Plagiatsvorwurf gegen Gaddafi-Sohn Dr. Strange und die 350.000-Euro-Spende

Saif al-Islam al-Gaddafi: Der Tyrannensohn muss womöglich seinen Doktortitel abgeben
Foto: MAHMUD TURKIA/ AFPMan mag es kaum glauben, so zynisch klingt es: Der Mann, der dem libyschen Volk kürzlich drohte, es würden "Flüsse voller Blut fließen", wenn die Proteste gegen Diktator Muammar al-Gaddafi nicht aufhörten, hat einen Masterabschluss in "Philosophie, Politik und soziale Werte" - erworben an der angesehenen London School of Economics (LSE).
Tyrannensohn Saif al-Islam al-Gaddafi, 38, der einen Kampf "bis zur letzten Kugel" gegen die Regimegegner ankündigte, war von 2003 bis 2008 an der Elite-Uni eingeschrieben und verfasste dort auch eine Doktorarbeit. Thema: die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung internationaler Organisationen. In der Einleitung heißt es, die Arbeit solle analysieren, wie gerechtere und demokratischere globale Regierungsinstitutionen geschaffen werden könnten.
Doch den Doktortitel, erworben 2008, wird Gaddafi junior womöglich bald wieder abgeben müssen. Die LSE kündigte an, die Dissertation in einer internen Untersuchung zu überprüfen, nachdem Plagiatsvorwürfe laut geworden waren. Sie kursieren im Internet, aber es habe auch direkte Beschuldigungen gegenüber der LSE gegeben, bestätigt die Uni SPIEGEL ONLINE.
Gaddafi, der stille, introvertierte Diktatorensohn
In den Hörsälen der LSE war Gaddafi junior ein eher unauffälliger Student: Still, introvertiert, dabei aber stets freundlich und zuvorkommend, beschreibt sein ehemaliger Mitstudent Michael Buehler, 34, heute Politikdozent an der Northern Illinois University, den Sohn des libyschen Diktators. Zwei Semester saß Buehler mit ihm in Politikseminaren an der Londoner Elite-Uni.
Allerdings hinterließ der Sohn des libyschen Revolutionsführers bei seinen Kommilitonen den Eindruck, nicht allen akademischen Diskussionen gewachsen zu sein. "Auch als besonders prodemokratisch habe ich ihn nicht erlebt", sagt Buehler. Wenn es um sein Heimatland ging, habe sich Saif al-Islam al-Gaddafi eingemischt und die Diktatur seines Vaters gegen Kritik seiner Mitstudenten verteidigt: Libyen sei eine Stammesgesellschaft, dort müsse Demokratie "anders umgesetzt" werden. Anders umgesetzt? Seit Donnerstag ermittelt der Internationale Strafgerichtshof gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi und seine Angehörigen. Der Vorwurf: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, weil das libysche Militär auf obersten Befehl auf die eigene Bevölkerung schoss.
Die Uni versichert unterdessen, die Plagiatsvorwürfe aufklären zu wollen. "Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst", sagt eine Sprecherin der LSE. Wie lange das dauern werde, sei nicht abzusehen. Nach LSE-Standards müsste der Gaddafi-Sohn in den Prozess eingebunden werden und selbst zu den Vorwürfen Stellung nehmen.
Saif al-Islam al-Gaddafi, der zweitälteste Sohn des libyschen Despoten, hatte es als Einziger der berüchtigten Gaddafi-Sippe zu einem gewissen Ansehen im Westen gebracht. Er gilt als gebildet und kultiviert und wurde immer wieder als möglicher Nachfolger seines Vaters gehandelt. Vor seinem Studium an der LSE hatte er bereits einen Abschluss in Architektur an der Al-Fateh-Universität in Tripolis gemacht. An der österreichischen Privathochschule IMADEC University besuchte er einen MBA-Kurs. Er engagiert sich in Hilfsprojekten und tritt auf Kunstausstellungen genauso in Erscheinung wie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Vorwürfe von GaddafiPlag: Abgeschrieben aus dem Ökonomie-Wörterbuch
Saif al-Islam al-Gaddafi trat im Gegensatz zu seinem Vater Muammar selten in landestypischer Kleidung oder gar Phantasiekostümierung auf und widersprach dem Diktator sogar öffentlich. Bis zu seinen martialischen Drohungen im libyschen Staatsfernsehen hatten viele junge Libyer ihre Hoffnungen daher auf Saif al-Islam al-Gaddafi als künftigen liberalen Reformer gesetzt.
Auf einer Website ähnlich dem GuttenPlag-Wiki haben Internetnutzer bereits abgeschriebene Stellen und fehlende Fußnoten in der 429 Seiten starken Gaddafi-Dissertation gesammelt. Bisher haben sie 18 verdächtige Passagen entdeckt. Er soll laut den Online-Aktivisten unter anderem Absätze aus einem Ökonomie-Wörterbuch und von der Website der Welthandelsorganisation kopiert haben.
Schon nach der Abgabe seiner Doktorarbeit hatte es Gerüchte gegeben, dass er Unterstützung von einem Ghostwriter bekommen hatte, sagte LSE-Professor David Held der britischen Tageszeitung "The Independent". Substantielle Belege fanden sich jedoch nicht.
Held, einer der Leiter des LSE-Instituts für Global Governance, an dem Gaddafi studierte, erinnert sich an ihn als einen "nicht sehr guten Studenten", der sich aber verbessert habe. Als die Gerüchte aufkamen, habe er sich direkt an Gaddafis Betreuer Meghnad Desai gewandt.
Desai nimmt Gaddafi gegen den Plagiatsvorwurf in Schutz. "Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er es nicht selbst gemacht hat", sagte der Ökonom Desai der BBC. Saif al-Islam habe seine Arbeit "sehr, sehr gründlich verteidigt". Er sei allerdings enttäuscht, dass sein Student an der LSE nicht mehr über Demokratie gelernt habe.
Universität "beschämt" über die Spende aus der Gaddafi-Stiftung
Mittwoch vergangener Woche hatten LSE-Studenten das Rektorat gestürmt und gefordert, die Uni solle Gaddafi den Titel aberkennen - und obendrein das Geld an das libysche Volk zurückzahlen, das der Diktatorensohn über eine von ihm geführte Stiftung, die Gaddafi International Charity and Development Foundation, der LSE gespendet hatte.
Kurz nach seiner umstrittenen Promotion hatte Saif al-Islam al-Gaddafi seiner Alma Mater 1,5 Millionen Pfund für ein Forschungsprogramm zu Nordafrika versprochen - umgerechnet etwa 1,8 Millionen Euro. 300.000 Pfund (etwa 350.000 Euro) davon hat die LSE bereits erhalten. Die Hälfte der Summe war bereits ausgegeben, als die Uni das Programm am 21. Februar nach dem brutalen Vorgehen des Gaddafi-Regimes gegen Demonstranten einstellte. Gleichzeitig erklärte die LSE, die restlichen 1,2 Millionen Pfund nicht mehr anzunehmen.
Am Dienstagabend teilte die Uni mit, dass für 300.000 Pfund, entsprechend der Höhe der Gaddafi-Mittel, Stipendien für Studenten aus Nordafrika finanziert würden. Das bereits ausgegebene Geld von der Gaddafi-Stiftung solle dafür aus LSE-Mitteln ersetzt werden.
Bereits am Montagabend sagte der Rektor der Elite-Universität, Howard Davies, gegenüber der BBC, er sei heute "beschämt" über die Verbindungen zwischen seiner Uni und dem libyschen Regime. In der Spitze der LSE sei damals "ausgiebig" darüber diskutiert worden, ob man die Spende des Gaddafi-Sohns akzeptieren könne. "Mit dem Wissen darüber, wie er sich in dieser Krise verhalten hat, können wir sagen, dass wir uns wohl anders entschieden hätten."