Rockende Professoren Born to be Wiwi

Jackett aus, Lederjacke an, E-Gitarre eingestöpselt. Fertig ist der rockende und punkende Wirtschaftswissenschaftler. Dürfen Professoren ab und zu ein bisschen wild sein - oder wirken sie dann gleich wie Oskar Lafontaine einst in der Juso-Disco?
Von Joachim Hentschel

Auf Dauer muss das wahnsinnig deprimierend sein, selbst für die uneitelsten Vertreter des akademischen Standes: Wenn irgendwo in der Populärkultur überhaupt Wissenschaftler auftauchen - dann sind es immer Albert Einstein und Stephen Hawking. Einstein mit seiner Bäh-Zunge, den eine kitschige Airbrush-Poster-Illustrationen sogar beim Rendezvous mit Marilyn Monroe zeigt. Hawking, der als Freak verehrt wird, in Cartoonserien auftreten darf und es mit seiner Roboterstimme auf verschiedene Rockplatten geschafft hat.

Die zwei coolsten Eierköpfe der Welt, die den Erfolg bei jungen Leuten vor allem ihrem Aussehen verdanken. Hat irgendeiner der vielen, vielen Posterkäufer die Relativitätstheorie verstanden?

Auch wenn sie es nicht zugeben, wahrscheinlich träumen Professoren manchmal davon, so prominent zu sein. Ein bisschen zumindest. Denn wer jeden Tag ein so gewaltiges Publikum vor sich hat, das sich auf Hörsaalstufen drängt wie Teenager bei der Tokio-Hotel-Autogrammstunde - der fände es doch auch schön, wenn die Zuhörer ihn nicht bloß als Lehrkörper sehen würden, sondern auch als kleinen Star.

It's The Economix, stupid!

Professor Karl-Hans Hartwig, 59, Verkehrswissenschaftler an der Uni Münster, hat sich vielleicht ein bisschen so gefühlt, als er im vergangenen Dezember in Münster als DJ bei der "Night of the Profs" auftrat. Und als er kürzlich wieder in der Kakaobunker-Mensa stand und zur schnarrenden E-Gitarre "Basket Case" sang, einen Song der amerikanischen Punkgruppe Green Day. Die eigene Band im Rücken, Professor Schwanitz von den Technischen Betriebswirtschaftlern am wuselnden Bass, der Wirtschaftsinformatiker Winkelmann am Keyboard. Nur der Schlagzeuger ist "Zivilist" bei Hartwigs Dozentenband The Economix, die beim JuWi-Fest, der Studentenparty der Münsteraner Uni, wieder eine der Premium-Attraktionen war.

Professor Dr. Franz Penzenstadler, Romanist in Tübingen, spielt mit Fakultätskollegen sardischen Rock. Der Wittener Marketing-Professor Dr. Franz Liebl ist dafür berüchtigt, in seiner Freizeit als PunkDiscjockey zu arbeiten; Dr. Wolfgang Ülzmann, Informatik-Prof aus Wedel, schreibt auf seiner Homepage über die Liebe zum amerikanischen Bluesrock. So furchtbar überraschend ist das ja gar nicht - wenn Bäcker, Automechaniker und US-Präsidenten den Rock’n’Roll lieben und spielen, warum sollten es die Chefs von Uni-Seminaren nicht auch tun?

Stimmt. Und trotzdem sträubt sich da beim ersten Gedanken etwas. Wenn Professoren rocken: Das fühlt sich an wie die berühmte Szene, als Oskar Lafontaine beim Parteitag mit den Jusos Disco tanzte. Oder, nun ja, wie wenn Rocker Quantenphysik unterrichten würden. Die Wissenschaft, die Musik - beide könnten hier Schaden nehmen, den man ebenso schlecht zurücknehmen kann wie eine im Schnapsrausch erworbene Tätowierung.

Was ist so eigenartig an rockenden Profs?

Um der Sache näherzukommen, müssen wir erst einkreisen, was so eigenartig ist an gitarrespielenden Wirtschaftswissenschaftlern. Dass Professoren überhaupt Musik machen - das ist es nicht, denn hinter einer Kirchenorgel kann man sich jeden Ordinarius gut vorstellen. Dass Männer im etwas reiferen Alter Rock spielen - auch das kann es nicht sein, denn das machen diesen Sommer in allen großen Fußballstadien die Rolling Stones, Genesis und The Police genauso. Nur die spät Aufgestandenen klammern sich noch an den Gemeinplatz, dass Rockmusik etwas mit Rebellion und Jugend zu tun haben müsse. Dafür hat sie spätestens seit den Siebzigern ein viel zu großes Bürgerpublikum.

Andersrum gefragt: Wie hält es denn der Rock'n'Roll mit der Uni? Zappenduster wird's da. Die Blaupause kam 1958 mit dem berühmten Song "Wonderful World" des Soulsängers Sam Cooke: Eine Aufzählung von wissenschaftlichen Disziplinen quittiert der Ich-Erzähler hier mit dem Kommentar, dass er zwar keine davon kapiere, sich der Liebe zu seinem Mädchen allerdings sicher sei. Das Herz und der Impuls werden über den Intellekt gestellt, demonstrativ.

Heute, wo es in Amerika sogar eine Musikrichtung namens College-Rock gibt, ist die Intellektuellenfeindlichkeit in der breiten Musikszene nicht mehr so groß. Dass die zwei Disziplinen nicht zusammenpassen, hat einen viel banaleren, technischen Grund: Wissenschaft und Rock'n'Roll müssen beide, wenn sie funktionieren sollen, mit absoluter Hingabe gepflegt werden. Kein Mensch könnte beides machen. Und ein Nebenbei - wie bei der gern als Hobbyblüte gezüchteten Malerei - gibt es weder mit der Gitarre noch mit den Büchern.

Verpasste Karriere als Rock‘n‘Roll-Gitarrist

Chris Martin, Sänger der englischen Band Coldplay, hat sein Geschichtsstudium zwar abgeschlossen, aber wohl nur, weil er den Plattenvertrag erst am Tag vor dem Examen unterschrieb. Rivers Cuomo hatte sich mit seiner Gruppe Weezer eben eine Platinplatte verdient, als ihm einfiel, dass er sein Harvard-Studium beenden wollte - woraufhin er sich für zwei Jahre von den entgeisterten Mitmusikern verabschiedete. David Lovering, Schlagzeuger der Pixies, konnte die Früchte des Ingenieurstudiums auch erst nach der Trennung der Band ernten.

Weil man ein Herz nicht zerreißen kann, hatte auch der Economix-Bandleader Hartwig eine bislang holprige Musikkarriere. "Als Schüler in der Beatles-Stones-Zeit hat man in einer Band gespielt", bilanziert er, "dann hat man studiert, da hat man nicht mehr gespielt. Dann war man mit dem Studium fertig, dann hat man wieder ein bisschen gespielt..." Und so weiter.

Dr. Michael Ronellenfitsch, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungsrecht in Tübingen, gleichzeitig hoch gepriesener Rock’n’Roll-Gitarrist, hätte als junger Mann in den Sechzigern sogar die Gelegenheit gehabt, in der Begleitgruppe des französischen Stars Johnny Halliday zu Ruhm zu kommen: "Das habe ich aber nicht gemacht. Ich hatte mich ja schon früh dazu entschlossen, später mal Jura zu machen."

Also ist es genau dieser Interessenkonflikt, den wir vor uns sehen, wenn Professoren am Ende doch noch rocken. Vielleicht, weil sie als anerkannte, gut gealterte Wissenschaftler das Tableau erklommen haben, auf dem man genug Platz hat für einen Hüftschwung außer der Reihe.

Galilei war der erste Rocker

"Ich bin bekennender Rockmusiker", sagt Ronellenfitsch, Besitzer von 30 Gitarren, über sich selbst. Endlose, unfokussierte Improvisationen mag er beim Spielen überhaupt nicht: "Ego-Trips hat man eigentlich nicht nötig, wenn man hauptberuflich Hochschullehrer ist."

Karl-Hans Hartwig bekam aus ähnlichen Gründen einmal handfesten Streit mit einem Kollegen. Der wollte unbedingt halbstündige Mammut-Stücke mit langen Solopassagen spielen. Das würde die Studenten doch bloß langweilen, meinte Hartwig.

Wenn Professoren rocken, ist also ganz überraschend doch eine Spur von Rock'n'Roll-typischer Auflehnung im Spiel. Jedenfalls beneiden die theatralischen, unaufgeklärten Rockstars im Amüsierbetrieb die Uni-Professoren wiederum darum, dass bei ihren Vorlesungen keiner Bratwurst isst oder mittendrin pinkeln geht.

Und ganz ehrlich: Forscher wie Galileo Galilei oder Giordano Bruno, die im Namen der Wahrheit das Establishment herausforderten, waren eigentlich die ersten Rocker. Jetzt, in einer Zeit, in der die ehemals kecke, ketzerische Wissenschaft so breites Ansehen hat – da soll ruhig mal einer mit der E-Gitarre dazwischenfahren.

Autor Joachim Hentschel, geboren 1969, musste sich einst zwischen Musik und Uni entscheiden: Er studierte in Tübingen und sang in der Ulmer Beatband Marmalade Skies - vereinen ließ sich beides auf Dauer nicht. Auch der Versuch, mit Mitstudenten unter germanistisch angehauchte Popmusik ("Superalbert") zu machen, war wenig erfolgreich. Als freier Journalist hat Hentschel Stars wie David Bowie und Herbert Grönemeyer immerhin schreibend begleitet, wenn schon nicht auf der Gitarre.

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