Plagiat 2.0 Was taugen die Anti-Abschreiber-Programme?

Wenn sie Studenten und Wissenschaftler beim Trendsport copy+paste beobachtet, wird Debora Weber-Wulff wütend. Die Berliner Professorin jagt Plagiatoren und hat 14 gängige Programme gegen sie getestet - mit Ergebnissen von mäßig bis miserabel.

Geschummelt wurde in der Wissenschaft schon immer - man hat nette Redewendungen übernommen, gute Ideen geklaut, aus Büchern oder Forschungsanträgen oder obskuren Zeitschriften abgeschrieben; es wurden Daten frisiert und Mitarbeiter erfunden. Jetzt ist das Internet allgegenwärtig und das Abschreiben ganz simpel. Zeitraubende Recherche und sorgfältiges Formulieren von Aufsätzen sind lästig - Copy, Shake, Paste, fertig ist der "Re-mix".

Seit meiner ersten wissenschaftlichen Untersuchung zum Plagiat sowie der Online-Publikation der Lerneinheit "Fremde Federn finden" 2004 werde ich häufig gefragt: Hat die Zahl der an Schulen und Hochschulen eingereichten Plagiate zugenommen, seit es das Internet gibt? Leider kann ich da keine Auskunft geben - so eine Kenngröße entzieht sich jeder präzisen Messung. Denn man kann nur messen, was man findet. Das allerdings ist schon erheblich und bedarf unserer Aufmerksamkeit als Lehrkräfte.

Mit Hilfe von Suchmaschinen kann man recht einfach einem Verdacht nachgehen. Erstaunlicherweise reichen schon drei bis fünf gut gewählte Substantive, um Quellen zu finden. Aber bei der Menge an Aufsätzen, die an Schulen und Hochschulen anfallen, scheint es eine unmögliche Aufgabe zu sein, alle Aufsätze im Internet zu checken. An den Hochschulen gibt es immer noch Platz für noch eine Person, bis sich 200 Leute in einem Hauptseminar drängeln - da sind die Lehrenden schnell überfordert.

In 32 Stunden kein einziges Plagiat erkannt

Man wünscht sich etwas Einfaches: Die Studenten reichen ihre Arbeiten über einen Dienst ein, der sie dann samt Plagiatsprotokoll mit Signalfarben und Prozentangaben an die Lehrkraft weiterreicht - man überlässt also die Plagiatserkennung einem Software-System.

Funktioniert das tatsächlich? Inzwischen gibt es viele Systeme, die durchaus populär sind und für beträchtliche Lizenzgebühren an Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen verkauft werden. Man liest zwar Jubelworte einzelner Hochschulen, weil sie meinen, seit Einsatz einer Plagiatserkennungssoftware gehe die Zahl der Plagiate stark zurück. Was sie aber übersehen: Nur die Zahl der gefundenen Plagiate sinkt - die im Dunkeln sieht man nicht. Und die Mehrzahl wird von der Software nicht erkannt.

Wir haben an der FHTW Berlin von April bis September 2007 einen Test mit präparierten Texten durchgeführt. 20 Aufsätze zu allerlei Themen haben wir erstellt, manche sind Originalwerke, viele sind Plagiate von unterschiedlichen Quellen mit unterschiedlichen Abschreibarten. Das Ergebnis war ernüchternd: Wie schon 2004 kann man genauso gut eine Münze werfen, um zu entscheiden, ob ein Werk plagiiert ist oder nicht. Die meisten Systeme haben nur um die 30 von maximal 60 Punkten im Test erreichen können, und das oft bei einer sehr umständlichen Handhabung. Das schlechteste Programm erkannte kein einziges Plagiat - und brauchte dafür 32 Stunden (das komplette Testergebnis gibt es hier ).

Ohnedies ist das Auffinden eines Plagiats nur der erste Schritt. Was machen wir dann? Gibt es jetzt einen teaching moment, eine Gelegenheit, dem Plagiator eine Lektion in gutem wissenschaftlichem Schreiben zu erteilen? Setzt es die Note 5,0 und noch mal antreten? Fliegt man gar von der Hochschule?

Darüber haben sich bisher nur wenige Hochschulen Gedanken gemacht. In der Regel bleibt die Lehrkraft allein auf breiter Flur. Sie muss sich als Polizist, Staatsanwalt und Richter mit der Ermittlung, Anklage und Bestrafung herumschlagen. Vereinzelt haben die Hochschulen nun einen Passus in ihre Ordnungen hinzugenommen, der Plagiate als Täuschung definiert und als Höchststrafe die Exmatrikulation androht.

Auch Wissenschaftler kupfern hemmungslos ab

Wie sieht es aber auf der anderen Seite aus? Wer gutes wissenschaftliches Schreiben lehren will, muss es selbst auch können. Es gibt leider Kollegen und Kolleginnen, die damit durchaus ihre Probleme haben:

  • Da werden Dissertationen wortwörtlich aus Abschlussarbeiten erstellt
  • Publikationen eines Betreuers entstehen ohne Namensnennung aus der Promotion des Doktoranden
  • Forschungsanträge werden von Kollegen ohne Rücksprache entnommen
  • Man bringt ein Fachbuch heraus und bedient sich dabei wörtlich bei anderen Autoren
  • Aufsätze von unbekannten Kollegen werden der Internetpräsenz einer unbekannten Zeitschrift entnommen und unter eigenem Namen bei einer anderen unbekannten Zeitschrift untergebracht

Für unsauberes Arbeiten haben Wissenschaftler stets ihre Gründe - man braucht ja Quantität für den Lebenslauf und die Publikationsliste oder die Zielvereinbarungen oder die "leistungsbezogene" Bezahlung.

Hier ist nicht nur in Deutschland ein Morast an kleineren und größeren Betrügereien zu finden. Die Hochschulen bekleckern sich nicht mit Ruhm bei der Aufklärung: Monate, Jahre dauert es, bis Ermittlungen aufgenommen werden, wenn überhaupt jemand den Mut hat, ein kristallklares Plagiat anzuzeigen.

Viele Betroffene fangen gar nicht erst an - sie haben Angst, Unschuldige mit hineinzuziehen, selbst Schaden zu nehmen oder einfach abgebügelt zu werden. Man hält zueinander. Auch in der Wissenschaft gilt: Eine Krähe pickt der anderen kein Auge aus.

Software-Einsatz löst das Problem nicht

Seit 2002 bekomme ich viele Zuschriften von Leuten, die Plagiatsprobleme haben. Erschreckend sind nicht nur die vielen Fälle, sondern auch die Reaktionen auf die Vorwürfe. So ist mir eine Hochschule in Nordrhein-Westfalen bekannt, die in zwei verschiedenen Fakultäten Doktortitel verliehen hat an Personen, die von bei ihnen entstandenen Abschlussarbeiten wortwörtlich abgekupfert haben. Die Folgen: Einmal wurde eine Rüge erteilt, die in der in der Promotionsordnung gar nicht vorgesehen ist. Und einmal wird immer noch überlegt, was man so machen kann - seit zwei Jahren.

Das halte ich für einen Skandal. Deutschland muss sich eine Kultur des korrekten Zitierens wieder angewöhnen. Es ist keine Schande, die Werke anderer zu nutzen. Aber man muss angeben, woher man die Gedanken hat, nach bestem Wissen und Gewissen. Wir Lehrenden müssen erst mal vorleben, was gute Wissenschaft ist. Bei der Lehre müssen wir das Wort "Betreuung" ernst nehmen und tatsächlich Zeit investieren, um mit jungen Leuten über ihre Arbeiten zu reden, um ihnen zu zeigen, wie man schreibt.

Und wir müssen natürlich auch immer wieder kontrollieren, ob die Ergebnisse in Ordnung sind. Stichprobenartig sollten wir nachschauen, ob vielleicht eine nicht-genannte Quelle im Internet schlummert. Dazu reicht aber eine Suchmaschine, das Geld für Software-Systeme kann man sich unserer Meinung nach sparen.

Dass Studenten und Wissenschaftler abschreiben, ist ein ernstes Problem für die Hochschulen. Mit Software ist es nicht zu lösen.

Autorin Debora Weber-Wulff, geboren 1957 in den USA, ist Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit E-Learning und Plagiatsfragen und testete die Anti-Plagiat-Software zusammen mit ihrem Mitarbeiter Martin Pomerenke. Weber-Wulff schrieb schon vor fünf Jahren auf SPIEGEL ONLINE eine vierteilige Serie über den großen Online-Schwindel: "Alles nur geklaut?"

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