Plagiate an der Uni Schamlose Generation Internet

Sebastian Sattler glaubt nicht mehr an das Gute im Studenten: Für seine Abschlussarbeit fragte er Kommilitonen, ob sie für Hausarbeiten unerlaubt fremde Texte kopieren würden. 90 Prozent sagten Ja. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt er, wieso daran auch die Schule schuld sei.

SPIEGEL ONLINE: Sind Studenten eine ehrlose Bande?

Sebastian Sattler: Das kann man so nicht sagen. Gerade die eigene Moral hält sie davon ab, ein Plagiat anzufertigen. Leute, die angeben, Scham- und Peinlichkeitsgefühle zu haben, tun es eigentlich seltener.

SPIEGEL ONLINE: Besonders groß kann das Schamgefühl kaum sein. Immerhin haben fast alle der von Ihnen befragten Studenten gestanden, sie hätten kein Problem damit, sich bei einer Hausarbeit mit fremden Federn zu schmücken.

Sattler: Auf der einen Seite ist es für viele sehr unangenehm, ihre Moral zu verletzen. Vier von zehn Befragten halten es für wahrscheinlich, dass sie sich schämen, falls sie ertappt werden. Allerdings heißt Plagiatbereitschaft ja nicht, dass man gleich die ganze Arbeit klauen würde. Außerdem liegen Bereitschaft und tatsächliche Ausführung ein Stück auseinander. Viele der 226 Leute, die ich befragt habe, haben noch gar keine Hausarbeit im Studium geschrieben. Von denen kann man nicht sagen, ob sie letzten Endes auch tatsächlich plagiieren.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben für Ihre Studie nur Soziologiestudenten befragt. Sind in anderen Fachbereichen ähnliche Ergebnisse denkbar?

Sattler: In Deutschland gibt es fast keine Befunde. Aber aus anderen Ländern weiß man, dass Plagiate nicht nur ein Problem der Geisteswissenschaften sind. Allerdings werden natürlich nicht in allen Fachbereichen Hausarbeiten geschrieben. Im naturwissenschaftlichen Bereich müssen zum Beispiel oft Protokolle von Laborexperimenten geschrieben werden. Da ist es vielleicht schwieriger, fremde Texte aus dem Internet zu kopieren. Aus Erzählungen weiß ich aber, dass das Protokoll vom Nachbarn durchaus eine wichtige Denk- und Arbeitsvorlage darstellen kann. Außerdem besteht hier die Gefahr der Datenfälschung und -manipulation.

SPIEGEL ONLINE: Die Hälfte aller von Ihnen Befragten gaben an, schon für Arbeiten in der Schule munter drauflos kopiert zu haben. Haben die Lehrer der Generation Internet versagt?

Sattler: Ja, und zwar beim Vermitteln von Kenntnissen zum wissenschaftlichen Arbeiten. Leute, denen diese Fähigkeit fehlt, sind viel eher bereit, unerlaubt abzuschreiben. Solche Fähigkeiten sollten meiner Meinung nach nicht erst im Studium gelehrt werden, sondern auch in der Schule. Und dort ist das Thema bisher nicht ernst genug genommen worden.

SPIEGEL ONLINE: Kümmern sich die Schulen mittlerweile genug?

Sattler: Das kann ich nicht sagen. Ich habe mich nicht mit Lehrern unterhalten. Es gibt dazu auch keine größeren Studien.

SPIEGEL ONLINE: Und wie sieht es an den Unis aus?

Sattler: Auch hier fehlen systematische Untersuchungen. Meistens hört man immer nur von Einzelfällen. Doch viele Universitäten setzen mittlerweile Software zur Erkennung von Plagiaten ein. Und weil immer mehr Texte im Internet zu finden sind, haben diese Programme mehr Quellen, auf die sie zurückgreifen können, wenn sie nach Originalen für kopierte Hausarbeiten suchen. Plagiatoren werden es also zunehmend schwerer haben, wenn sie aus dem Internet abschreiben.

SPIEGEL ONLINE: Wird sich das Problem irgendwann von selbst lösen?

Sattler: Ich denke nicht. Denn viele Texte bleiben unzugänglich für die Software. Man denke nur an die elektronischen Zeitschriftendatenbanken, die für die wissenschaftliche Arbeit sehr wichtig sind. Diese sind meist kommerziell, und der Volltext ist für die großen Suchmaschinen nicht zu erreichen. Für die Plagiat-Programme ist es schwierig, in den Datenbanken nach Vorlagen für Kopien zu suchen. Außerdem können Studierende ganz einfach Texte aus anderen Sprachen übersetzen - jeder fünfte ist bereit, dies zu tun. Dann ist die Suchsoftware vollends machtlos. Auch den Austausch von Arbeiten unter den Studierenden, der sehr beliebt zu sein scheint, kann man nur schwer unterbinden.

Das Interview führte Christoph Seidler

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