Orchideenfach Namenforschung Sie darf Schokominza heißen!

Promi-Namen: Warum heißen die bloß so?
Gabriele Rodriguez sitzt in Haus 5, vierte Etage, Zimmer 5413 und wartet darauf, dass ihr Telefon klingelt. Ihre Vorwahl beginnt mit 0900, ein Anruf kostet 1,86 Euro pro Minute. Gesprächspartner interessieren sich immer nur für das eine: Onomastik.
Was sich für ungeübte Ohren nach unanständigen Leibesübungen anhört, ist in der philologischen Fakultät der altehrwürdigen Universität zu Leipzig seit neuestem gar ein Masterstudiengang. Namenforschung als Hauptfach - deutschlandweit einmalig. Als praxisnah wird das Orchideenfach gepriesen, Gabriele Rodriguez ist das beste Beispiel dafür. Wenn ihr Servicetelefon zur Namensberatung klingelt, dann geht es im Elfenbeinturm endlich mal um die wahren Probleme der Menschheit.
Da will der Vater wissen, ob die Tochter Borussia heißen kann (darf sie nicht), ob man einen Jungen auf den Namen Whisky, Joghurt oder Rumpelstilzchen taufen kann (eher nein) und wie es sich denn mit dem schönen Namen Crazy Horse verhalte (leider nicht gestattet).
Rodriguez nimmt jeden Anruf ernst. Kürzlich wollte ein Vater seine Tochter Kirsche nennen, jemand fragte nach Rapunzel, und die Beraterin machte eine Familie froh, weil sie versichern konnte, dass Schokominza inzwischen in Deutschland als Mädchenname durchgeht. Mama Kerstin und Papa Ron wurde auch geholfen: Der Sohn hört jetzt auf Keron.
1600 Anfragen pro Monat
Lustig, sicher. Aber muss man das studieren? Professor Peter Ernst ist davon überzeugt. Die Menschen hätten doch tagtäglich mit Namen zu tun. Es sei eine Spezialausbildung, die am Ende sogar zur politischen Beratung befähige. Ernst lehrt Deutsche Philologie an der Universität in Wien, seit Oktober ist er in Leipzig, um die ersten Masterstudenten zu betreuen, zunächst als Gastprofessor, bis im Sommer dann die Stelle endgültig besetzt wird. Zu Hause hat er so schöne Fächer wie "Das Wienerische" und "Sprachliche Höflichkeit" unterrichtet. In Leipzig gibt es Seminare zu "Personennamenforschung", "Gewässernamen", "Interdisziplinäre Namenforschung" und "Südslavische Lexikologie".
Die Namenforschung hat in Leipzig eine lange Tradition. Sie wird an der Uni seit den fünfziger Jahren betrieben, allerdings bis zur Wende als reine Forschungseinrichtung. Nach 1990 konnte Onomastik als Nebenfach belegt werden, vor allem Germanisten und Historiker schrieben sich ein. In Spitzenzeiten bis zu 270 Studenten.
Tobias Hecklau ist einer von ihnen. Der 27-Jährige mit Magisterabschluss jobbt jetzt in der Namenberatungsstelle. Sieben Absolventen schreiben dort Gutachten. Und tatsächlich, es stellt sich heraus, die Onomastiker sind gefragt: Menschen aus der ganzen Welt kontaktieren die Uni, um für 80 Euro die Bedeutung ihrer Namen klären zu lassen. Es gibt Wartezeiten von einem Jahr, 1600 Anfragen kommen pro Monat herein.
Hecklau landete bei den Namenforschern, als ein Kommilitone erzählte, dass man da schicke Stammbäume erstellen könne. Er trennte sich von Musikwissenschaft, studierte Namen, wollte seinen eigenen entschlüsseln. Und erfreute sich an der "familiären Atmosphäre", die hier herrschte. "Es gibt wenig Theorie, aber viel Praxis und Gruppenarbeit."
Crazy Horse kam nicht durch - aber Tashunka Witko, das geht
Einen Namen zu entschlüsseln ist vor allem Fleißarbeit. Die Experten erkennen in Datenbanken, wie sich der Name heute und in der Vergangenheit verbreitet hat. Ist die Region klar, dann kennen die Wissenschaftler auch den Dialekt. Anhand spezieller Lexika kann dann die Bedeutung gefunden werden.
Mitunter geht das ganz fix. Bei Merkel etwa. Das ist die Kurzform von Markwardt. Ein alter deutscher Rufname. Oder Westerwelle. Darin vermuten die Fachleute einen Orts- oder Flurnamen. Aus dem Mittelniederdeutschen übersetzt könnte es "westlich gelegene Quelle" bedeuten. Und Steinmeier? Stammt gar nicht aus so kleinen Verhältnissen. Meier waren Oberbauern, welche die Aufsicht über die Bewirtschaftung der Güter führten. Steinmeier bedeutet vermutlich "Verwalter des Steinhofs".
Ohne die Leipziger Onomastiker wäre dies der Welt womöglich entgangen. Deswegen nehmen sie dort auch nur die Besten: Wer sich einschreiben will, muss einen eigens konzipierten, 20-minütigen Eignungstest bestehen. Ist der zu schwierig? Und hat sich das herumgesprochen? Fürs jetzige Wintersemester jedenfalls hat sich nur ein Student eingeschrieben; Peter Ernst will aber nicht aufgeben und den Glanz des Fachs weiterhin in die Welt tragen.
Wie Gabriele Rodriguez im Zimmer nebenan. Sie konnte tatsächlich jene Familie glücklich machen, die ihren Sohn Crazy Horse nennen wollte. Weil das verrückte Pferd kaum durchsetzbar war in deutschen Standesämtern, hatte Rodriguez den rettenden Einfall: der indianische Originalname müsste doch gehen. Das Kind heißt nun Tashunka Witko. Es soll nach der Namensgebung mit seinen Eltern ausgewandert sein. Nach Kanada.