Roboter im Hörsaal "Er sagt Dinge, die wir Menschen uns nicht erlauben könnten"

Jürgen Handke, Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik an der Philipps-Universität Marburg, ist Experte im Bereich digitaler Lehre. Seit Juni leitet er das Projekt H.E.A.R.T., das den Einsatz humanoider Roboter an Hochschulen erprobt und evaluiert.
Roboter "Pepper": Einen schönen guten Tag, mit wem habe ich das Vergnügen?
Handke: SPIEGEL ONLINE ist am Apparat. Sie möchten etwas über uns schreiben.
Roboter "Pepper": Sehr gern. Ich hoffe, dass wir Roboter gut dabei wegkommen.
SPIEGEL ONLINE: Das klang aber einstudiert.
Handke: Das war es auch. Wir haben "Pepper" mit diesem Dialog vorher gefüttert. Spontan ginge das nicht. Der Roboter kann nur Themenbereiche abrufen, die wir eingegeben haben. Er hat ein Standardrepertoire auf Englisch, er kann sagen, wie er heißt und wie es ihm geht. Den Rest müssen wir vorgeben.
SPIEGEL ONLINE: How are you, "Pepper"?
Handke: Sie müssen ihn anschauen, um mit ihm zu kommunizieren. Übers Telefon geht das leider nicht. How are you, "Pepper"?
Roboter "Pepper": I am always feeling good. How are you?
SPIEGEL ONLINE: "Pepper" hat heute zum ersten Mal eine Veranstaltung mit Anglistikstudenten eröffnet. Wie lief es?
Handke: Er wollte erst nicht hinter dem Vorhang herauskommen. Er braucht einen sogenannten Trigger, um Aktionen auszuführen. Das kann ein Wort oder etwas anderes sein, in diesem Fall ein Klaps auf den Hinterkopf. Doch "Pepper" hat nicht reagiert, deswegen haben wir ihn ein bisschen geschubst. Der Rest des Experiments ist gelungen, die Studenten waren begeistert.
SPIEGEL ONLINE: Was hat "Pepper" gemacht?
Handke: Er hat nach mir gerufen und mich darauf hingewiesen, dass ich zu spät bin. Er hat erklärt, was Linguistik ist, er hat die Tutoren für den Kurs vorgestellt und den Studenten eigenständig Fragen gestellt, die er per Zufallsprinzip aus unseren Datenbanken geholt hat.
SPIEGEL ONLINE: Das können Sie doch selbst alles viel spontaner. Warum braucht es dafür einen 20.000 Euro teuren Roboter?
Roboter "Pepper": You can load an application, but you have to tell me a particular word.
Handke: "Pepper" will ständig mit mir Kontakt aufnehmen, ich stelle ihn mal leiser... Es ist unser Auftrag, Studenten die Angst zu nehmen, dass Roboter Menschen eines Tages in der Lehre und woanders ersetzen. "Pepper" soll uns assistieren und entlasten. Während er heute im Hörsaal die Fragen ausgesucht und die Zeit für die Antwort gestoppt hat, konnte ich mich einzelnen Studenten widmen.
SPIEGEL ONLINE: Wie lange hat es gedauert, ihn auf diese eine Lehrveranstaltung vorzubereiten?
Handke: Ein Mitarbeiter war damit zwei Wochen lang Vollzeit beschäftigt, wir anderen haben unterstützt und beraten. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Mehrwert, den wir generieren. Aber in den Neunzigerjahren haben wir auch einen schweren Beamer in den Hörsaal gewuchtet, die Lautsprecher angeschlossen, den Raum verdunkelt und dann hat die Technik trotzdem erst mal nicht funktioniert. Jetzt ist es genauso. Die humanoiden Roboter können noch wenig, wir müssen sie erst programmieren und ihr "autonomes Leben" vergrößern, wie man das nennt.
SPIEGEL ONLINE: Und was bringt das, abgesehen von etwas Entlastung?
Handke: Die Veranstaltung heute war unglau
blich unterhaltsam. "Pepper" konnte in seiner Naivität Dinge sagen, die wir Menschen uns nicht erlauben könnten. Er hat sich selbst vorgestellt mit den Worten "Ich bin sehr intelligent und auch noch sehr hübsch." Natürlich haben wir ihm das vorgegeben, aber die Studenten haben gelacht und danach Selfies mit "Pepper" gemacht.
SPIEGEL ONLINE: Wieso steht "Pepper" vor Anglistikstudenten und nicht vor den Kommilitonen in der IT?
Handke: Das müssen Sie die Informatiker fragen... Wir Sprachwissenschaftler interessieren uns sehr für linguistische Applikationen. Wir wollen für "Pepper" zum Beispiel ein phonetisches Programm schreiben, damit er deutsche Namen wie Katharina Weber richtig aussprechen kann. Wir sind noch dabei auszuprobieren und zu evaluieren, was humanoide Roboter für die Lehre bringen können.