VroniPlag-Rechercheur über Schavan "Sie hat es sich zu bequem gemacht"

Die anonyme Plagiatsjagd lebt: Der Sprachwissenschaftler KayH untersuchte zu Jahresbeginn die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Im Interview erzählt er, wie viele unsaubere Stellen er und seine Mitstreiter fanden - und warum Schavan zunächst dem Pranger entging.

SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie und andere Plagiatsjäger die Dissertation "Person und Gewissen" der Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) ins Visier genommen?

KayH: Der Verdacht kam im Dezember auf, da wurde die erste problematische Stelle dokumentiert. Seitdem sind auf VroniPlag Wiki immer mehr Fundstellen zusammengetragen worden.

SPIEGEL ONLINE: Wie überprüft man eine Doktorarbeit von 1980 – einer Zeit, in der die Bücher nur gedruckt und nicht digitalisiert veröffentlicht wurden?

KayH: Das ist sehr aufwendig. Alle Bücher, die Frau Schavan im Literaturverzeichnis aufgeführt hat, mussten digitalisiert werden, sofern sie nicht schon bei Google Books verfügbar waren. Dazu weitere Werke, die thematisch passen und aus denen sich Frau Schavan bedient haben könnte. Dann wurde verglichen.

SPIEGEL ONLINE: Mit welchem Ergebnis?

KayH: Auf knapp über zehn Prozent der Seiten finden sich Stellen, die wir als Plagiate einstufen.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem wurden die Vorwürfe auf VroniPlag Wiki nicht veröffentlicht. Warum?

KayH: Wir haben sehr lange diskutiert und die Abstimmung mehrmals verschoben. Am Ende war es eine knappe Entscheidung mit nur einer Stimme Mehrheit dagegen. Zehn Prozent ist die Grenze, ab der wir unsere Funde normalerweise veröffentlichen; Frau Schavan liegt nur ganz knapp darüber. Und inhaltlich sind die Plagiate meiner Meinung nach eindeutig, aber lange nicht so schwerwiegend wie in anderen Fällen: Frau Schavan hat nicht ordentlich zitiert, aber auch nicht seitenweise abgeschrieben.

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Schavan im Prüfungsstress: "Mit Anonymität kann ich nicht umgehen"

Foto: Soeren Stache/ dpa

SPIEGEL ONLINE: Und wenn das nicht alles war und jetzt noch mehr herauskommt?

KayH: Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die meisten problematischen Stellen dokumentiert wurden. Auch das sprach nach Meinung vieler gegen eine Veröffentlichung, auch wenn weitere Funde nicht auszuschließen sind.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt, als sei Schavan nur Schlamperei vorzuwerfen.

KayH: Nein, das ist mir zu wenig. Sie hat es sich zu bequem gemacht, indem sie fremde Formulierungen nicht immer als solche gekennzeichnet hat. Und zudem hat sie in mehreren Fällen wohl nicht den Originaltext gelesen oder ihn jedenfalls nicht zitiert, sondern sich aus der Sekundärliteratur bedient, ohne dies deutlich zu machen. Das ist unsauber, aber – auch wenn das kein Maßstab ist – eben nicht so eklatant wie bei Guttenberg oder der Stoiber-Tochter Veronica Saß...

SPIEGEL ONLINE: ...nach der Ihre Internet-Seite benannt ist. Die Vorwürfe gegen Schavan sind nun aber gar nicht dort, sondern auf einer anderen Seite im Internet veröffentlicht. Sind Sie überrascht, dass sich ein Mitstreiter von VroniPlag Wiki über das Abstimmungsergebnis hinweggesetzt hat?

KayH: Hinweggesetzt? Er hat das Abstimmungsergebnis in jeder Hinsicht respektiert. Vor der Abstimmung war klar, dass der Fall dann wahrscheinlich an anderer Stelle dokumentiert wird. Die Abstimmung betraf nur die Entscheidung, ob es auf VroniPlag Wiki dargestellt werden soll, nicht die Frage, ob wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt oder es überhaupt publiziert werden soll. Der Vorschlag, es an anderer Stelle gesondert zu dokumentieren, stand während der Diskussion stets im Raum.

SPIEGEL ONLINE: Schavan hat den Plagiatsvorwurf zurückgewiesen und die Uni Düsseldorf, an der sie promoviert hat, gebeten, die Dissertation zu prüfen. Zugleich wirft sie dem Enthüller vor, sich in der Anonymität zu verstecken.

KayH: Das ist im Jahr 2012 ein absurder Vorwurf. Sie sollte lieber die dokumentierten Schwächen ihrer Dissertation erklären.

SPIEGEL ONLINE: Nachdem VroniPlag Wiki im vergangenen Jahr ständig in den Schlagzeilen war, schienen die Aktivitäten zuletzt fast zum Erliegen gekommen zu sein. Wie viele Mitstreiter sind noch dabei?

KayH: Unsere Gruppe ist fluider Natur, aber die Aktivität ist ungebrochen. Allein die Aufmerksamkeit der Medien ist geringer geworden – vermutlich, weil wir zuletzt seltener die Arbeiten von Politikern untersucht haben. Stattdessen sind vermehrt Wissenschaftler in den Fokus getreten, gerade haben wir einen dänischen Professor entlarvt. Ich persönlich fände es auch gut, wenn wir eine Stichprobe von Dissertationen unbekannter Autoren untersuchen könnten, um die Frage zu klären: Wie verbreitet sind eigentlich Plagiate in Dissertationen? Aber eine solche Studie wäre natürlich sehr viel Arbeit.

SPIEGEL ONLINE: In der vergangenen Woche hat ein weiterer Politiker, der CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, seinen Doktorgrad verloren. Werden Sie auch die Arbeit von Florian Graf, die bisher gesperrt war, untersuchen?

KayH: Das kann ich mir gut vorstellen, weil die Erklärungen von Herrn Graf sehr unglaubwürdig wirken. In jedem Fall ist es ein schönes Beispiel dafür, dass VroniPlag Wiki einiges bewegt hat. Ich glaube nicht, dass ohne die Diskussionen des letzten Jahres die Uni Potsdam, an der Herr Graf promoviert wurde, so schnell reagiert und nachgeforscht hätte. Und vermutlich hätte auch Herr Graf noch länger gezögert, seinen Doktorgrad "zurückgeben" zu wollen.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eigentlich nichts Besseres zu tun, als anderen Leuten Fehler nachzuweisen?

KayH: Das fragt mich ernsthaft ein SPIEGEL-Redakteur?

Das Interview führte Markus Verbeet
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