Religionsstreit in Europa Das Kreuz mit Kruzifix und Kopftuch
Baden-Württemberg wird als erstes deutsches Bundesland Fakten schaffen, der Entwurf von Kultusministerin Annette Schavan (CDU) zum Kopftuchverbot an Schulen geht am 11. November zur Abstimmung in den Landtag. Schavan, bekennende und praktizierende Katholikin, steuert dabei einen schwierigen Kurs: Lehrerinnen dürfen keine Kopftücher tragen, für christliche und jüdische Symbole hingegen soll es Ausnahmen geben.
Ein Blick in andere Staaten zeigt, dass die muslimische Kopfbedeckung mittlerweile zu einem europäischen Zankapfel geworden ist. Unmissverständlich halten Länder wie die Türkei oder Frankreich an einer strikten Trennung von Staat und Religion fest und haben trotz massiven Widerstands ein Kopftuchverbot rigoros durchgesetzt. Ein aktuelles Kruzifix-Urteil sorgt zudem in Italien für Aufregung.
Frankreich: Kinder der Republik
Schon seit Jahren erregt in Frankreich der Streit um das muslimische Kopftuch an den Schulen die Gemüter, allerdings mit einem anderen gesellschaftlichen Hintergrund als in Deutschland. Frankreichs Selbstverständnis als republikanischer und laizistischer Staat, der zwischen Staat und Religion klar trennt, hat zum Beispiel dazu geführt, dass an Schulen kein Religionsunterricht erteilt wird. Religiöse Erziehung wird staatlich nicht unterstützt, und es ist Lehrerinnen wie Schülerinnen untersagt, deutliche Symbole eines religiösen Bekenntnisses zu tragen.
Obwohl Frankreich zentralistisch regiert wird, gibt es in der Kopftuch-Frage keine einheitlichen Regelungen. Vor drei Jahren hatte der Staatsrat zwar entschieden, dass Lehrkörper religiöse Symbole nicht zur Schau tragen dürfen. Für Schüler stufte er allerdings die Meinungsfreiheit höher ein: Kopftuch oder Kreuz könnten nicht verboten werden, solange ihre Träger niemanden bekehren oder provozieren wollten.
In der Praxis führt diese unpräzise Regelung seitdem zu Insellösungen, die nicht selten die Öffentlichkeit polarisieren. Jüngster Fall ist der Schulverweis eines 16- und 18-jährigen Schwesternpaares aus Paris, das sich weigerte, im Unterricht ihre Kopftücher abzunehmen. Auch eine zwölfjährige Schülerin aus dem Elsass darf aus dem gleichen Grund nicht mehr am Unterricht teilnehmen. Schuldirektoren begründen die Rausschmisse mit dem Argument, die Schule sei ein Ort der Integration und nicht der Ausgrenzung.
Französische Politiker aller Parteien sind gespalten, ob das Kopftuchtragen gesetzlich verboten werden soll. Die Regierung des konservativen Premiers Jean-Pierre Raffarin kündigte erst einmal eine Grundsatzdebatte an; Innenminister Nicolas Sarkozy will einen parteiübergreifenden Kompromiss, ohne jedoch ein neues Gesetz verabschieden zu müssen. "In einer Schule ist man nicht muslimisch, jüdisch, katholisch oder protestantisch, sondern ein Kind der Republik", sagt Raffarin.
Türkei: Williges Volk, schwacher Staat
Zum 80. Mal jährte sich an diesem Mittwoch in der Türkei die Ausrufung der Republik durch Kemal Atatürk. Überschattet wird das Jubiläum von einem symbolischem Stück Stoff, das im Mittelpunkt des Ringens zwischen Tradition und Moderne steht. Für einen Eklat in Sachen Kopftuch sorgte unlängst Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer. Seine Einladungsschreiben zu den Festlichkeiten machten unmissverständlich klar, dass Ehefrauen von Abgeordneten und Ministern, die ein Kopftuch tragen, außen vor bleiben müssten.
Laizismus pur kennzeichnet die Türkei im Kopftuchstreit. Die Trennung von Staat und Religion gestattet in dem zu 99 Prozent muslimischen Land selbst für die Tochter des Regierungschefs keine Ausnahme. Esra Erdogan, 19-jährige Tochter des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, gilt als hochbegabt und studiert in Amerika. In ihrer türkischen Heimat darf sie wegen ihres Kopftuchs keine Universität betreten, in Bildungseinrichtungen sind Kopfbedeckungen tabu. Zwei Drittel aller Türkinnen tragen ein Kopftuch, was im Alltagsleben auch keine Probleme macht.
An den Hochschulen greifen Studentinnen bisweilen zu Tricks, setzen sich zum Beispiel andere Kopfbedeckungen auf oder tragen Perücken. Proteste von ausgesperrten türkischen Studentinnen gehen mittlerweile vor den Europäischen Menschengerichtshof. Pikant ist, dass hier ausgerechnet die Ehefrau des Außenministers Adbullah Gül eine Beschwerde gegen das eigene Land führt, weil sie trotz erfolgreicher Aufnahmeprüfung nicht studieren darf.
Die Kopftuch-Regelungen sind nicht aus einem demokratischen Willenbildungsprozess hervorgegangen, sondern vom einflussreichen türkischen Militär festgelegt worden. Dreimal in der 80-jährigen Geschichte der Republik hat die türkische Armee bereits geputscht, um das politische Erbe Kemal Atatürks zu schützen. Eine Aufhebung des Kopftuchverbots, deren Umsetzung die türkische Regierung prinzipiell befürwortet, würden die Generäle kaum dulden.
Italien: "Wann werden die Kirchen abgebaut?"
Ausgerechnet das sturzkatholische Italien: Als ausgemachter Skandal gilt der aktuelle Gerichtsbeschluss eines Richters in Abruzzen, der Kreuze aus den Klassenräumen verbannt hat. Die vom Kruzifix symbolisierten christlichen Werte seien nicht mehr das kulturelle Erbe aller Bürger, und der einheitliche christliche Glaube existiere schon lange nicht mehr, hieß es in der Urteilsbegründung.
In einem Land, in dem neun von zehn Bürgern katholisch sind und das zudem den Vatikan beheimatet, hat sich die Provinzposse in Windeseile zum Staatsakt hochgeschaukelt.
Nicht nur der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, Camillo Ruini, ist schockiert. Es gehe um die Seele des Landes, sagt Ruini, der wie Politiker aller Parteien die Traditionen und kulturellen Werte Italiens auf dem Spiel stehen sieht. Und Ravennas Kardinal Ersilio Tonini fragt polemisch, ob als nächstes in Italien die Kirchen abgebaut würden. Auch Vertretern der etwa 700.000 Muslime im Land macht das Urteil Sorgen. Sie befürchten negative Folgen für den Dialog der Religionen.
Hintergrund für den Richterspruch war die Klage eines Muslims im 700-Seelen-Ort Ofena, der nicht länger mit ansehen wollte, dass sein Sohn in der Grundschule unter einem Kruzifix Lesen und Schreiben lernen muss. Ob das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig bleibt, ist fraglich. Italiens Justizminister Roberto Castelli (Lega Nord) hat bereits Inspekteure seines Ministeriums in Stellung gebracht, die untersuchen sollen, ob gesetzlich geltende Vorschriften missachtet worden seien.
Castelli schielt dabei auf das Konkordat von 1923, in dem sich die faschistische Regierung Mussolinis gegenüber dem Vatikan verpflichtet hatte, in allen Schulen und Gerichtsgebäuden Kruzifixe aufzuhängen. Nicht zum ersten Mal sehen Kritiker in der Einmischung der Regierung in die Rechtsprechung eine Gefahr für die Gewaltenteilung.