
Entrüsten gegen Rüstung: Wie Studenten gegen Militärforschung kämpfen
Studenten gegen Militärforschung Waffen weg!
Sören Böhrnsen wartet auf das Ende dieser scheinbar unendlichen Sitzung. Vier Stunden lang haben sich Professoren und Mitarbeiter bereits durch die Mühsal der akademischen Selbstverwaltung gequält, Tagesordnungspunkt für Tagesordnungspunkt. Der 27-jährige Student mit dem blonden Pferdeschwanz und Zöpfchenbart harrt nicht aus Höflichkeit aus. Gleich wird es um ein brisantes Thema gehen, und Böhrnsen wird es gelingen, den Rektor, Wilfried Müller, gegen sich aufzubringen.
Denn der muss zugeben: Allein in den vergangenen zehn Jahren hat die Uni mindestens ein Dutzend Aufträge aus der Wehrindustrie angenommen und fast eine halbe Million Euro dafür bekommen. Mehrfach hat sie damit gegen ihr eigenes Gebot verstoßen: keinerlei militärische Forschung zu betreiben - die sogenannte Zivilklausel.
Böhrnsen reicht nicht, was der Rektor da berichtet, der angehende Jurist will mehr wissen über die Auftraggeber und konkrete Projekte. Der Professor wird wütend: "Mir gefällt nicht die anklägerische Haltung!" Es sei eben passiert, lasse sich nicht mehr ändern. Künftig werde man besser aufpassen. Böhrnsen wirft dem Rektor später vor, sich "der öffentlichen Debatte durch Geheimhaltung" zu verweigern.
Denn Details verrät der Rektor kaum. Bekannt ist allerdings: Die Uni nahm trotz Zivilklausel Hunderttausende Euro von Firmen wie dem Rüstungskonzern Rheinmetall Defense und dem Torpedo-Hersteller Atlas Elektronik. Für den Weltraumkonzern OHB arbeitete sie an einem System zur Datenübertragung bei hohen Geschwindigkeiten, einsetzbar in Kampfflugzeugen. Das Geld dafür kam aus dem Verteidigungsministerium.
Wie eng ist meine Hochschule mit dem Militär verbandelt?
Was Böhrnsen da mit dem Rektor austrägt, ist ein Streit, der an vielen Unis und Hochschulen tobt - und der sich ausweitet, von Campus zu Campus. Studenten und Doktoranden fragen: Was darf die Wissenschaft? Wie kann ich verhindern, dass meine Forschungsergebnisse genutzt werden für Waffen und militärisches Know-how? Auf einmal hat das Studium etwas mit den Konflikten auf der Welt zu tun. Es geht nicht mehr nur darum, im Seminar gemütlich über den Afghanistan-Einsatz zu diskutieren. Vielmehr stellt sich die Frage, wie eng die eigene Hochschule mit dem Militär verbandelt ist.
Denn in Deutschland, dem drittgrößten Waffenexporteur der Welt, floriert die Rüstungsindustrie. Die Branche ist ein Geldgeber, auf den viele Hochschulen nicht verzichten wollen, zumal sie immer stärker auf Drittmittel angewiesen sind. Allein das Verteidigungsministerium investiert jedes Jahr rund eine Milliarde Euro in Wehrforschung, militärische Entwicklung und Erprobung. Etwa acht Millionen davon fließen direkt an Hochschulen, 36 Millionen an öffentliche Forschungseinrichtungen, wie aus einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag an die Bundesregierung hervorgeht.
Die Universitätsleitungen reden natürlich nicht gern über das Geld, das sie von Rüstungsfirmen und vom Militär bekommen. Die Studenten und Forscher lassen aber nicht locker, sie wollen Zivilklauseln durchsetzen, wie es sie in Bremen, Konstanz, Tübingen, Kassel und einigen anderen Unis bereits gibt: eine Selbstverpflichtung, sich fernzuhalten von allem, was für Rüstung und Krieg verwertbar sein könnte. In vielen Städten haben sich Aktionsgruppen und Arbeitskreise zusammengefunden, etwa in Augsburg, Braunschweig, Köln und Gießen; die "Frankfurter Allgemeine" schreibt bereits von einer "Bewegung".
In Frankfurt am Main kämpft Christoph Wiesner für die Zivilklausel. Er hat die seltene Fächerkombination Politologie und Physik studiert, eine Magisterarbeit über den Kosovo-Krieg geschrieben und eine Diplomarbeit darüber, wie sich ein Protonenstrahl im Teilchenbeschleuniger zerhacken lässt. Er ist ein kritischer Naturwissenschaftler, der findet: Forscher und Studenten müssen sich auch politisch einmischen und sich Gedanken machen über die Folgen ihrer Arbeit. "Ich will wissen, an was für Projekten ich mitarbeite", sagt er. "Und ich will auf keinen Fall für den Krieg forschen."
Die Rüstungslobby lockt junge Talente
Für viele Studenten war die Uni lange ein Ort der Unschuld. Hier eigneten sie sich das Rüstzeug für ihre Karriere an, starteten zu Auslandssemestern, sammelten Punkte und Partybekanntschaften. Sie hofften, sich selbst verwirklichen und die Welt vielleicht ein wenig verbessern zu können. Jetzt müssen sie erkennen: Manches Projekt an den Lehrstühlen ihrer Professoren ist weniger dazu geeignet, den eigenen Lebenslauf zu verschönern, als vielmehr die Kampfkraft von Soldaten zu erhöhen.
Zwar ist es noch lange nicht so weit wie in den USA, wo Pentagon und Rüstungsfirmen für manche Unis zu den wichtigsten Geldgebern gehören. Allein das Massachusetts Institute of Technology (MIT) bekommt mehr als 650 Millionen Dollar vom US-Verteidigungsministerium - fast die Hälfte des Forschungsetats der Uni. Amerikanische Studenten präsentieren ihre Erfindungen auf Fachmessen der Wehrbranche und bei Wettbewerben.
Aber auch in Deutschland lockt die Rüstungslobby junge Talente. Das deutsch-französische Waffenforschungsinstitut ISL zum Beispiel bot jungen Physikern bis zu 830 Euro monatlich, wenn sie ihre Diplomarbeit über die Flugbahn von Projektilen schreiben. Denn, so heißt es in der Anzeige: "Die aktuellen Einsatzszenarien der westlichen Streitkräfte erfordern eine immer weiter gesteigerte Treffergenauigkeit." So müssen sich auch Studenten die Frage stellen, wo Wissensdurst endet und Verantwortung beginnt.
Rein zivile Forschung ist "ein frommer Wunsch"
Wiesner, der politische Physiker, und ein paar Mitstreiter haben Tausende Flugblätter verteilt, Diskussionsrunden organisiert, eine Urabstimmung durchgesetzt und schließlich eine Mehrheit unter den Studenten errungen: Sie wollen, dass die Uni sich raushält aus der Rüstungsforschung. Ein bisschen stolz ist Wiesner darauf, dass die Wahlbeteiligung bei seinen Fachkollegen, den Physikern, am höchsten war und dass in allen Fachbereichen eine klare Mehrheit für die Zivilklausel votierte. Endgültig verankert in der Hochschulsatzung ist die Vorschrift allerdings noch nicht. Und selbst dann wäre sie keine Garantie.
Die bereits an deutschen Unis bestehenden Klauseln sind teilweise schwammig formuliert. Außerdem verstoßen auch die Hochschulen mit Klausel immer wieder gegen das Anti-Militarismus-Gebot - wie das Beispiel Bremen zeigt, wo es die Vorschrift schon seit 1986 gibt. Damals fürchteten nicht nur Wissenschaftler ein Wettrüsten im Weltall; das Star-Wars-Projekt der Amerikaner beherrschte die Schlagzeilen und die politische Debatte.
Die linke Reform-Uni an der Weser rief in ihrem Beschluss mit der Nummer 5113 alle ihre Mitglieder auf, "Forschungsmittel und -themen abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen könnten". Formal bekräftigte der Akademische Senat das noch einmal wenige Jahre später, 1991. Geholfen hat es wenig, wie die Verstöße der vergangenen Jahre offenbaren.
Der ehemalige Institutsleiter des Arbeitsbereichs Nachrichtentechnik an der Uni Bremen, Karl-Dirk Kammeyer, sagte in einem Fernsehinterview, er habe durchaus Bedenken gehabt bei dem Projekt für OHB. Aber in seinem Fachgebiet gebe es eben "keine Technologie, die militärisch nicht genutzt wird". Rein zivile Forschung sei "ein frommer Wunsch".
Was ist nur Forschung, wo fängt Rüstung an?
Es ist in der Tat schwierig, die Grenze zu ziehen: Wo fängt Rüstungsforschung überhaupt an? Verstieß die TU Berlin etwa gegen ihre Zivilklausel, weil sie im Auftrag der Bundeswehr über Wasseraufbereitung und Dekontamination geforscht hat? Nein, heißt es an der Technischen Universität, es habe sich nicht um "rüstungsrelevante Forschung" gehandelt, auch wenn das Geld aus dem Verteidigungsministerium kam, immerhin einige zehntausend Euro.
Ja, finden hingegen die besonders Strengen unter den Zivilklausel-Aktivisten. Sie lehnen alles ab, was nur entfernt nach Militär aussehen könnte. Sie warnen, viele Rüstungsprojekte würden als zivil nutzbar deklariert, im Fachjargon "Dual Use" genannt. So schafften Unis und Wehrfirmen bewusst Grauzonen, um ihr Treiben zu verschleiern.
Die Rüstungsgegner kritisieren sogar die Seminare und Vorträge mancher Dozenten. So kam es an der Uni Tübingen zum Eklat, weil der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, eine Honorarprofessur bekommen sollte. Die örtliche Informationsstelle für Militarisierung verdammte den Ex-Diplomaten als Symbol für die "Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik".
Unterstützung bekommen die Zivilklausel-Hardliner von Veteranen der Friedensbewegung sowie von linken Mitstreitern und Gewerkschaftern. Besichtigen lässt sich die Allianz auf einem Kongress in Karlsruhe: Hier trafen im Juni Asta-Vertreter der Club-Mate-Generation auf Anti-Militaristen im Rentenalter; der rote Stern als T-Shirt-Aufdruck ist hier keine Frage des Alters, am Eingang hängt ein Anti-Atom-Transparent.
Auch Sören Böhrnsen aus Bremen und Christoph Wiesner aus Frankfurt sind angereist. Nach Vorträgen über Nuklear- und Drohnenforschung sind die rund 50 Teilnehmer schnell bei der Systemfrage angekommen: Die Unterschiede zwischen "militärischen und wirtschaftlichen Zwängen" verwischen, man möchte die Universitäten vor beiden bewahren, am liebsten die ganze Gesellschaft. Eine Studentin aus Köln ist sich sogar sicher: "Die Legitimation des Kapitalismus bröckelt." Ein Redner wettert gegen "geistige Proliferation".
Der Streit erreicht die Landespolitik
Der Tagungsort Karlsruhe ist die Stadt mit der längsten Zivilklausel-Tradition: Das hiesige Kernforschungszentrum durfte seit seiner Gründung 1956 nur zu "ausschließlich friedlichen Zwecken" forschen - eine Auflage der Alliierten. Als dann vor wenigen Jahren das Zentrum mit der Uni zusammengelegt wurde und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entstand, erreichte der Streit um die Zivilklausel auch die Landespolitik. Die Aktivisten und eine große Mehrheit der Studenten sprachen sich dafür aus, die Vorschrift gesetzlich zu verankern und aufs ganze KIT auszuweiten. Sie scheiterten und werfen der grün-roten Landesregierung jetzt vor, ihre Wahlversprechen gebrochen zu haben.
Die Linke im Bundestag fordert nun bundesweite Regeln. "Hochschulen und Institute brauchen einen Kodex für verbindliche und transparente Verfahren", sagt die hochschulpolitische Sprecherin Nicole Gohlke. Wissenschaftler müssten die Kontrolle behalten darüber, wie ihre Ergebnisse genutzt werden.
Auch Sören Böhrnsen und seine Mitstreiter in Bremen möchten die Klausel am liebsten in die Landesgesetze schreiben lassen, in Niedersachsen stand sie da schon mal, das war in den neunziger Jahren.
Rektor Müller jedoch ist strikt dagegen: "Ich halte davon nichts." Er sieht die Autonomie der Hochschule in Gefahr und ebenso die Freiheit der Wissenschaft. Noch ist ungewiss, wie sich die Bürgerschaft entscheidet. Selbst die Regierungskoalition aus SPD und Grünen kann sich bislang nicht auf eine Position einigen.
Böhrnsen will trotzdem nicht aufgeben. Zwar steckt er mitten im Referendariat, aber wenn es um die ganz großen Themen geht, um Krieg und Frieden, dann müssen die Gerichtsakten eben warten. "Um die kümmere ich mich nachts, wenn es sein muss", sagt er. "Mein wichtigster Fall ist derzeit die Zivilklausel."