Tod eines Banken-Praktikanten "Wir müssen die Studenten vor sich selbst schützen"

Londoner Bankenviertel: Leidenschaft, Verantwortung, Leistung
Foto: CorbisMoritz Erhardt wollte in der Finanzindustrie Karriere machen und tat offenbar alles dafür. Er ergatterte einen der begehrten Praktikumsplätze bei einer Londoner Großbank. Dort habe sich der ehrgeizige Überflieger richtig in die Arbeit gekniet, härter geschuftet als andere, 15 Stunden am Tag und mehr, so erzählten es Mitpraktikanten und Menschen, die ihn kannten.
Vergangene Woche wurde der 21-Jährige tot in seiner Londoner Unterkunft aufgefunden. Noch immer ist die Ursache ungeklärt. Wegen Moritz' Ehrgeiz wird nun spekuliert, er habe seine Leistungsgrenzen überschritten und sei an Überarbeitung gestorben. Wieder andere führen an, Moritz sei nicht gesund gewesen und habe an Epilepsie gelitten.
Unbestritten ist: Erhardt war Wirtschaftsstudent der Otto Beisheim School of Management (WHU) in Vallendar bei Koblenz. Die private Wirtschaftshochschule gilt als Kaderschmiede, die ihren Studenten viel abverlangt und junge Leute anzieht, die möglichst schnell bis ganz nach oben kommen wollen. Im Interview erklärt Rektor Michael Frenkel das System WHU.
SPIEGEL ONLINE: Herr Professor Frenkel, wie haben Sie von dem Tod Ihres Studenten Moritz Erhardt erfahren?
Frenkel: Ich bekam eine E-Mail von jemandem, der Moritz kannte. Ich war zutiefst erschrocken. Im Moment weiß allerdings noch niemand, was die Todesursache war. Das Ergebnis der Autopsie liegt wohl noch nicht vor. Es hält sich hartnäckig die Einschätzung, dass Moritz sehr viel arbeitete, und dass das in Teilen zu seinem Tod beigetragen haben soll. Das sind aber Informationen, die ich nicht verifizieren kann.
SPIEGEL ONLINE: Was für ein Student war Moritz?
Frenkel: Er wurde zum Sprecher seines Jahrgangs gewählt und war mit den anderen Studentensprechern regelmäßig bei mir. Ich habe ihn als ambitionierten jungen Mann kennengelernt, hatte aber nicht den Eindruck, dass er übertrieben ehrgeizig beziehungsweise von falschem Ehrgeiz getrieben war.
SPIEGEL ONLINE: Die Grundsätze ihrer Hochschule lauten Leidenschaft, Verantwortung, Leistung. Lassen sich soziale Verantwortung und das Leistungsprinzip miteinander vereinbaren?
Frenkel: Wir richten an der WHU seit einigen Jahren den Fokus stärker auf Persönlichkeitsentwicklung und die Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Das begann bereits vor der Finanzkrise. Es gibt eine Vorlesung über "Life Management", die eine Art Selbstreflexion über die eigenen Ziele zum Inhalt hat und in der auch diskutiert wird, wie man die Folgen von Stress rechtzeitig erkennt. Wenn die eigene Gesundheit gefährdet ist, ist jeder Ehrgeiz falsch. Diese Vorlesung wird von ungefähr 70 Prozent der Studierenden belegt. Außerdem umfasst bereits das Curriculum des Bachelor-Studiums einen Kurs zur Wirtschaftsethik und einen Kurs zur Frage, wie gehe ich als Führungskraft mit Mitarbeitern um. Wir bieten ferner ein Coaching durch speziell dafür ausgebildete Alumni an, in dem man sich mit erfahrenen Absolventen mit Belastung im Studium oder im Praktikum auseinandersetzen kann. Außerdem haben wir eine vertrauliche psychologische Beratung zusammen mit der Caritas außerhalb des Campus entwickelt, die auch einige wenige Studierende in Anspruch nehmen.
SPIEGEL ONLINE: An der WHU studieren Alphatypen. Kennen die immer ihre eigenen Grenzen?
Frenkel: Es stimmt schon, viele beginnen ihr Studium hier mit großem Elan und sehen nicht sofort, wann die Belastungsgrenze erreicht ist. Deshalb versuchen wir ab dem ersten Semester deutlich zu machen, dass Stress kein Zustand ist, mit dem man permanent leben kann. Man muss aber erwähnen, dass wir es mit erwachsenen Menschen zu tun haben. Unser Einfluss ist beschränkt. Insgesamt habe ich aber festgestellt, dass die sogenannte Generation Y auch andere Prioritäten setzt. Sie interessieren sich brennend dafür, was Unternehmen für Familien und für die Work-Life-Balance tun.
SPIEGEL ONLINE: Etliche Ihrer Studenten sind erst 21, wenn sie bei einer Bank im Ausland ein Praktikum machen, manche verdienen über 3000 Euro im Monat und jonglieren mit sehr viel Geld. Ist das nicht zu viel Druck in diesem Alter?
Frenkel: Zu den Gehältern kann ich wenig sagen, weiß aber, dass sie von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sind. Für die Studierenden steht im Vordergrund, dass diese Unternehmen spannend sind, und sie dort interessante Möglichkeiten vorfinden. Man darf auch nicht unterschätzen, wie viele unserer Bachelor-Studenten schon vorher in der Welt herumkommen - für die ist es ein großer Reiz, in London oder New York zu arbeiten. Wir versuchen, sie gut darauf vorzubereiten. Aber die Frage kann immer gestellt werden, ob man hier noch mehr tun kann. Natürlich müssen diese jungen Leute geschützt werden, manchmal auch vor sich selbst.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Anfang der siebziger Jahre eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht. Wird vom Nachwuchs heute mehr verlangt?
Frenkel: Ich habe das Gefühl, dass der Druck gewachsen ist, aber kein struktureller Unterschied zu damals besteht. Bei einer Investmentbank ist die Belastung natürlich besonders intensiv. Noch mal: Auch dort muss es Grenzen geben, die von uns, von den Studierenden und den Arbeitgebern rechtzeitig erkannt werden müssen.
SPIEGEL ONLINE: Wie schildern Ihre Studenten die Praktika bei den Banken?
Frenkel: Sie müssen bei uns Praktikumsberichte abgeben, in denen sie über Arbeitsinhalte, aber auch über Arbeitsbedingungen schreiben können. Alle berichten fast ausnahmslos, dass die Tätigkeit dort spannend ist. Sie erzählen natürlich, dass hart gearbeitet wird. Ich rede viel mit Studierenden, auch solchen, die in Unternehmensberatungen waren, wo ebenfalls niemand gelangweilt herumsitzt. Ich habe allerdings noch nicht davon gehört, dass jemand nächtelang am Stück durcharbeitet und dass die Gesundheit darunter leidet.
SPIEGEL ONLINE: Achten Unternehmen genügend auf die Leistungsgrenzen von Praktikanten?
Frenkel: Ich hoffe es, kann das aber natürlich nicht in jedem Einzelfall überprüfen. Wir reden aber hierüber mit Unternehmen, denn wir wollen niemanden in Firmen schicken, die gesundheitliche Grenzen missachten. Wie gesagt: Den Praktikumsberichten nach zu urteilen müssen wir uns keine riesigen Sorgen machen. Gelegentlichen Stress gibt es immer.
SPIEGEL ONLINE: Aber gerade in amerikanischen und englischen Banken ist die Belastung enorm. Als Praktikant hat man acht oder zehn Wochen Zeit, sich zu beweisen und sich gegen andere Bewerber durchzusetzen.
Frenkel: Ein Praktikum ist wie eine Probezeit, jeder gibt sein Bestes, wenn er den Job will. Ich wäre aber vorsichtig, das als geballte Belastung zu sehen. Die Zeit ist überschaubar, die Studierenden sind meist in einer Abteilung und können sich auf ein einziges Thema konzentrieren. Außerdem ist das Interesse ja nicht einseitig. Ich rede mit Managern und Abteilungsleitern, die ein großes Interesse daran haben, ihr Unternehmen einem unserer Praktikanten schmackhaft zu machen. Unsere Studenten sind begehrt. Und gerade seit der Finanzkrise haben viele Investmentbanken Probleme, gute Leute für sich zu gewinnen.
SPIEGEL ONLINE: Diskutieren Sie mit Ihren Studenten über den Fall Moritz Erhardt?
Frenkel: Im Moment sind Semesterferien, in zwei Wochen gibt es für die Erstsemester eine Einführungsveranstaltung. Ich bin sicher, dass das dort ein Thema sein wird. Es wäre fahrlässig, das nicht anzusprechen. Noch einmal: Wir wissen immer noch nicht, weshalb Moritz gestorben ist. Wir werden aber stärker über die Belastungen in Praktika reden müssen. Wir werden auch mit den Unternehmen diskutieren, die an der WHU rekrutieren. Ich sehe uns da in der Verantwortung.
Das Interview führt Christoph Scheuermann. Er ist SPIEGEL-Korrespondent in London.