NRW-Wissenschaftsministerin "Wir schaffen das nicht alleine"

NRW-Wissenschaftsministerin Schulze (SPD): Freut sich über mehr Studienanfänger
Foto: Federico Gambarini/ picture alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: An den Fachhochschulen hat das Semester schon begonnen, an den Unis geht es in rund zwei Wochen los. Dass es voll wird in den Hörsälen, das wissen alle - aber wie voll wird es wirklich?
Schulze: Das wüsste ich auch gerne, verlässliche Zahlen werden wir aber erst in 14 Tagen haben. Klar ist aber schon jetzt: Die 92.000 Studienanfänger, die uns die Kultusministerkonferenz (KMK) für dieses Jahr in NRW prognostiziert hat, sind zu niedrig gegriffen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir über der Marke von 100.000 Erstsemestern liegen werden - und das nicht nur in diesem, sondern auch in den kommenden Jahren.
SPIEGEL ONLINE: Aber auf den Planungen der KMK baut doch die Bildungspolitik in weiten Teilen auf.
Schulze: Diese Zahlen sind Prognosen - nicht mehr und nicht weniger. Und dass wir jetzt und in den kommenden Jahren darüber liegen, ist ja grundsätzlich gut: Wir haben in vielen Bereichen Fachkräftemangel und brauchen akademisch ausgebildete Nachwuchskräfte. Das gilt nicht nur für den MINT-Bereich, also Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften, sondern zum Beispiel auch für die Gesundheitsberufe. Die Prognose darf nicht dazu führen, dass Fördergelder nur für eine zu niedrig angesetzte Schätzzahl fließen.
SPIEGEL ONLINE: Sind denn die Hochschulen in NRW auf diese dramatisch steigenden Zahlen vorbereitet?
Schulze: Unsere Hochschulen sind gut vorbereitet. Wir haben ein Monitoring-Verfahren mit den Hochschulen vereinbart, da sehen wir sehr genau: Was haben wir vereinbart? Wo entstehen neue Studienplätze? Wo brauchen wir zusätzliche Kapazitäten? Von Landesseite aus können wir sehr schnell reagieren. Ich glaube aber, dass wir noch einmal dringend mit dem Bund diskutieren müssen. Die Bundesregierung hat ja beim Hochschulpakt ihre Ausgaben gedeckelt nach dem Motto: Neue Studienplätze ja, nur bitte nicht allzu viele. Aber man kann die Finanzierung der zusätzlichen Studienplätze nicht nur den Ländern überlassen, das werden wir alleine nicht schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Mehr Geld vom Bund, und alles wäre gut?
Schulze: Nein. Wir müssen die ganze Finanzierung neu regeln. Bisher ist es so, dass die Bundesregierung sagt: Die Länder müssen die neuen Studienplätze vorfinanzieren, und wir, der Bund, geben unseren Teil in ein paar Jahren dazu. Das geht so nicht mehr. Die Hochschulen müssen die Sicherheit haben, dass sie für die Studienanfänger, die sie aufnehmen, auch das nötige Geld bekommen. Für den Landesanteil kann ich das fest zusagen - für den Bundesanteil kann ich nicht einstehen.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht eine naive Vorstellung, dass die Bundesregierung einfach in Vorleistung gehen soll?
Schulze: Was heißt hier Vorleistung? Die Kosten entstehen jetzt! Die Hochschulen müssen Räume bereithalten, Personal einstellen, und der Bund sagt: Wir zahlen erst 2018. Das ist eine sehr bequeme Haltung.
SPIEGEL ONLINE: Wie viel brauchen Sie genau?
Schulze: Ich kann leider nicht hellsehen, aber es ist auf jeden Fall mehr als das, was die Prognosen der KMK hergeben. Und wir müssen auch mehr bekommen als die 20.000 Euro, die wir bisher für einen normalen Studienplatz ansetzen. In den laborintensiven Fächern wie der Medizin kostet ein Studienplatz locker das Doppelte. Deshalb fordern wir als Land zusammen mit der SPD-Bundestagsfraktion einen neuen "Hochschulpakt-Plus", wo diese Faktoren berücksichtigt werden. Dazu kommt: Der Hochschulpakt bezieht sich bisher nur auf Bachelor-Plätze - er muss dringend auf den Master-Bereich ausgeweitet werden. 70 Prozent der Studierenden wollen nach dem BA weiter an der Hochschule bleiben. Die Master-Kapazität ist noch lange nicht so ausgebaut, wie das nötig wäre. Da muss sich der Bund beteiligen.
SPIEGEL ONLINE: Das ist doch ein wenig simpel, immer nur nach mehr Geld von der Bundesregierung zu rufen.
Schulze: Für den doppelten Abitur-Jahrgang geben wir nur für NRW 11,86 Milliarden Euro aus - und 10,58 Milliarden kommen vom Land. Da ist, um es ganz vorsichtig zu sagen, noch deutlich Luft für eine stärkere Beteiligung des Bundes.
SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie den nötigen politischen Druck aufbauen?
Schulze: Der Bund hat zugesagt, dass er sich am doppelten Abiturjahrgang und dem Aufwuchs der Studierenden beteiligt - das müssen wir jetzt einfordern! Zudem müssen wir dringend das Kooperationsverbot aufheben, das dem Bund Finanzhilfen in den Bereichen untersagt, für die allein die Länder zuständig sind - wie eben in Fragen der Bildung.
SPIEGEL ONLINE: Die anderen SPD-Länder ziehen also mit bei dieser Forderung?
Schulze: Ja. Die Unions-Länder sind im Moment noch ein wenig zurückhaltend. Aber auch die schauen ganz sicher mal in ihren Haushalt und werden dann feststellen: Ohne mehr Bundesgeld geht es nicht.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Hochschulen in NRW glauben nicht an mehr, sondern an weniger Geld - weil Sie Ihr Wahlversprechen umgesetzt und die Studiengebühren abgeschafft haben. Dafür haben Sie zwar Kompensation in Höhe von 249 Millionen Euro pro Jahr versprochen, aber bei steigenden Studentenzahlen ist das weniger, als die Studiengebühren gebracht hätten.
Schulze: Die 249 Millionen pro Jahr entsprechen dem letzten Stand, als es noch Gebühren gab. Dass wir diese Summe im Gesetz fixiert und garantiert haben, ist schon eine Besonderheit. Für die Hochschulen ist das die Sicherheit, dass sie keinesfalls weniger bekommen als bisher.
SPIEGEL ONLINE: Aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, das auch als Deckelung zu interpretieren. Mehr gibt es eben nicht. Letztlich machen Sie es genau wie der Bund beim Hochschulpakt.
Schulze: Wir deckeln die Ausgaben nicht, wir garantieren mindestens 249 Millionen pro Jahr. Außerdem haben wir den Hochschulen zugesagt, dass sie 4,5 Milliarden Euro als Grundbudget bekommen - plus mindestens 249 Millionen Euro zur Qualitätsverbesserung. Damit können die Hochschulen erstmals jedes Jahr fest rechnen. Es ist bemerkenswert, dass der Landeshaushalt insgesamt kleiner wird, der Bildungsanteil aber steigt. Daran könnten sich andere durchaus ein Beispiel nehmen.
Das Interview führten Andrea Brandt und Armin Himmelrath