am Vormittag erklärt, das Land werde Lehrerinnen mit
Kopftuch im Schuldienst zulassen. Hannover erwarte nach
dem Karlsruher Urteil keine Welle von Lehrerinnen, die mit
Kopftuch unterrichten wollen. Es habe in den vergangenen zehn Jahren
nur vier Fälle gegeben, so Weßling.
Inzwischen hat Niedersachsens Kultusminister Bernd Busemann (CDU) allerdings eine "Präzisierung" der Gesetze angekündigt, um Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern zu verbieten. "Die staatliche Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität ist ein unverzichtbares Gut, das nicht relativiert werden darf", so Busemann am Mittwoch in Hannover.
Glasklar formulierten CSU-Politiker ihre Ablehnung von Kopftüchern: "Wenn eine Frau, die bei uns Lehrerin werden will, sagt, das Kopftuch sei ihr heilig, dann möchte ich einer solchen Lehrerin meine Kinder nicht anvertrauen", sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Und Kultusministerin Monina Hohlmeier woll eine "entsprechende landesrechtliche Regelung schaffen", sobald die vollständige Urteilbegründung vorliegt. "In jedem Fall wollen wir sicherstellen, dass das Unterrichten von Musliminnen mit Kopftuch an staatlichen Schulen untersagt ist", so Hohlmeier.
Auch die Berliner Schulbehörde drängt auf eine Gesetzintiative. Schulsenator Klaus Böger (SPD) nannte die Karlsruher Entscheidung "sehr weise". Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hält das Kopftuch als Ausdruck religiöser Unterdrückung muslimischer Frauen für "mit unserer Kultur nicht vereinbar".
Weniger ablehnend reagierte die nordrhein-westfälische Landesregierung, die weiterhin Einzelfallprüfung anstelle einer generellen Regelung will. "Allein das Tragen eines Kopftuches reicht nicht aus, um einer Lehrerin die Übernahme in den Schuldienst zu verweigern"; sagte Schulministerin Ute Schäfer (SPD). Es sei angemessen, die gesamte Einstellung und Haltung der Lehrerin zur Neutralitätspflicht in den Blick zu nehmen.
Besonders gelassen blieben Politiker in Schleswig-Holstein: "Im toleranten Schleswig-Holstein denken wir nicht daran, muslimischen Lehrerinnen das Kopftuchtragen im Unterricht zu verbieten", betonte Klaus-Peter Puls, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Und FDP-Schulpolitiker Ekkehard Klug sagte: "Kopftuch oder micht, entscheidend ist, dass unsere Kinder einen engagierten, guten Unterricht bekommen."
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