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Wende an den Unis: Kein Glück im Osten?

Foto: Robert Schlesinger/ dpa

Ost-Hochschulen nach der Wende Als die Humboldt-Uni für eine Mark verkauft werden sollte

Nach der deutschen Wiedervereinigung schossen die Ideen wild ins Kraut: die Berliner Humboldt-Uni verhökern? Ost-Akademie und westdeutsche Forscher gegeneinander antreten lassen? Am Ende wurden allerdings wenige DDR-Institutionen so schnell und lautlos umgekrempelt wie die Hochschulen.

Es war wohl um 1995, da hätte die Berliner Humboldt-Universität (HU), und mit ihr ganz Deutschland, einen richtig großen Schritt machen können - so zumindest sieht das Konrad Schily heute noch.

Damals, vor 15 Jahren, kam ein Grüppchen um den Gründer der Privatuniversität Witten-Herdecke auf eine wagemutige Idee: Warum nicht die Humboldt-Uni für einen symbolischen Betrag, sagen wir eine Deutsche Mark, an eine Stiftung verkaufen - und die renommierte, aber durch 40 Jahre DDR angeschlagene Hochschule so zu einer riesenhaften deutschen Privat-Uni machen?

Der Plan war es damals laut Schily, aus einer deutschen eine europäische Uni zu machen, im Verbund zum Beispiel mit der Sorbonne IV in Paris. Diese Vision schlugen er und seine Mitstreiter dem damaligen CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl vor, und der war von der großen europäischen Idee sehr angetan, erinnert sich der 72-Jährige im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

"Der Staat sollte sich aus der Uni raushalten", das war damals seine Idee, sagt Schily heute. Doch die HU-Aufkäufer mit ihrer aus heutiger Sicht skurril anmutenden Vision scheiterten - zunächst am Widerstand des damaligen HU-Präsidenten Hans Meyer und anschließend an der noch neuen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD).

"Wir bringen den Menschen unsere DM und unsere Forschungsstrukturen"

All das ist gerade ein gutes Jahrzehnt her, aber an der HU in Berlin erinnert man sich lieber nicht an die Episode um ihren möglichen Ausverkauf, die das Ende der staatlichen Universität hätte bedeuten können. Ein Verkauf sei nie diskutiert worden, heißt es aus der Pressestelle. Und nein, es sei leider auch keiner der damals eventuell Involvierten mehr zu sprechen, so die Sprecherin.

Absurd kam die Idee vielen auch damals schon vor, weil die Weichen die Hochschulen und Forschungsstätten im Osten bereits unmittelbar mit dem Einigungsvertrag von 1990 gestellt wurden. Detailliert wie für kaum ein anderes Politikfeld wurde gleich zu Anfang festgeschrieben, dass die Akademie der Wissenschaften der DDR aufzulösen sei - noch bevor der Wissenschaftsrat, das erinflussreiche Beratergremium, ein Votum dazu abgeben konnte.

"Wir bringen den Menschen in den neuen Bundesländern unsere DM und wir bringen ihnen auch unsere Forschungsstrukturen", rechtfertigte der damalige Forschungs-Staatssekretär Bernd Neumann den Schritt. Während der Großteil der DDR-Forschung nach sowjetischem Vorbild unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften zusammengefasst war, gab es im Westen mit der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verschiedene Forschungsorganisationen.

Im Westen war damals viel von einer zu starken "Versäulung" der Forschung die Rede, von zu viel Nebeneinander und zu wenig Kooperation. Doch der Gedanke einer möglichen Konkurrenz zwischen dem ostdeutschen Akademie-System und dem West-System wurde schnell verworfen. "Uns blieb einfach zu wenig Zeit für eine Debatte über grundlegende Neuordnung des gesamtdeutschen Wissenschaftssystems", erinnert sich heute ein früherer Mitarbeiter des Wissenschaftsrates, der nach der Wende die Ost-Institute auf ihre fachliche Eignung prüfte.

Viele Westler scheuten den Weg in die "Wüste Ost"

Und, ganz Besser-Wessi, trugen manche im Westen die Nase all zu hoch. In der Max-Planck-Gesellschaft fürchteten manche den "Gang in die Wüste Ost". Viele angebotene Ost-Institute und deren Mitarbeiter wollte man gar nicht haben. Als Auffangbecken wurden zunächst MPG-Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen sich viele Ost-Wissenschaftler über Jahre von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelten.

"Die damaligen Wissenschaftsruinen des Westens waren Vorbild und kostspieliges Modell für den Aufschwung im Osten", stellte Dieter Simon, frühere Vorsitzende des Wissenschaftsrates, fünf Jahre nach der Einheit bissig fest. Der Rechtswissenschaftler war 1990 beauftragt worden, die Ost-Forschung zu bewerten. Er sagte: "Der Westen hatte für die Neugestaltung kein Konzept. Und die im Osten das Sagen hatten, dachten an ihre eigene Jugend - in den zwanziger Jahren."

So erklärte sich auch die Wiederkehr alter, tot geglaubter Traditionen, wie professorale Aufmärsche im Talar und mit Amtsketten. Generell waren Unis und Schulen in der DDR eher Orte der Anpassung an das Regime als des Widerstandes dagegen - und "es waren nicht viele Professoren und Studenten, die seinerzeit 'Wir sind das Volk' skandierten", sagt Simon.

Viele Wissenschaftler aus dem Westen, die zuvor vergeblich an ihrer Karriere gebastelt hatten, erkannten nach der Wende ihre zweite Berufschance im Osten - und nutzten sie. Aber es kamen auch echte Pioniere. Schwierig war es, die alte regionale Konzentration der DDR-Forschung auf Berlin und Dresden aufzulockern. Vor allem Brandenburg drängte auf Neugründungen, doch neben Berlin hat Sachsen auch heute noch die meisten Wissenschafts-Standorte aufzuweisen.

Jeder Zweite verlor seine Stelle

Für Hochschul-Mitarbeiter war der Umbruch hart: Bis 1995 verloren im Osten mehr als die Hälfte der einstmals 218.000 Wissenschaftler und Fachkräfte in Hochschulen, Akademien und Forschung ihre Arbeit.

Doch vielen gelang er auch, der Übergang ins neue Wissenschaftssystem. Es gibt heute namhafte Institute, die nicht mehr fortzudenken sind. Ein besonderes Problem der Hochschulentwicklung im Osten ist vor allem der Geburtenknick nach der Wende und die Massenflucht der Jugend. Ohne Studenten-Importe aus dem Westen hätte an den Ost-Hochschulen bis heute so mancher Studiengang schließen müssen. Doch günstiger Wohnraum, weniger überfüllte Hörsäle und geringere Kosten dank der Studiengebührenfreiheit locken auch jugendliche Wessis nach Jena, Rostock, Magdeburg - und die neuen Länder überbieten sich mit Kampagnen, um den studentischen Zuzug aus dem Westen zu steigern.

Die Hochschulpakte und das Geld des Bundes sind obendrein für die nächsten paar Jahre ein Garant fürs Überleben. Und wenn ab 2015 demografiebedingt die Abiturientenzahlen sinken, sehen sich die 71 Ost-Hochschulen gut gerüstet für den bundesweiten Wettbewerb um junge Köpfe.

cht/ Karl-Heinz Reith, dpa
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