
Demokratie à la Duisburg: Die Wächter der Urne
Peinliche Uni-Wahl Wie geht noch mal Demokratie?
Die Studenten an der Universität Duisburg-Essen haben ein neues Studierendenparlament gewählt. Endlich. Die Wahl hätte schon im Sommer stattfinden sollen, doch es gab Streit um den Termin. Schließlich einigten sich die Studentenvertreter auf Ende November - und viele hofften, damit endlich einen Schlussstrich unter das letzte Wahldebakel vor eineinhalb Jahren ziehen zu können. Damals fehlte auf einigen hundert Stimmzetteln der offizielle UV-Stempel, das machte die Wahl ungültig.
Dieses Mal hätten sie jeden Zettel aufwendig mit einem Strichcode gekennzeichnet, sagt Wahlausschussleiter Daniel Starke, 27. Absolut fälschungssicher.
Wahlen zum Studierendenparlament (Stupa) nehmen Studenten oft nicht sehr ernst. An der Uni Essen-Duisburg aber sehnten zumindest viele Studentenvertreter eine reibungslose Wahl regelrecht herbei - doch daraus wurde wieder nichts.
Am letzten der fünf Wahltage schnappte sich Jan Bauer, 32, Pressereferent und stellvertretender Vorsitzender des Asta, eine der zehn Wahlurnen. Er brachte die graue Plastikkiste in ein Büro auf dem Campus, schloss sie ein und stellte vier Wachleute vor die Tür. Unkonventionelle Umstände erforderten unkonventionelle Maßnahmen, sagt Bauer.
Was treibt ein Asta-Mitglied dazu, derart massiv in einen Wahlvorgang einzugreifen? Es sieht so aus, als stünde dahinter eine jahrelange Fehde zwischen Asta und der Opposition im Stupa, die nun in der Wahlposse gipfelte. Im Raum steht dabei auch der Vorwurf, den ein anonymer Schreiber unter dem Pseudonym "Sumpfgeist" Mitte des Jahres lanciert hatte: Er warf mehreren ehemaligen und aktiven Asta-Referenten, darunter Urnen-Konfiszierer Bauer, vor, mit gefälschten Rechnungen einen mindestens fünfstelligen Betrag entwendet zu haben. Belege blieb der Sumpfgeist schuldig, die Staatsanwaltschaft Essen prüft die Anschuldigung.
Heftige Vorwürfen vom anonymen "Sumpfgeist"
Bei der verunglückten Wahl Ende November ging es zumindest vordergründig um Formalitäten. Der Wahlausschuss hatte die Frist für das Einreichen der Wahlvorschläge wegen eines Feiertags um einen Tag verlängert - widerrechtlich, monierte der Asta und wandte sich an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, um die Rechtmäßigkeit der Wahl prüfen zu lassen.
Am zweiten Wahltag gab das Gericht bekannt: Die Handhabung der Frist sei zwar fehlerhaft gewesen, doch dieser Umstand genüge nicht, um eine einstweilige Anordnung zu rechtfertigen, die der Asta gefordert hatte. Und weiter: "Eine Untersagung der Wahl würde einen endgültigen Zustand schaffen, mit dem die Hauptsacheentscheidung vorweg genommen würde." Heißt eigentlich: Die Wahl soll erst einmal weiterlaufen. Erst danach soll der Wahlprüfungsausschuss des Stupa klären, ob die Abstimmung gültig war.
Der Asta aber verstand den Richterspruch anders und forderte vom Wahlausschuss, die schon laufende Abstimmung abzubrechen. Doch der Wahlausschuss dachte nicht daran. Bauer sagt, die Asta-Führung sei sich sicher gewesen, die Wahl stoppen zu dürfen. Also schritt Bauer zur Tat: Er baute die Tonerkartuschen aus Kopierern aus, auf denen die Wahlhelfer neue Stimmzettel druckten.
Server und Schlüssel gesperrt, Kopierer lahmgelegt
"Sabotage" nennt das Felix Hesse, 28, von der oppositionellen Juso-Hochschulgruppe. Dann streikte auch noch der Server mit der Liste der registrierten Wähler, gesperrt vom Asta, sagt Hesse. Wenig später habe sein elektronischer Schlüssel nicht mehr funktioniert, und der des Wahlausschussleiters auch nicht. Jan Bauer habe sie bei der Technik als verloren gemeldet und sperren lassen.
Bauer, der für die Liste Unabhängiger Studierender im Stupa sitzt, räumt die Vorwürfe Hesses ein, Schlüsselsperrung inklusive - und rechtfertigt sie. Er habe nur die Anweisungen des Asta-Vorsitzenden befolgt. Die Urne habe er "nicht geklaut, sondern sichergestellt" und das sei ihm auch nicht leichtgefallen: "Was glauben Sie, wie einem Demokraten da das Herz blutet?"
An der Stelle wurde es der Hochschulleitung offenbar zu bunt, jemand aus der Verwaltung rief die Polizei zu Hilfe. Unter den Augen der Polizisten einigte man sich darauf, dass der Anwalt des Asta die Urne sicher verwahren solle - und dort steht sie wohl noch immer. Über den genauen Ort schweigen sich Bauer und der Asta-Anwalt aus.
In der Hochschulleitung schüttelt man den Kopf über die Verbissenheit des Streits - und weiß sich bislang keinen Rat. "Der Öffentlichkeit lässt sich kaum noch vermitteln, weshalb es den demokratisch gewählten Interessenvertretern nicht mehr gelingt, konstruktiv an hochschulpolitischen Lösungen zu arbeiten", sagt Kanzler Rainer Ambrosy.
Uneinsichtige Wächter der Urne
Anfang der Woche war es wieder am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, sich zu der Chaos-Wahl zu äußern - und den Streithähnen einen Vorschlag zu unterbreiten. Der Rechtsstreit könnte enden, wenn der Asta die Urne "umgehend" an den Wahlausschuss aushändigt. Die Kiste zu entfernen und zu verstecken, erscheine hingegen "materiell-rechtlich rechtswidrig".
Wahlausschussleiter Starke gefiel die Anregung des Gerichts - Asta-Vize Bauer dagegen bleibt unversöhnlich: Der Vorschlag werde der Position des Asta nicht gerecht. "Wir beraten uns, wie wir weiter vorgehen."
Sollte der Wahlausschuss die Urne wiederbekommen und die Stimmen auszählen können, muss der Wahlprüfungsausschuss über die Gültigkeit der Wahl entscheiden - und der müsste erst vom Stupa gebildet werden. Gut möglich, dass die alte Fehde zwischen Asta und Opposition dann dort weitertobt.
Daniel Lucas von der LinkenListe.SDS und Hesse von den Jusos vermuten, dass der Asta die Auszählung der Stimmen um jeden Preis verhindern will, damit kein neuer Asta korrupte Machenschaften der alten Studentenvertretung aufdecken kann. Wahrscheinlich klammerten sich die Referenten deshalb so an ihre Stühle. Kein neues Studierendenparlament hieße auch kein neuer Asta, sagt Hesse.
"Das weisen wir von uns", sagt Asta-Sprecher Bauer und meint auch die anonymen Korruptionsvorwürfe, die das Klima an der Uni seit Sommer weiter vergiftet haben. Unabhängige Wirtschaftsprüfer hätten keine Hinweise auf Betrug im Haushalt des Asta gefunden.
Die Opposition hält dagegen: Die Gutachter hätten zwar die Finanzen des Asta, nicht aber die der "AStA Service Duisburg Essen GmbH" durchleuchtet, die ein Kulturcafé für den Asta betreibt und die laut Juso-Parlamentarier Hesse wohl in den Betrug verwickelt sein soll. Bauer gibt sich genervt von Wahl-Heckmeck und Korruptionsvorwürfen und sagt, er habe "gar keinen Bock mehr auf Asta-Arbeit" und die damit verbundenen Anfeindungen. "Ich will da schnellstmöglich raus."
Solange der Anwalt des Asta allerdings weiter die Urne hütet, wird Bauers Wunsch nach einem schnellen Ende kaum in Erfüllung gehen.